Zum Heiland mit Maeckes: „Als Kind war ich erwachsener als heute“

 

Hat es dir auch geholfen, anderweitig unterwegs zu sein, ob nun bei Projekten wie der „Rap Up Comedy“, die Theaterelemente mit Rap verband, oder bei den Orsons, die ja streng genommen ein Bandprojekt sind?

Bestimmt, aber: Man lernt und verlernt immer gleichzeitig. Das darf man nie vergessen. Ich habe in der ganzen Zeit mit Sicherheit viel gelernt und vieles davon macht heute Maeckes als Musiker und Mensch aus. Aber auf der anderen Seite verlernt man dann immer wieder Dinge, die man sich so emsig beigebracht hat. Wenn man sich auf eine Sache konzentriert und sozusagen ein Purist wird, wird man in dieser einen Sache dann irgendwann krass gut. Insofern: Diese vielen anderen Nebenschauplätze haben im besten Fall in ihrer Gesamtheit ein gutes Ding ergeben. Oft hat man ja aber auch das Phänomen, das man sich auf viele Dinge fokussiert, und die nur halbgar werden.

Die Tatsache, dass es so lange gedauert hat: Lag das auch ein Stück weit an deinem Perfektionismus und Selbstanspruch? Du sagtest ja selbst, das bei vielen Projekten (etwa der Mash Up-Reihe oder deiner „Manx EP“) die Lieder eher Skizzen gleichkamen.

Definitiv. Ich will heute mittlerweile für Dinge, die ich mache, einfach geradestehen. In der Vergangenheit waren viele meiner Projekte Ausflüchte, weil ich dachte, dass ich es eigentlich besser kann. Ich wollte mich an solchen Projekten nie messen lassen. Das fand ich sehr schwierig. Ich hab ’ne gewisse Zeit gebraucht, mich zu akzeptieren.

Das passt ja auch gut zu deinem Pressetext, in dem steht, dass einige der Songs auf „Tilt“ Lieder waren, an die du dich jahrelang nicht herangetraut hast, die dir aber auf dem Herzen lagen und die du nun endlich umsetzen konntest.

Bei einigen Songs ist das definitiv so. Oft aber auch wollte ich Angefangenes zu Ende führen. Etwa diese Zeile „Ich bin nicht Maeckes“, die gibt es ja wirklich schon seit Jahren. Mit der habe ich wirklich schon ewig herumgespielt. Der Song „Tilt“ half mir dann, das abzurunden und nun zu Ende zu führen.

Dann gibt es aber zum Beispiel den Song „Atomkraftwerke am Strand“, der gar nicht zu meinem Gesamtwerk passt und der einen Blick nach draußen darstellt. Ich glaube aber schon, dass ich ein sehr selbst-referenzielles Album machen wollte, das viele Dinge zum Abschluss führt und einen Bezug zu dem bisher Geschaffenen herstellt.

Welche Lieder zählst du zu denen, die dir schon lange auf dem Herz lagen?

Ich glaube, einer der ersten Textzeilen, die auf „Tilt“ geschrieben wurden waren: „Wie alle Kippenstummeln zwischen den Bahngleisen zusammen“. Die Zeile wurde dann zu einem Lied. Der Text von „Wie alle Kippenstummeln zwischen den Bahngleisen zusammen“ zum Beispiel ist so krass alt, der lag auf meiner kopfinternen Festplatte schon ewig rum. Das war ein sehr trauriges Lied, das ich über eingespielte Midi-Klaviere geschrieben habe. Die Skizze habe ich dann Tristan geschickt und er hat daraus diese Uptempo-Abfahrt gebastelt. Am Anfang hat das mein Herz gebrochen. Stück für Stück habe ich dann aber gemerkt, wie genial der Move war, und wie aus einer lange existierenden Idee etwas Fertiges entstehen kann.

Du bist als jemand bekannt, der ungemein viele Talente und Leidenschaften in einer Person vereint. Ich erinnere mich an ein Konzert von dir, bei dem du selbstgemalte T-Shirts verkauft hast.

Ja, das war auf der Neopunk-Tour (2008 mit Prinz Pi und Casper, Anm. d. Red). Ich habe mich da einfach den lieben langen Tag im Tourbus gelangweilt und dann immer ein T-Shirt gemalt. So hatte ich plötzlich eigenes Merchandise (lacht). Und mir gefällt auch der Gedanke, Unikate herzustellen. Qualitätsprodukte sollten oft endlich sein. Und Fans sollten auch das Anrecht auf Werke zu haben, von denen es nur eine begrenzte Anzahl gibt. Sowas mag ich gerne.

