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Langzeitbeziehung: Habe ich mein (Liebes-)Leben verpasst?

Im zarten Alter von 16 Jahren kreuzte eine Person meinen Weg, die von einem Tag auf den anderen mein ganzes Leben auf den Kopf stellte. Ganz unschuldig und ohne Plan verliebten wir uns ineinander. Jetzt, fast zehn Jahre später, sitze ich hier und schreibe darüber. Immer noch in einer festen Beziehung, immer noch verliebt – und immer noch mit derselben Person an meiner Seite.

Ein verlorenes Relikt

Wenn mich jemand nach meinem Beziehungsstatus fragt und ich ehrlich antworte, werde ich oft mit großen Augen angeschaut. Es gibt im Grunde zwei vorhersehbare Reaktionen. Die einen empfinden das alles als romantisch und schön, so richtig „oldschool“, weit entfernt von der heutigen „Wegwerfgesellschaft“. Die anderen reagieren skeptisch, als würde ich ihnen eine Geschichte erzählen, die einfach nicht wahr sein kann. Es folgen dann Fragen wie „War er dein erster Freund?“, „Wie habt ihr das geschafft?“ und „Konntest du dich überhaupt frei entfalten, wenn du nie alleine warst und so eingeschränkt gelebt hast?“ – beinahe so, als wäre ich ein seltenes Relikt, das irgendwo im Mittelalter verloren gegangen ist und nun endlich wiederentdeckt wurde.

Ich verstehe diese Fragen. Ich würde sie vermutlich auch stellen, wenn mein Lebensweg ein anderer wäre. Schließlich faszinieren mich auch die wilden Dating-Geschichten meiner Freund*innen und ich bin immer die Erste, die alles ganz genau wissen will. Ich hänge förmlich an den Erzählungen, die ich in dieser Form nie erlebt habe.

Lass mich los und finde mich wieder

Aber zurück zu den Fragen. Ja, er war und ist mein erster Freund. Und auch ich bin seine erste Freundin. Zwar waren wir beide vorher nicht komplett unerfahren, aber von Liebe habe ich vor ihm nicht gesprochen. Wie haben wir das geschafft? Gute Frage, nächste Frage. Ich müsste lügen (und es wäre auch unrealistisch), wenn ich behaupten würde, dass wir während unserer zehnjährigen Beziehung nie Zweifel hatten. Es gab Zeiten, in denen wir uns fragten, ob es noch Sinn macht, ob es nicht an der Zeit wäre, allein zu sein, um uns selbst zu finden.

Die Antwort darauf hängt eng mit der dritten Frage zusammen: Wie konnte ich trotzdem eigene Erfahrungen sammeln? Und die Antwort ist so simpel wie naheliegend: Ich habe es einfach gemacht. Ich denke, dass ich wenige Entscheidungen anders getroffen hätte, wenn ich single gewesen wäre. Und das mag jetzt vielleicht egoistisch klingen, aber ich habe mich immer erst gefragt: Was will ich? Dann haben wir darüber geredet und ich habe gefragt: Was willst du? Und vielleicht hatten wir dann auch nur Glück, aber meistens ist das ganz gut aufgegangen.

Ich bereue nichts, aber ich vermisse auch nichts, weil wir uns nie aufgehalten haben. Wir reisen zusammen – wir reisen alleine. Wir verbringen alleine Zeit mit Freund*innen – wir gehen zusammen feiern. An einem Tag reden wir nur zwei Sätze miteinander – manchmal verbringen wir ein ganzes Wochenende in einer winzigen Hütte im Wald. Wir schweigen zusammen – wir lachen zusammen. Es ist genau das, was ich unter einer Partnerschaft verstehe. Wir halten uns fest und lassen uns zum richtigen Zeitpunkt los – aber egal was passiert, wir finden uns immer wieder.

Das fehlende Puzzlestück

Es mag kitschig und absurd klingen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es bestimmte Menschen gibt, denen du im Leben begegnen musst. Es ist vorherbestimmt. Wie Puzzlestücke, die sich nach und nach zu einem klaren Bild zusammenfügen. So war es bei uns. Die richtige Person zur richtigen Zeit. Wir haben beide jemanden gebraucht und beide haben wir jemanden gefunden. Sicherlich werde ich niemals die Erfahrungen machen, die meine Single-Freundinnen in ihren 20ern gemacht haben. Aber sie werden auch niemals die Erfahrungen machen, die ich gemacht habe. Und das ist völlig in Ordnung. Wir sind alle individuell, und so verlaufen auch unsere Lebenswege. Niemals ist alles gleich (und wie langweilig wäre das auch, wenn es so wäre – was bliebe uns dann noch zu erzählen?).

Liebe ist nicht einfach – sie ist kompliziert und verwirrend. Manchmal treibt sie mich in den Wahnsinn und ich stelle alles infrage. Aber Liebe ist auch wunderschön. Sie ist um Mitternacht in der Küche tanzen. Sie ist lachen bis der Bauch wehtut. Sie ist über Filme und Musik diskutieren. Sie ist nachmittags ins Kino gehen. Sie ist Sand im Haar und Sonne im Gesicht.

Und wenn ich nachts beschwipst aus der Kneipe falle, lachend in den Armen meiner Freundinnen, dann ist der letzte Gedanke des Abends bei ihm. Immer.

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Bildquelle: Gabriel Bastelli via Pexels; CC0-Lizenz