Regenbogenfahnen der LGBTQ-Community

Gendern 2.0: Interview mit dem Verein für geschlechtsneutrales Deutsch

Wer sich im deutschen Sprachgebrauch geschlechtsneutral ausdrücken möchte, hat es nicht gerade leicht: Beinahe alle Pronomen, Artikel und Endungen richten sich nach dem binären Geschlechtersystem. Neue Formulierungsweisen wie das Gendersternchen oder die Gender Gap sollen Abhilfe schaffen, gestalten sich in der tatsächlichen Handhabung jedoch oft umständlich und unnötig kompliziert. Dennoch: Das Bedürfnis nach Geschlechtergerechtigkeit und damit auch nach einer Reform des Sprachsystems wächst kontinuierlich. Gemeinsam mit sieben anderen Mitgliedern haben Marcos Cramer und Averyn Hiell daher den Verein für geschlechtsneutrales Deutsch gegründet, der sich für eine inklusivere, intuitive Sprache einsetzen möchte. Wir haben die beiden zum Interview getroffen.

ZEITjUNG: Euer Verein wurde am 19. Juni gegründet. Wie kam es dazu und welche Pläne verfolgt ihr?

Marcos: Der Verein entstand aus der Community heraus, die wir uns in den vergangenen zwei Jahren in verschiedenen Internetforen aufgebaut haben. Dort gibt es mittlerweile mehr als 700 Mitglieder, und mehr als fünfzig beteiligen sich aktiv an der Diskussion über das Thema geschlechtsneutrale Sprache. Sie alle haben den Wunsch, ein System zu entwickeln, das alle Geschlechter miteinbezieht, sowohl in der gesprochenen als auch in der geschriebenen Sprache gut funktioniert, möglichst mühelos erlernbar ist und leicht über die Lippen geht.

Averyn: Varianten wie das Gendersternchen halten wir für eine geeignete Übergangslösung, sehen darin allerdings kein langfristiges Ergebnis. Außerhalb vom Plural funktioniert der Ansatz nicht besonders gut: Wenn man beispielsweise im Singular über eine nichtbinäre Person sprechen möchte, gibt es kaum Möglichkeiten. Das führt dann dazu, dass die entsprechenden Personen wenig sprachliche Sichtbarkeit erfahren und im sozialen Kontext eher auf Ablehnung stoßen.

ZEITjUNG: Wie genau soll so eine geschlechtsneutrale Sprache eurer Meinung nach aussehen?

Marcos: Wir möchten uns zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht auf ein konkretes System festlegen, sondern weiterhin offen für die Ideen und Ansätze möglichst vieler Menschen sein. In den Umfragen, die wir durchgeführt haben, konnte man jedoch schon Präferenzen erkennen: Wenn es um den bestimmten Artikel geht, bevorzugen die meisten die Variante de. Weitere beliebte Vorschläge waren dey, dier oder auch det. Die beliebteste Form bei den Substantiven ist das Anhängen eines -e; aus der Lehrer oder die Lehrerin würde also de Lehrere. Der Plural endet auf -erne: die Lehrerne.

Averyn: Diese zwei Wortarten sind natürlich nur ein kleiner Ausschnitt von dem, was am Ende das ganze System ausmacht. Im Prinzip müssen wir alles miteinbeziehen, was an ein Geschlecht erinnert – das sind neben Substantiven und bestimmten Artikeln auch Artikel wie ein(e), diese(r) oder welche(r). Durch die vier grammatischen Fälle wird das Ganze zusätzlich erschwert. Unser Plan ist jetzt die Umsetzung eines zweistufigen Systems, welches erst einmal auch ohne Deklination funktioniert, sodass die vorgeschlagene Deklination der geschlechtsneutralen Alternativen zu Wörtern wie des oder dem anfangs optional ist.

Marcos: Ein perfektes System zu entwickeln ist praktisch unmöglich, einzelne Schwachstellen wird es immer geben. Daher haben wir versucht, möglichst viele Personen und Perspektiven in den Diskussions- und Entwicklungsprozess zu integrieren, sodass das langfristige Resultat auch möglichst vielen zusagt.

Screenshot der Online-Gründungsversammlung. Bild: Verein für geschlechtsneutrales Deutsch