Fürs Erste Krebs: Episode #1
Nur fünf Buchstaben. Sie reichen aus, um ein Leben für immer zu verändern. Was aber, wenn das Leben noch gar nicht richtig begonnen hat? Sebastian Schramm ist 25 Jahre alt – und leidet an Krebs. Von nun an teilt er auf ZEITjUNG seine Gedanken, Erlebnisse und Anekdoten über die Zeit mit einer Krankheit, die in Deutschland jährlich eine Großstadt auslöscht. Heute: Teil 1 – Wie die endgültige Diagnose mitgeteilt wurde.
Als ginge ich vom Mittelkreis zum Elfmeterpunkt. Der fünfte und letzte Schütze. Gleich entscheidet sich alles: Halte ich mich und meine Mannschaft im Spiel oder ist es vorbei? Das Stadion pfeift mich gnadenlos aus. Und dann dieser Torwart. Er ist ein Killer. Wie widerlich das alles ist. Ein ganzes Spiel, das eigentlich so viel zu bieten hat, reduziert auf ein einziges Duell. Alles, was war, zählt nicht mehr. Es bleiben nur der Anlauf, der Schuss; ein paar Sekunden, mehr nicht. Sie richten darüber, wie nahe und ferne Zukunft aussehen.
Aber mein Weg ist nicht der auf Rasen. Er ist ein Fahrstuhl im Schweriner Helios-Krankenhaus. Und der Elfmeterpunkt die Onkologie-Station.
Neben mir steht meine Mutter. Im Fahrstuhl riecht es nach Desinfektionsmittel und Schweiß. Wir sind eingepfercht, lehnen unsere Körper an eine Metallstrebe auf der linken Seite. In der Hand halte ich drei Tafeln Schokolade und ein weißes Kuvert. In ihm eine Genesungskarte der Kollegen und mein erster Presseausweis. Aufmerksamkeiten, mitgebracht von meiner Personalchefin, gedacht als Aufmunterung und Ansporn. Die Diagnose sei endlich da, rief mir die Stationsärztin Benjamin* noch zu. „Wollen wir jetzt reden?“ Ihr Gesicht zeigte keine Emotion. Ich hätte noch eine Verabredung mit meiner Chefin in der Cafeteria, sagte ich. „Vielleicht in einer halben Stunde?“
Dinge, die man nicht hören will
Ich lasse die Geschenke fallen. Meine Mutter will helfen. Ich weigere mich, erwidere, ich schaffte das schon. Bis mir alles wieder aus den Händen gleitet, insgesamt dreimal von der ersten bis in die fünfte Etage. Was ist, wenn sie sich geirrt haben? Haben sie noch mehr gefunden? War es das schon? Immerhin durchleuchteten die Ärzte in den vorigen Tagen meinen Körper: eine Computertomographie, zwei Kernspintomographien, ein Herz-Ultraschall, eine Knochenmarkpunktion, eine Biopsie.
Wir setzen uns in den Aufenthaltsraum. Benjamin ist nicht zu sehen. Es ist komisch: Ich will dieses Gespräch, ich will Gewissheit und einen klaren Plan. Aber da ist auch diese Angst, Dinge hören zu müssen, die man nicht hören will. Mama hält es nicht aus. Gegen meinen Willen geht sie vor zum Stationszimmer und gibt Bescheid, dass wir da seien.
Benjamin, Rundbrille, das Haar hinter die Ohren gelegt, bittet uns ins Sprechzimmer. Im ganzen Raum türmen sich Studien und Therapiepläne, zwei Rechner sind aufgestellt. Auf kleinen Bürostühlen nehmen wir Platz, wir sitzen im Dreieck: rechts von mir meine Mutter, an der Spitze Benjamin. Sie spricht ohne Farbe, fast monoton. Sie atmet durch und legt ihre Hände auf die Oberschenkel. „Also“, beginnt Benjamin, „es ist wie erwartet der Morbus Hodgkin.“