Emanzipation: Wer zahlt die Rechnung?

In einer Bar sehe ich ein hübsches Mädchen. Wir haben Blickkontakt. Sie lächelt. Jetzt muss ich den ersten Schritt machen und sie ansprechen… Oder?

Die eine Hälfte der Frauen wird jetzt zustimmend nicken, während die andere Hälfte darüber empört den Kopf schüttelt. Gleichzeitig verlassen XY-Chromosomen mit einem verunsicherten Schulterzucken den Raum. Schon längst herrscht über das richtige Verhalten beim Balzen stetige Verwirrung unter uns Männern.

Es fühlt sich an, als stößt die Emanzipation der Frau unaufhaltsam in eine der noch letzten Bastionen der Männer vor und bringt dabei alles durcheinander. Alle schönen Regeln und Checkpoints, die uns Sicherheit geben und an denen wir unser Gentleman-Verhalten und unsere Männlichkeit unter beweis stellen können, werden von spontanen Bauchentscheidungen der Gegenseite unter Beschuss genommen.

Frauen wollen plötzlich die Rechnung zahlen und halten ihrem Geliebten die Tür auf. Knigge hat uns Männer auf so etwas nicht vorbereitet!

 

Es herrscht allgemeine Verunsicherung

 

Ob es um erste Küsse, Rechnungen oder Heiratsanträge geht. Was für eine emanzipierte Frau in Ordnung geht, ist für Männer ungefähr genauso schwer einzuschätzen, wie die Zeitspanne zwischen „Ich komme gleich!“ und ihrem tatsächlichem Orgasmus.

Es gibt eine Szene aus der „Bill Cosby Show“, in der Elvin von seiner Frau Sondra gerügt wird, wenn er ihr die Tür aufhält und ebenfalls gerügt wird, wenn er es nicht macht. In dieser Zwickmühle gefangen wendet er sich hilfesuchend an seinen Schwiegervater Cliff Huxtable, der ihm nur raten kann, in solchen Situationen einfach ergebend die Hände in die Luft zu heben und alles Weitere abzuwarten.

Das neue Selbstbewusstsein der Frau kollidiert also gnadenlos mit der männlichen Erziehung und lässt uns schlichtweg in unserem zuvorkommenden Handeln erstarren.

 

Der Rechnungskampf

 

Es sind aber nicht nur wir Männer, die unter dieser Verunsicherung leiden, denn teilweise sind wir schon sehr gewöhnt an die Emanzipation und verunsichern wiederum die klassischen Lager der Frauen, die einen traditionellen Gentleman bevorzugen. Man erahnt langsam das angesprochene Chaos.

In „How I Met Your Mother“ erklärt Ted den so genannten „Rechnungskampf“: Wenn es bei einem Date zum Bezahlen kommt und er natürlich traditionsgemäß nach dem Tellerchen greift, verlangt er mindestens einen einzigen Widerspruch der Frau, dem er natürlich wiederum sofort widerspricht und die Rechnung selbst zahlt. Aber er benötigt eben diesen einen Widerspruch, der ihm verrät, dass sie zumindest ihre Selbstständigkeit andeutet und sich nicht selbstverständlich einladen lässt.

Da gibt es nämlich die tolle Gattung der aufreizenden Dame, die mit 10€ in der Tasche in den Club geht, um wild flirtend freie Drinks von spendablen Männern abzugreifen, um sich anschließend einfach an den nächsten Hals zu werfen, weil es bei dem gerade Shots gibt.

Wenn sich eine Frau bei einem Date einfach einladen lässt, läuft sie Gefahr, als eine solche „Schmarotzerin“ abgestempelt zu werden.

Frauen sitzen also, ähnlich wie Männer, in einer Zwickmühle. Fügen sie sich den traditionellen Gegebenheiten und lassen den Mann alles machen, wird ihnen vorgeworfen, sie würden sich die Rosinen aus dem Emanzipations-Kuchen picken.