Du hast Tristan Busch schon angesprochen: Der hat dein Album ja komplett produziert und mit dem du spielst du auch live. Wie unterscheidet sich die Zusammenarbeit mit ihm im Vergleich zu anderen Produzenten, mit denen du zusammengearbeitet hast?

Tristan macht und checkt Musik. Ich mache ja auch Musik, aber ich habe da einen ganz anderen Zugang. Ich komme vom Samplen, von Loops, über Umwege zum Endresultat. Tristan hingegen setzt sich hin und sagt an: „Wir machen das jetzt in B-Moll, arrangieren das so und so und brauchen dafür das und das Instrument.“ Das ist etwas sehr Krasses, da habe ich viel gestaunt und gelernt. Und menschlich verstehen wir uns auch sehr gut.

Die Orsons – Jetzt from Formzwei on Vimeo.

Wie habt ihr euch denn kennengelernt?

Ich habe ihn für „Jetzt“ von den Orsons gesampelt. Wir mussten dann das Sample clearen, damit wir das rausbringen können. Dann hat man rausgefunden, dass wir nah beieinander lebten, Tristan aus Tübingen und ich aus Stuttgart. Nach einem Konzert habe ich ihn dann gefragt, ob er Lust hat, das Album mit mir zu machen. Er sagte dann sofort: „Ich mag deine Musik zwar, aber ich hätte das gerne in bunt. Du machst das immer so einfarbig. Und ich hätte das gerne in bunt“. Wir waren uns dann schnell einig und wir haben auch zusammen an Texten gesessen.

Du giltst als jemand, der viel in Eigenregie macht und an ganz vielen Enden seine Finger mit im Spiel hat. Was hast du im Zuge des „Tilt“-Albums mitgestaltet?

Wir haben eine ganz kleine Zelle, die zusammenarbeitet und den Laden schmeißt. An der Musik habe ich wie gesagt eng mit Tristan zusammengearbeitet. Aber auch Äh Dings hat produziert und zudem die Grafiken gestaltet, weil er selbst gelernter Grafiker ist. Für die Musikvideos und insbesondere die Ideen dahinter war ich selbst zuständig. Die Produktion der Videos habe ich in Zusammenarbeit mit anderen gemacht, einfach, weil ich das alleine nicht stemmen könnte. Aber es stimmt schon: Texte, Musik, Videos, Grafikkonzepte, Promotionsstrategien – das sind alles Dinge, bei denen ich mitgewirkt habe und mitwirken will. Mir ist das auch wirklich wichtig. Ich sehe mich da als Projektleiter, der vieles mitgestaltet, aber nicht alles alleine leisten kann.

„Getting Jiggy With It“ ist zum Beispiel ein Video, das durchaus Maeckes’esque ist und viele Einstellungen hat, die den Zuschauer überraschen. Was war die Idee hinter diesem Video?

 

 

Du arbeitest da ja mit krassen Kontrasten. Basketball-Trickshots treffen auf Drohnenaufnahmen oder Kriegsszenen.

So ist es aber halt manchmal. Oft treffen das Beste und das Schlechteste aufeinander und liegen tatsächlich gar nicht weit voneinander entfernt. Vielmehr sind sie zwei Seiten der gleichen Medaille und dieses Fehlerhafte am Menschen gilt es, in „Getting Jiggy With It“ darzustellen.

Ich habe mich gestern beim Hören des Albums auch gefragt: Wie viel Kind steckt eigentlich in Maeckes? Einerseits sind deine Texte sehr reflektiert und zeigen, dass du vieles hinterfragst, andererseits ist „Tilt“ aber auch sehr trotzig und manchmal aufbegehrend.

Es wird immer mehr Kind, ehrlich gesagt. Als ich ein Kind war, war ich deutlich erwachsener als heute. Ich sage immer, ich war ein erwachsener Beamter. Und umso älter ich werde, desto deutlicher merke ich, dass ich mich von Instinkten leiten lassen oder Sachen hinterherrenne. Ich habe dann Spaß daran, trotzig und launisch zu sein. Und das tritt immer öfter auf. Richtig wie Benjamin Button.

Was hast du mit „Tilt“ eigentlich noch so vor?

