Body Count als Frau: Messen mit zweierlei Maß

Diana ist eine junge Frau, die mit mir über ihren Body Count gesprochen hat. Wenn du dich fragst, wie hoch er ist, bist du Teil des Problems.

Diana empfindet ihren Body Count als ziemlich hoch. Als zu hoch, um genau zu sein. Ich werde bewusst darauf verzichten, eine konkrete Zahl zu nennen. Ob man einen Body Count von 10, 80 oder 200 bei Diana als hoch empfinden würde, ist wohl von Person zu Person unterschiedlich. Vielmehr geht es darum, dass man sich überhaupt darüber Gedanken macht, mit wie vielen Männern eine Frau zuvor im Bett war. Und ja, es geht explizit um heterosexuelle Frauen. Schließlich ist das Kernproblem die Beurteilung einer Frau und ihres Wertes durch Männer.

Wenn woke Studenten nach dem Body Count fragen

Häufig lügt Diana, wenn sie nach ihrem Body Count gefragt wird. Zuallererst wundern sich viele sicher darüber, dass ein so aus der Mode gekommenes Konzept offenbar noch immer ein so großes Thema ist, dass man diesbezüglich „häufig lügen“ könnte. Aber die Realität gibt Diana Recht: Oft genug war ich dabei, als sie nach ihrem Body Count gefragt wurde, meist von Typen im Rahmen irgendwelcher Trinkspiele. Ihre tatsächliche Zahl offenbart sie eigentlich nie. Bei ihr greift ganz klar die Dreierregel: Während viele Männer ihren Wert mit drei multiplizieren, drittelt Diana ihre Zahl. Und selbst dann blickt sie teils in eine Reihe fassungsloser, fast schon missbilligender Gesichter. Oder aber es kommen Kommentare wie „Sowas hab ich mir schon gedacht“, begleitet von einem vielsagenden Blick. Da kommt man doch nicht umhin sich zu fragen: Was hast du dir schon gedacht? Dass sie eine Schlampe ist?

Wer jetzt alles auf den Alkohol schieben will, hat aber weit gefehlt: Diana berichtet, dass sie auch bei Dates regelmäßig danach gefragt wird, mit wie vielen Typen sie vorher denn in etwa geschlafen habe. Nicht bei ersten Dates, bei weiterführenden dafür aber umso häufiger.

Nun könnte man Dianas Umfeld als Ausrede verwenden. Aber ihre Wahl fällt normalerweise auf die Männer, die sich als „woke“ im positivsten Sinne beschreiben lassen: Politisch interessierte, linksorientierte Studenten, die gern bouldern, wandern oder morgens im See schwimmen gehen. Selbst in vermeintlich fortschrittlichen Kreisen ist die Zahl der Sexpartner einer Frau für Männer noch ein Thema.

Kein ausgestorbenes Konzept

Besonders makaber ist der sogenannte „Body Count“, weil es sich dabei eigentlich um Kriegsvokabular handelt. Bezeichnet wird damit die Anzahl der bereits getöteten Menschen der gegnerischen Partei. Dass ein dermaßen tragischer Begriff nun seit einigen Jahren als Social-Media-Trend kursiert und dabei für etwas so Irrelevantes wie die Anzahl der Sexualpartner*innen steht, ist schlichtweg geschmacklos.

Natürlich war die Anzahl der vorherigen Sexpartner einer heterosexuellen Frau auch ein heiß diskutiertes Thema, bevor das Wort „Body Count“ in dieser Form auf TikTok aufgetaucht ist. Es war immer wichtig, mit wie vielen Männern eine Frau zuvor geschlafen hat und wie „rein“ sie dementsprechend noch ist. Es gab lediglich keinen konkreten Begriff, anhand dessen eine Frau so schnell in eine Schublade einsortiert werden konnte. Und ja, es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass explizit Hetero-Frauen die Leidtragenden des Konzepts Body Count sind. Während Männer Buch über die Frauen führen, die sie rumgekriegt haben und jedes Mal überglücklich den Stift zücken, wenn sie ihre Strichliste weiter ausbauen können, sind Frauen zumeist alles andere als stolz auf die steigende Zahl.

Was der Body Count wirklich aussagt

Diese unterschiedliche Wertung des Body Counts bei heterosexuellen Männern und Frauen wird oft vor allem damit begründet, dass es als Frau deutlich leichter sei, Sex zu bekommen. Man müsse nicht einmal wirklich danach suchen und praktisch nichts dafür tun. Dementsprechend stecke hinter dem Sex keinerlei Arbeit. Frauen seien in der Regel deutlich wählerischer als Männer und somit nicht so leicht ins Bett zu kriegen. Wenn ein Mann es schafft, eine Frau für sich zu gewinnen, sei das folglich mit mehr Anstrengung verbunden und wird als Leistung betrachtet, während es bei Frauen als billig gilt.

Was dabei völlig außer Acht gelassen wird, ist jedoch die Tatsache, dass die meisten Männer mit deutlich mehr Frauen schlafen würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Diana ist eine konventionell attraktive Frau. Sicher hat auch sie nicht mit allen Männern geschlafen, mit denen sie es theoretisch gern getan hätte – mit 90 Prozent aber schon, wie sie berichtet. Die Zahl der Männer, an denen sie Interesse hatte, liegt damit wahrscheinlich deutlich unter der Zahl an Frauen, mit denen ein durchschnittlicher Hetero-Mann gern schlafen würde. Der feine Unterschied besteht lediglich darin, dass es ihm nicht gelingt. Insofern hat der tatsächliche Body Count de facto überhaupt keine Aussagekraft.

Und selbst die Anzahl der Menschen, mit denen man gern intim werden würde, sagt lediglich etwas darüber aus, wie aufgeschlossen oder experimentierfreudig man im sexuellen Bereich ist. Oder schlicht und einfach darüber, wie groß der Sex Drive ist und wie schnell man eine andere Person attraktiv findet. Die Beziehungstauglichkeit eines Menschen danach zu beurteilen, wie stark diese Eigenschaften ausgeprägt sind, erscheint unterkomplex. Wem es trotzdem wichtig ist, dem sei es natürlich erlaubt, Wert darauf zu legen – dann aber bitte bei Männern und Frauen gleichermaßen.

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Bildquelle: Julio Motta via Pexels; CC0-Lizenz