Regenbogenfahnen der LGBTQ-Community

Gendern 2.0: Interview mit dem Verein für geschlechtsneutrales Deutsch

ZEITjUNG: Meint ihr, so etwas kann sich durchsetzen? Ist es nicht etwas voreilig, direkt eine komplett geschlechtsneutrale Sprache einzuführen, wenn so viele Menschen sich bereits gegen das Gendern wehren?

Averyn: Ein Grund, warum sich Menschen gegen den Genderstern aussprechen, ist, dass er nicht endgültig funktioniert. Dagegen wollen wir ja vorgehen. Viele finden das Gendern natürlich auch allgemein unnötig und halten das generische Maskulinum für ausreichend. Das ist allerdings auch nicht unsere primäre Zielgruppe: Die sehen wir eher bei denjenigen, die sich geschlechtsneutral ausdrücken wollen, dabei aber sprachlich an Grenzen stoßen.

Marcos: Im Sprachgebrauch ist es ja auch völlig normal, dass verschiedene Gruppen unterschiedliche Variationen nutzen. Genauso wird es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wahrscheinlich auch mit der geschlechtsneutralen Sprache sein. Bestimmte Teile der Gesellschaft werden sich davon überzeugen lassen, vermutlich diejenigen, die jetzt schon das Gendersternchen verwenden, vielleicht noch ein paar mehr. Für diese Menschen ist unser Ansatz eine Option, an der sie sich bedienen können. Aufzwingen wollen wir niemandem etwas: Die anderen werden ja nicht daran gehindert, weiterhin so zu sprechen, wie sie es gewohnt sind oder es sich wünschen.

ZEITjUNG: Wie steht ihr zum linguistischen Grundsatz, dass Sprache sich selber wandelt und nicht beeinflussbar ist? Steht das nicht in deutlichem Widerspruch zu euren gezielten Änderungsvorschlägen?

Marcos: Bestimmte Bereiche des Sprachwandels wurden schon immer von außen beeinflusst – beispielsweise, wenn es darum geht, neue Fachbegriffe zu etablieren oder in einer jungen wissenschaftlichen Disziplin standardisierte Terminologien aufzustellen. In Bezug auf geschlechtsneutrale Sprache gibt es im Schwedischen das Pronomen hen, welches erst vor einigen Jahren eingeführt wurde und mittlerweile weitreichend verwendet wird. Im Spanischen existiert die Endung -e, die sich auch immer stärker durchsetzt.

Averyn: Martin Luther ist ein weiteres Beispiel: Seine Übersetzung der Bibel war kein existierendes Deutsch, sondern eine von ihm konstruierte Varietät, die sich letztendlich einfach als Standarddeutsch durchgesetzt hat. Vorher gab es nämlich kein einheitliches Deutsch, das landesweit verstanden wurde.

Marcos: Uns geht es ja auch weniger um linguistische Forschung als um einen Mangel in der Sprache, den schon viele Leute als solchen erkannt haben und deshalb auf Kompromisslösungen wie den Genderstern ausweichen. Wir wissen, dass man dafür einen besseren Ausweg finden kann – das funktioniert aber eben nur, wenn man sich darüber austauscht und sich konkrete Gedanken zu Verbesserungen macht. Ob oder in welcher Form diese sich nachher durchsetzen, können wir als Verein nicht beeinflussen – das ist wiederum dem natürlichen Sprachwandel überlassen. Wir bieten lediglich Vorschläge und Impulse an, um den sonst Jahrhunderte dauernden Prozess etwas zu beschleunigen.

ZEITjUNG: Werdet ihr für euer Vorhaben manchmal belächelt, oder erhaltet ihr eher Zuspruch?

Averyn: Innerhalb der Diskussionsforen unserer Community achten wir auf einen gepflegten Umgang. Letztens war jemand in einem unserer Foren, der verschiedene AfD-Seiten geliket hatte und durchgehend destruktive Kritik angebracht hat. Diese Person haben wir dann aus unserer Gruppe entfernt. Bei unserer öffentlichen Umfrage Anfang des Jahres haben einige Leute das Freitextfeld genutzt, um Vorwürfe und Hass zu verbreiten. Das hat mich persönlich auch ein bisschen getroffen. Doofe Kommentare werden immer kommen, es ist nur die Frage, wie weit wir das an uns ranlassen und ob wir uns dadurch unser positives, konstruktives Gruppenklima vergiften lassen.

Marcos: Jetzt, wo wir Schritt für Schritt mehr an die Öffentlichkeit gehen, nimmt natürlich auch das Risiko für negative Rückmeldungen zu. Es gibt, glaube ich, einige Personen, die nicht verstehen, warum wir das machen – die sehen nur komische, ungewohnte sprachliche Formen. Wer keinen direkten Bezug zum Thema hat, keine nichtbinären Personen kennt und im eigenen Umfeld mit dem generischen Maskulinum nie auf Widerstand gestoßen ist, erkennt das Problem und die Relevanz vielleicht gar nicht.