Ich fände es ganz gut, wenn sich Maeckes zum Release auflösen würde. In Luft. Und ich wäre nicht mehr da. Am 21. Oktober ist Maeckes weg. Und dann in zehn Jahren als Gallionsfigur gesehen werden.

Und warum hast du dir mit „Tilt“ so eine Flipper- und Pokermetapher dafür gesucht?

Das kommt tatsächlich vom Flipperspielen! Nicht dass ich besonders viel Flipper gespielt habe, aber mir ist es irgendwann aufgefallen, dass wenn man etwas zu krass kontrollieren will, man stagniert. So ist es ja beim Flipper und dann leuchtet immer „Tilt“ auf. Das war ein gutes Sinnbild. Abgesehen davon hat der Flipper viele bunte Lichter und das gefällt mir. (lacht)

 

Ganz andere Frage: Wieviel Unverständnis hast du derzeit über Menschen, wenn du siehst, wie viel Scheiße auf der Welt passiert?

Komischerweise habe ich immer mehr Verständnis, was echt komisch ist. Als ich 17 geworden bin, habe ich das Leid der Welt über mir zusammenbrechen lassen und musste mich da rausarbeiten. Und muss sagen: Heute zeigt die Geschichte, dass man alles verstehen kann. Geschichte kann immer sehr viel erklären, aber macht es dann leider nicht besser. Der Kinderficker bleibt halt immer noch der Kinderficker, auch wenn man es rückblickend verstehen kann. Deswegen finde ich, dass zu viel Verständnis gewissermaßen tötet. Aber zum Beispiel so komisch dieses „Jiggy“-Lied mit seinen Will Smith-Momenten ist, die Aussagen bleibt ja: Der Mensch ist das Beste und Schlechteste, also find Dich damit ab. Und deswegen muss man nicht so komisch utopisch tun, als ob ein viel idealerer Mensch diese Welt bevölkert. Wir sind derselbe Typ, der krasse Errungenschaft feiert, aber wir vergewaltigen auch und führen Krieg.

Vielleicht ist Ohnmacht das bessere Wort dafür. Auf „Tilt“ wirst du dir ja bewusst, dass soviel Scheiße auf der Welt passiert, aber machst das einfach nicht zum großen Thema deines Alltaglebens. Wenn ich Tagesschau gucke, mache ich das exakt so nach den Nachrichten.

Voll. Vielleicht ist genau das auch der Antrieb, Alben zu machen, weil man diesen Zeitgeist immer in sich trägt. Wenn mein Album selbstreferenziell ist und das Zwischenmenschliche bespricht, beschreibt „Tilt“ ja genau dieses Gefühl und geschieht – wie jedes andere Album – nicht im luftleeren Raum.

Letzte Frage: Klickt man auf deine Social Media-Accounts, sieht man sehr viele Mittelfinger. Warum verdient die Welt Mittelfinger?

Ich finde, wenn man alles schlecht betrachtet, und zwar gleich schlecht, also nicht mehr zwischen Dingen unterscheidet, wenn alles den Mittelfinger bekommt, ist das ein Ausgangspunkt, der okay ist. Ich finde, wenn man am Anfang Dingen den Mittelfinger zeigt und feststellt, das ist dann doch voll okay, dann ist das viel akzeptabler, als wenn man verkäuferfreundlich mit der ganzen Welt umgeht und dann am Ende merkt, dass es doch scheiße ist, und den Mittelfinger zeigt. Das hat was von jugendlicher Energie. Und ich finde, dass man Sachen schlecht finden darf. Dass es oft witzig ist, es trotzdem Happy Ends gibt und man nicht immer so der Gewinner und der Perfekte sein muss. Und unsere derzeitige Kommunikation macht es uns so einfach, perfekt zu sein, wie es noch nie der Fall war: Du kannst aus zehn Blickwinkeln und Filtern auswählen, welcher dir am besten passt. Du kontrollierst, wie dein Ideal ist, aber nur in ’nem kontrollierten Raum. Dadurch wird Unideales und das Losersein versteckt gehalten. Dieses Losersein kann ruhig mal wieder auf den Podest gehoben werden. Wenn DJ Khaled sagt: „All I do is win“ und jetzt müssen wir alle gewinnen, aber wenn das alle so sehen, gibt es nur Gewinner. Und deshalb kann man für dieses Verliererdasein ruhig ’ne Lanze brechen.

Das ist doch ein großartiges Schlusswort. Vielen Dank für die Unterhaltung!