Wie viel Kapital braucht die Liebe?
Von Simone Mauer
„Man sieht nur mit dem Herzen gut“… Hab ich mal irgendwo gelesen. Was soll das eigentlich genau heißen? Und wo lernt man mit dem Herzen sehen? Macht das überhaupt noch irgendjemand? Viele Fragen. Es gibt dazu sicher auch mehrere überzeugende Antworten. Eine wäre: Mit dem Herzen sehen ist ja fein, aber vielleicht geht es manchmal auch um andere Dinge. Vielleicht wollen einige von uns einen Partner mit vielversprechendem Kapital.
Attraktiv und lieb sein reicht auch nicht immer
Vor einiger Zeit habe ich einmal die Woche in einem Café gearbeitet. Jeden Freitag half uns eine robuste, ältere Dame in der Küche aus. Beim Zubereiten von „Omas Blumenkohlauflauf“ fragte sie mich ganz beiläufig, wie es denn eigentlich mit den Männern und der Liebe aussehen würde. Typischer Gastro-Talk halt. Ich antworte bei sowas meist diplomatisch und sagte daher: „Ah ja, es gibt immer wieder Überraschungen im Leben.“ Sie beäugte mich kritisch von der Seite und sagte: „Also ihr jungen Leute…ich beobachte das jetzt schon länger. Das geht ja alles drunter und drüber.“ Ja, drunter und drüber ist manchmal mit dabei, stimmt schon, dachte ich, ohne etwas zu sagen. Sie fuhr fort: „Und eins sag ich dir, für euch Mädels wird es auch nicht einfacher. Das reicht den Burschen ja gar nicht mehr, wenn ihr nur hübsch, lieb und fleißig seid. Geld müsst ihr am besten auch noch haben.“
Kapital und Partnerwahl
Oha!, dachte ich. Hab ich jetzt so drastisch auch noch nicht gehört. „Blondine sucht Millionär“ und so ist ja nix Neues, und dass es Scharen von ambitionierten jungen Damen mit viel zu hohen High Heels in metallischen Farben gibt, die sich im Nobelclub P1 einen reichen Fußballspieler anlachen wollen, ist mir natürlich auch klar. Aber auch die Boys wollen cashmäßig was abgreifen, falls sich nicht schon Fußballmillionäre sind. Das ist ja auch irgendwie verständlich, warum sollte das nur einseitig der Fall sein. Aber selten wurde dieser Umstand so auf den Punkt gebracht wie von der Koch-Omi. Ihr „Das reicht nicht mehr…“, blieb mir so ekelhaft im Ohr hängen.
Man sollte also bestenfalls ein bisschen mehr mitbringen als sich selbst und sein großes Herz. Ein bisschen Kapital wäre nicht schlecht. Dabei geht es vielleicht auch nicht nur zwangsläufig um das räudige alte Geld. Es gibt ja viele Arten von Kapital: soziales Kapital, kulturelles Kapital, Kapital in Form eines extrem attraktiven Äußeren. Darauf setzen die Damen mit den kurzen Kleidern im P1, eh klar. Soziales Kapital ist auch nicht verkehrt: Wer Gott und die Welt kennt, zu jedem einen guten Draht hat, überall umsonst rein kommt und allein dadurch einen lukrativen Deal nach dem nächsten klar macht, wirkt natürlich auch sehr attraktiv. Da kann damit vielleicht sogar einen nicht ganz so prallen Geldbeutel wieder wett machen. Bevor wir uns aber in der Aufzählung der verschiedenen Arten von Kapital verzetteln, zurück zur ursprünglichen Frage: Wie viel Kapital braucht eigentlich die Liebe?
Früher konnten sich die Menschen noch eher binden – Ja, warum eigentlich?
Hierzu könnte man sagen: Ach, es ist alles so schlimm heutzutage, die Menschen bekommen den Hals nicht voll, wechseln ihre Dating- und Sexpartner wie ihre Unterhosen, können sich gar nicht mehr festlegen. Das liegt auch an diesem schlimmen Tinder, der Dating-Markt ist zum kapitalistischen System geworden, das Angebot ist endlos, die Leute wollen konsumieren. Und überhaupt geht es immer um irgendwelche Oberflächlichkeiten oder eben Geld… Das könnte man zu Thematik wehmütig anbringen und sich dann denken: Was ist jetzt mit dieser „mit dem Herzen sehen“- Sache?
Oder man blickt mal ein paar Jahre zurück in der Geschichte der Menschheit, wie das denn damals so aussah wenn es um das Thema Kapital, Liebe, Möglichkeiten, Angebot und so weiter geht. Wenn man so 50 bis 60 Jahre zurückgeht, wird man feststellen: Naja, ohne Mann war es für die Frauen früher eher madig. Und andersrum genauso. Frau hat gut frisiert, den schmackhaften Jakobs-Kaffee gekocht und den Mann pflichtbewusst umsorgt, wenn er schlecht gelaunt und müde aus der Arbeit nach Hause gekommen ist. Der Mann hat dafür pflichtbewusst das Cash nach angeliefert. Schaut euch mal Werbespots aus dieser Zeit an, wirklich sehr aufschlussreich. Die meisten Frauen waren finanziell abhängig von ihren Ehemännern und die Ehemänner waren irgendwo auch abhängig von ihren Frauen, weil ihnen wahrscheinlich niemand beigebracht hat, wie Kaffee kochen und Wäsche waschen überhaupt geht. Das war die gesellschaftliche Realität. Mann bringt also hauptsächlich finanzielles Kapital in die Beziehung mit, Frau bringt Kapital in Form von super Hausfrauen-Skills, gerne auch ein wirklich ansehnliches Äußeres oder auch ein bisschen Geld aus dem Elternhaus mit.
Natürlich haben sich Menschen damals geliebt. Aber es gab eben auch ein System, dass längerfristige Beziehungen eher hervorgebracht hat als unser heutiges gesellschaftliches System – ganz nüchtern und unromantisch betrachtet. Wenn man noch weiter im Verlauf der Geschichte zurückblickt, kommt man nicht umhin, sich zu fragen: Äh, gab es da überhaupt sowas wie Liebe und Romantik? Oder ging es da nur um den Besitz, den sozialen Status und das Kapital? Damals wurde ja immer gleich geheiratet und eine Heirat war eher sowas wie ein wirtschaftlicher Akt, ein guter Deal musste her. Die Eltern haben viel mit organisiert: „Hier, die Zenzi vom Weilandhof, die kannst du heiraten, die haben xy Hektar…“ Bauern blieben unter Bauern, Gutbürgerliche heirateten am liebsten Gutbürgerliche und der Adel blieb eh unter sich.
Manche sehen das Herz, andere das Geld
So, also. Mit all diesen Hintergrundinfos zum Thema Liebe und Kapital muss man jetzt dennoch nicht davon ausgehen, dass Beziehungen nur zustande kommen oder kamen, weil beide Partner Geld haben und geil aussehen. Natürlich nicht. Ich bin mir sicher, dass es viele Menschen gibt, die sich mit ihren Herzen gesehen haben und sich wirklich lieben. Aber man muss auch erst mal die Möglichkeit und die Freiheit dazu haben, so handeln zu können und das war/ist nicht immer so. Zum anderen gibt es sicher auch Menschen, die andere Menschen eben gerne konsumieren und sich immer den besten Deal von allen schnappen, weil alles andere ja schön blöd wäre. Kapital und Liebe müssen nicht zusammengehören, aber wenn wir ehrlich sind, kommt das schon mal vor. Ist ja eigentlich auch halb so wild. Da sind die Menschen, wie in allen Dingen, eben sehr verschieden.