Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #1

Bleiben sollen nur die Narben

 

Jährlich erkranken in Deutschland auf 100.000 Einwohner drei Menschen an der Krebsart Morbus Hodgkin, etwa 2.400 auf die gesamte deutsche Bevölkerung. Das sind nur etwa so viele wie in – sagen wir – Friesack wohnen. Eine systematische, bösartige Erkrankung des Lymphsystems. Noch vor 30, 40 Jahren bedeutete die Diagnose für neun von zehn Betroffenen das Ende.

Heute liegen die Heilungschancen bei 90 Prozent; kaum ein anderer Krebs ist besser erforscht. Die Wissenschaft ist so weit, dass die Ärzte, meine Familie, meine Freunde und ich angetreten sind, um am Ende der Therapie wieder gesund zu sein, auch darüber hinaus. Ohne große Einschränkungen, ohne großes Handicap. Bleiben sollen nur die Erinnerungen und Narben.

Raus aus dem Sprechzimmer gehen Mama und ich kurz zu meinem Krankenbett. Die Anspannung fällt von uns. Wir wollen zu McDonalds, ein bisschen feiern, so komisch es klingt, mit einem Wrap und Vanilleeis. Vorher hole ich mir noch etwas zu trinken. Am Wasserspender auf dem Flur steht die Stationspsychologin Nowitzki*. Sie reißt die Arme hoch und ruft; so laut, dass die anderen Patienten es selbst in ihren Zimmern gehört haben müssen: „Basti, Glücksgriff, Glücksgriff!“

Danach geht sie zu meiner Mutter. Beide umarmen sich. Sie sehen erleichtert aus. Als hätten wir schon gewonnen. Womöglich ist es gar nicht schlecht, mit Naivität in den Kampf zu ziehen. Nicht zu wissen, wie viele schlechte Tage auf einen warten, wie viele fiese Gedanken, wie viele Momente, in denen man am liebsten aufgeben möchte. Jetzt aber ist da fast nur Euphorie.

 

Wir können gewinnen

 

Bei McDonalds, den Wrap und das Vanilleeis schon verschlungen, rufe ich meinen Vater an, er konnte beim Gespräch nicht bei uns sein. Die Nachricht der Diagnose Lymphdrüsenkrebs lässt ihn Grinsen. Ich höre es durchs Telefon. Er ist gerade einkaufen, als ich ihn erwische. „Ich bin so froh, Dicker. Ich glaube, ich gönne mir jetzt was Schönes zu essen.“

Ein paar Tage später, wir unterhielten uns über das Telefonat, erzählte er mir, abends sei er wieder in ein Loch gefallen. Die Krankheit, dieses Wort Krebs übermannte ihn. Das Glücksgefühl hielt nur ein paar Minuten. Der frische Gyros von der Fleischtheke sah doch besser aus, als er schmeckte.

Und dann schreibe ich meinen Freunden bei WhatsApp. Sie könnten es auch in Zukunft mit mir aushalten. Dass es nicht ums Sterben ginge, ich diesen Gedanken jedenfalls nicht zuließe. Dass ich erleichtert sei. Dass wir gewännen. Keine Zweifel bei mir seien, nicht mal im Ansatz.

Elfmeter versenkt.

 

*Namen von der Redaktion geändert.

 

Die Diagnose Krebs ist immer schlimm. Aber gerade jungen Menschen wird oft der Boden unter den Füßen weggerrissen, wenn ihnen die Krankheit in ihre Lebensplanung hineinpfuscht. Deshalb gibt es seit 2014 die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Ihr Ziel ist es, die Therapiemöglichkeiten und die Versorgungssituation zu verbessern und Erkrankten mit Gesprächen und Austausch zur Seite zu stehen. Die Facebook-Seite der Stiftung findet ihr hier.