Liebe

Eine Idee Liebe: (Kein) Sex vor der Ehe?

Die romantische Liebe ist zum Kitt unserer Paarbeziehungen geworden. Dass sie der Kitt zweier Menschenleben ist, ist dabei eine noch recht junge Erfindung. Seitdem hat sich viel getan. In dieser Kolumne beschäftigen sich unsere zwei Autorinnen Lena und Rahel mit dem Ursprung der romantischen Liebe. Wo kommt sie her, wo will sie hin? Ist die Liebe zwischen Swipe links und Swipe rechts nur noch ein Produkt der Liebesökonomie?

Ich weiß nicht, wie ihr euch als Kind eure Zukunft vorgestellt habt, aber ich muss zugeben, dass mein achtjähriges Ich selten von Job und Karriere, sondern eher von der klassischen Kleinfamilie geträumt hat. Dieses Mädchen war sich sicher, dass sie, sobald sie erwachsen wäre (also mit 19, ist ja klar!) ihren Prinz auf dem weißen Pferd treffen würde. Der Ablauf nach diesem schicksalhaften Treffen war klar durchstrukturiert: „Willst du mit mir gehen“-Zettel, Dates im Kino, der erste Kuss, Hochzeit, zwei Kinder.

Ein Plan, der rückblickend sehr naiv klingt.

Mit den Jahren und vor allem der Pubertät löste sich dieser Traum Stück für Stück in Luft auf. Die Hormone spielten verrückt und plötzlich war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob heiraten jetzt tatsächlich die nächstbeste Option wäre. Schließlich war die Welt groß und die Männer schön. Ganz davon abgesehen, dass Prinz Charming nirgendwo zu finden war.

Hinzukam, dass ich zu meinem Glück in einem sehr liberalen Umfeld aufwuchs. Meine Mutter ging mit mir Tampons kaufen, als ich sie brauchte. Fragen nach Sex und Liebe wurden von meinen Eltern ehrlich und offen beantwortet und meine feministische Großmutter gab mir ungefragte Ratschläge zum Thema Ehe und Selbstbestimmung. Sie war auch diejenige, die in mein Poesiealbum aus der sechsten Klasse schrieb:

„Liebes Mädchen, sei so schlau,
werde niemals Ehefrau!
Vor der Ehe kriegst du Rosen,
in der Ehe flickst du Hosen!“

Spätestens ab dem Zeitpunkt war klar: Das mit der Ehe, das verschieben wir lieber noch ein bisschen.

Das Studium tat schließlich sein Übriges und Datingapps waren mir plötzlich lieber als Kinder, Kirche, Küche. Ich besuchte fortan feministische Seminare, trat in einen Debattierklub ein und liebte die offene Art der anderen Studierenden und die Möglichkeiten, die das Uni-Leben bot. Für einige Semester war ich mir sicher: Ich heirate nie! Und wenn doch, dann erst sehr viel später und vor allem nicht kirchlich. Denn die Kirche stand für mich für alles, was ich nicht war und auch nie werden wollte.

Umso überraschter war ich, als ich an einem sonnigen Tag kurz vor meinem Bachelorabschluss schließlich Kaia traf. Wir verstanden uns auf Anhieb. Sie studierte Philosophie, trug einen Ring in der Nase und hatte knallorangene Fingernägel. Doch was mich noch viel mehr Erstaunte war: Kaia glaubte an Gott. Und zwar nicht auf die Art, wie ich das von meiner Familie gewohnt war (Die Kinder werden getauft, man kennt grob den Inhalt der Bibel und an Weihnachten geht man auch mal in die Kirche) sondern so richtig. Mit aktiver Teilhabe in der Gemeinde, regelmäßigen Gebeten und Pilgerfahrten. Ich war neugierig, wie konnte so ein interessierter und offener Mensch wie sie an Gott glauben?

Woran glaubst du?

Ich begann ihr 1000 Fragen zu stellen. Wir trafen uns in den nächsten Wochen öfter in der Mensa oder der Bibliothek der Uni und unterhielten uns. Über ihren Glauben, meine Überzeugungen und unser Leben im Allgemeinen. In einem dieser Gespräche erfuhr ich schließlich auch, dass Kaia und ihr Freund vorhatten, mit dem Sex zur warten, bis sie verheiratet waren. Ich war perplex.

„Wie bitte?“ fragte ich sie etwas überfordert. „Entschuldige, ich bin irritiert. Warum das denn?“ Kaia musste grinsen: „Oh man, wenn du jetzt dein Gesicht sehen könntest. Es geht hier doch nur um Sex!“ – „Nur um Sex?! Aber der ist doch superwichtig für eine gut laufende Beziehung! Stell dir mal vor, ihr merkt erst nach der Hochzeit, dass es im Bett zwischen euch überhaupt nicht funktioniert.“ Kaia blieb die Ruhe selbst. Auf mich wirkte sie, als hätte sie diese Art der Diskussion schon öfter geführt.

„Schau, ich kritisiere deine Art zu lieben ja auch nicht. Was stört dich denn so sehr daran, dass ich mit dem Sex warten möchte?“ Ja, gute Frage, was störte mich eigentlich so sehr an ihrer Aussage? War es wirklich die Sorge, dass die beiden ihr Leben lang schlechten Sex haben könnten? Es gab doch auch genug Paare, die bereits vor der Ehe Sex hatten und die deswegen auch nicht gerade ein erfülltes Sexualleben führten. Daran konnte es also nicht liegen. War es vielleicht die Sorge, dass sie möglicherweise irgendwann etwas vermissen könnte? Sicher auch nicht, denn auf die Problematik stießen sicher auch Paare, die einfach bereits sehr lange verheiratet waren. Woran lag es dann, dass mich diese Aussage so schockierte? Kaia wirkte schließlich alles andere als unglücklich auf mich und auch ihr Freund schien ein toller Kerl zu sein.

Wieder in meiner WG angekommen, ließ mich die Grübelei nicht los. Warum war ich, die alle möglichen Liebes- und Lebensformen tolerierte und unterstützte so geschockt, wenn es einfach darum ging, eben keinen Sex zu haben?