 

Zu kluge Frauen und zu arme Männer

 

Kommen wir endlich mal wieder zu einer Studie. Frauen kämpfen nämlich scheinbar noch mit einem viel größeren Problem: Auf dem Singlemarkt ist die Mehrheit der Frauen gut situiert und gebildet, während die Mehrheit der Single-Männer im Vergleich dazu sozial tiefer stehen. Etwas extremer: Single-Frauen sind schlau, Single-Männer sind arbeitslos. Das legt die Vermutung nahe, dass Frauen reiche Typen wollen und Männer hilflose Frauen.

Ich habe hier stark pauschalisiert, aber es bestätigt zumindest in etwa dem, was ich von Frauen selbst aufschnappe. Dafür zurück zum ersten Fall: Ich kenne Männer, die nach dem Blickkontakt zu schüchtern waren, die Frau in der Bar anzusprechen. Also hat sie das selbst in die Hand genommen. Aber ich kenne mindestens genauso viele Frauen, die das nie machen würden. Der Mann muss ihrer Meinung nach den ersten Schritt machen. Sie will das schwache Geschlecht sein und erobert werden. Das Gefühl haben, der Mann kann die Dinge anpacken, der Jäger und Ernährer sein. Sie ansprechen und die Rechnung zahlen. Das gibt ihnen Sicherheit und der Mann fühlt sich… „männlich“. Klingt einleuchtend, aber nicht gerade gleichberechtigt.

Die Rechnung beim ersten Date ist wohl das beste Beispiel für diese verzwickte Lage der Gleichberechtigung. Es kommt nämlich alles zusammen, was den Unterschied zwischen Mann und Frau ausmacht.

Die schlechte Nachricht ist, es gibt keine Lösung. Die Rollenaufteilung ist vielleicht überholt und widerspricht dem Prinzip der Emanzipation, aber der Vorteil liegt unbestreitbar in der Tatsache, dass jeder weiß, was er zu tun hat.

Bevor sich jetzt jemand aufregt: Ich bin selbst der Meinung, es ist in erster Linie ein Problem der Männer und nicht der Frauen. Aber ich glaube die Frauen können uns da helfen.

 

Für uns Männer geht es um unsere Daseinsberechtigung

 

Wenn wir die Frau bezahlen lassen, könnte sie uns für unmännlich halten. Schließlich schwebt noch immer das Prinzip des Mannes als Ernährer über unserer Gesellschaft. Es gibt auch keinen Mittelweg, denn teilt man sich die Rechnung, sieht es einfach nach einem schlechten Date aus.

Ich finde es zwar gut, wenn die Frau auch mal zahlt, aber die eingeimpfte Erziehung macht mir ein unglaublich schlechtes Gewissen, sodass ich ihr mindestens einen Rechnungskampf liefere, der für sie nicht leicht zu gewinnen ist. So kann ich mich als verantwortungsvoller Mann fühlen und das zumindest vor der Bedienung beweisen.

Picasso wusste schon: „Es ist viel Wahrheit in dem Ausspruch, daß ein Mann nicht größer sein kann, als die Frau, die er liebt, ihn sein läßt.“

Also liebe Frauen, wir wissen, dass ihr wisst, wie Türen aufgehen und auch, dass ihr mit Geld umgehen könnt, aber bitte schenkt uns doch einfach die Illusion, dass wir alles im Griff haben. Ihr könnt euch beruhigt zurücklehnen und aus gemütlicher Entfernung eure Macht genießen, während wir euch von vorne bis hinten bedienen, um das Protokoll zu erfüllen.

 

Matthias Starte ist Autor und Filmemacher. Im Norden geboren, in München Zuhause. Am liebsten isst er Bacon-Cheeseburger, trinkt dazu Spezi und redet mit anderen Vinyl-Snobs über Interviews mit Questlove. Aktuell arbeitet er an seinem Langfilmdebüt und schreibt diese Kolumne über Liebe und Beziehung.

 

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Bildquelle: Pixels.com unter CC BY 2.0