Langzeitfolgen von COVID: Wie das Spike-Protein das Gehirn dauerhaft schädigt
Forschende des Helmholtz Zentrums München und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) haben einen Mechanismus identifiziert, der die neurologischen Symptome von Long COVID erklären könnte. Die Studie zeigt, dass das SARS-CoV-2-Spike-Protein auch Jahre nach einer Infektion in den Hirnhäuten und dem Knochenmark des Schädels nachweisbar bleibt. Diese Ablagerungen könnten chronische Entzündungen auslösen und das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen erhöhen. Die Forschenden betonen, dass dies ein potenzielles Ziel für neue Therapien sei.
Prof. Ali Ertürk, Direktor des Instituts für Intelligente Biotechnologien bei Helmholtz Munich, erklärt, dass mRNA-COVID-19-Impfstoffe wie der von BioNTech/Pfizer die Anreicherung des Spike-Proteins im Gehirn signifikant verringern könnten. Dies reduziere zwar die Belastung, schließe jedoch nicht aus, dass weiterhin toxische Restmengen im Körper verbleiben.
Wie KI das Unsichtbare sichtbar macht
Mit einer neuartigen, KI-gestützten Bildgebungstechnik konnten die Forschenden dreidimensionale Visualisierungen der Ablagerungen des Spike-Proteins erstellen. Sie fanden besonders hohe Konzentrationen in den ACE2-Rezeptor-reichen Hirnhäuten und im Schädelknochenmark. Dr. Zhouyi Rong, Erstautor der Studie, hebt hervor, dass diese Regionen anfälliger für die langfristige Speicherung des Spike-Proteins seien. Laut Ertürk könnten diese Ablagerungen auch eine beschleunigte Alterung des Gehirns bewirken, die einem Verlust von fünf bis zehn Jahren gesunder Gehirnfunktion entspricht.
Die Ergebnisse der Studie, veröffentlicht im Fachjournal Cell Host & Microbe, deuten zudem darauf hin, dass diese persistierenden Spike-Proteine zu langfristigen neurologischen Effekten wie Gedächtnisverlust oder Konzentrationsstörungen beitragen könnten.
Impfstoffe: Schutz mit Einschränkungen
Die Forschenden stellten fest, dass der BioNTech/Pfizer-Impfstoff die Spike-Protein-Belastung im Gehirn von Mäusen um etwa 50 Prozent reduzierte. Dennoch sei ein vollständiger Schutz nicht gegeben. Ertürk betont, dass weitere Therapien notwendig seien, um langfristige Folgen vollständig zu vermeiden. Die Ergebnisse basieren auf Tiermodellen und müssten durch weitere Studien an Menschen bestätigt werden.
Neben der Schutzwirkung der Impfstoffe könnte die Forschung auch neue Wege für Diagnostik und Therapie eröffnen. Entzündungsmarker im Blut oder der Gehirnflüssigkeit könnten frühzeitig auf neurologische Schäden hinweisen. Dies ermögliche eine bessere Behandlung von Long COVID-Patient*innen, so die Forschenden.
400 Millionen Betroffene: Eine globale Gesundheitskrise
Long COVID betrifft laut der Studie fünf bis zehn Prozent der weltweiten COVID-19-Fälle – etwa 400 Millionen Menschen. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Folgen nicht nur die Betroffenen, sondern auch Gesundheitssysteme weltweit belasten könnten. Die Forschenden heben hervor, dass mRNA-Impfstoffe eine entscheidende Rolle bei der Reduzierung des Risikos langfristiger neurologischer Schäden spielen könnten.
Ertürk beschreibt Long COVID als eine „gesellschaftliche Herausforderung“, die innovative Ansätze in der Medizin und Forschung erfordert. Dabei könnten die Ergebnisse seiner Arbeitsgruppe wegweisend für zukünftige Therapien und Präventionsstrategien sein.
Diagnostik am Schädel: Der Schlüssel zur Früherkennung
Im Gegensatz zu Gehirngewebe sind die Hirnhäute und das Schädelknochenmark leichter zugänglich und könnten für Diagnosen genutzt werden. Durch spezifische Tests, sogenannte Protein-Panels, lassen sich Spike-Proteine oder Entzündungsmarker nachweisen. Diese könnten laut Ertürk die Entwicklung gezielter Therapien unterstützen, um neurologische Beeinträchtigungen durch COVID-19 besser zu behandeln.
Prof. Ulrike Protzer, Virologin bei Helmholtz Munich, sieht in der Studie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Langzeitfolgen von COVID-19. Sie betont die Relevanz der Ergebnisse für die Wissenschaft und die Gesellschaft, insbesondere in Hinblick auf die globalen Herausforderungen durch Long COVID.
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Bild: Unsplash; CC0-Lizenz