Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #6.2

Wohin mit der rechten Hand?

Pünktlich waren wir wieder zurück. Die Laborantin bat uns in einen Konferenzraum, ich nahm meinen Vater mit zum Gespräch. Vor ihr lag eine Tabelle, gedruckt auf weißes Papier, Zahlen, Richtwerte: das Spermiogramm. Alles sei in Ordnung, begann sie. Über 36 Millionen Spermien, eine gute Anzahl, die Hälfte ginge aber verloren, sobald eingefroren wird, völlig normal. Selbst Sperma hat Wertverlust. „Aber sie bräuchten für den Erfolg ja auch nur ein einziges“, sagte sie und grinste. Sonst ein paar Fachvokabeln, Flexibilität hier, Fließgeschwindigkeit da, sie würde empfehlen einzufrieren, es lohne sich auf lange Sicht. Check. Papa unterschrieb den Auftrag. Sachkosten: 184,84 Euro. Die Miete für die ersten sechs Monate: 112,07 Euro, danach immer per Bankeinzug, alle halbe Jahre. Natürlich nicht ohne Mehrwertsteuer, 19 Prozent, Masturbieren für den Staat: 56,34 Euro. Unterm Strich standen 352,89 Euro, bezahlt aus eigener Tasche. Die deutschen Krankenkassen übernehmen für diese Investition in Krebspatienten keinen Cent. Als alles unterschrieben war, bedankte sich mein Vater. Er gab ihr die Hand. Wie es sich gehört nach einem guten Geschäft.

Ich erschrak: „Oh Gott, soll ich ihr jetzt wirklich die rechte Hand geben? Sie weiß doch genau wie ich, was ich gerade gemacht habe?“ Ich glaube bis heute: Sie erkannte die Panik in mir, wie ich peinlich berührt zögerte, ihr meine Hand zu reichen. Sie streckte mir ihre entgegen. Ich packte zu, bedankte mich für alles und stürmte regelrecht heraus. Ich konnte nicht mehr aufhören zu lachen.

Manchmal überkommt es mich. Unvorbereitet schießt es in meinen Kopf, meist, wenn ich alleine bin, dieser Gedanke, ich könne auf natürlichem Wege keine Kinder mehr zeugen. Unfruchtbarkeit verdrängt Krebs. Es schmerzt, ziemlich sogar. Weil es eben nicht nur um die eigene Zukunft geht. Ich zerre, getrieben vom Krebs, ohne Absicht andere mit in mein Schicksal: Akzeptiert eine zukünftige Partnerin, dass es nicht auf natürlichem Wege geht? Wie wird sie damit umgehen? Immerhin müsste sie sich Eingriffen unterziehen, alles nicht ohne, alles eine Belastung, physisch und psychisch. Überhaupt: Was ist, wenn der Krebs zurückkäme, aber anders, nicht ich gewinne, sondern er, die Befruchtung indes erfolgreich, Nachwuchs längst in der Wohnung. Könnte ich das verantworten, ein Kind, ein Jugendlicher, ein junger Erwachsener, der mit ansehen muss, wie der Vater abberufen wird? Ich weiß es nicht. Schläge tun weh.

 

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Die Diagnose Krebs ist immer schlimm. Aber gerade jungen Menschen wird oft der Boden unter den Füßen weggerrissen, wenn ihnen die Krankheit in ihre Lebensplanung hineinpfuscht. Deshalb gibt es seit 2014 die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Ihr Ziel ist es, die Therapiemöglichkeiten und die Versorgungssituation zu verbessern und Erkrankten mit Gesprächen und Austausch zur Seite zu stehen. Die Facebook-Seite der Stiftung findet ihr hier.