Kanzlerkandidat Martin Schulz von der SPD im Interview mit Philipp Pander von ZEITjUNG

„Ich habe den Hype um mich nie für nachhaltig gehalten.“ – Martin Schulz im ZEITjUNG-Interview

Ein Interview von Philipp Pander, Laura Drzymalla, July Becker und Matthias Starte

Der Weg zum Bundeskanzler ist sehr, sehr schwierig geworden für Martin Schulz, nun so kurz vor der Bundestagswahl am 24. September. Vorsichtig ausgedrückt. Dabei glich die Kandidatur für den Spitzenkandidaten der SPD einer brutalen Achterbahn-Fahrt. Erst unverhofft in kaum mehr gekannte SPD-Höhen, umnebelt vom omnipräsenten Internet-Hype, dann in großem Tempo wieder steil bergab in den Umfrage-Keller. Wie kommt man persönlich mit solch einem Wechselbad klar? Das wollen wir unter anderem von Martin Schulz wissen, als wir kurzfristig vor der Wahl die Möglichkeit zu einem Exklusiv-Interview mit ihm erhalten. Es sind natürlich die jungen Themen, die wir mit dem Politiker aus Eschweiler mit dem breiten rheinischen Akzent besprechen möchten: bezahlbare WG-Zimmer, das Umweltbewusstsein der Gen Y oder die Legalisierung von Marihuana.

 

Innerhalb kürzester Zeit nach Ihrer Aufstellung zum Kanzlerkandidaten traten gerade viele junge Menschen der SPD bei. Von 10.000 neuen Mitgliedern waren 40% unter 35. Im Internet wurden Schulz-Memes und -Merchandise populär. Haben sie ein Lieblings-Meme?

Martin Schulz: Ich habe den Hype um mich am Anfang nie für nachhaltig gehalten. Was man aber daran gesehen hat, ist, dass wir ein großes Potenzial haben. Und was für die SPD wirklich wichtig ist, sind die über 20.000 Neumitglieder, darunter sehr viele junge Leute. Die mischen jetzt im Wahlkampf kräftig mit.

 

Wie kamen Sie persönlich mit dem Wechselbad aus Popstar-Hype und den anschließenden Niederlagen bei Landtagswahlen und Umfragewerten klar?

Ich habe eine feste innere Mitte und lasse mich so schnell nicht umwerfen. Weder von übertriebenen Umfragewerten, noch von verlorenen Landtagswahlen. Ich habe Überzeugungen und für die kämpfe ich.

 

Um der Generation Y eine ordentliche Zukunft und sich selbst eine Versorgung zu sichern, müssten die Generationen unserer Eltern und Großeltern eigentlich im Interesse unserer Zukunft wählen, anstatt für ihren eigenen momentanen Vorteil. Wie stehen sie zu dem Vorwurf, die älteren Generationen würden sich auf unsere Kosten bereichern und ihre Zukunft auf unserem Rücken austragen?

Die größte Ungerechtigkeit für die jüngere Generation wäre, wenn wir bei der Rente gar nichts tun. Das ist der Hauptunterschied zwischen Frau Merkel und mir. Sie sagt: „Alles ist gut, wir brauchen nichts tun.“

Das ist eine Kampfansage an eine ganze Generation. Denn dann sinken die Renten ab und die Beiträge steigen. Und große Kräfte in der CDU wollen die Leute bis zum 70. Lebensjahr arbeiten lassen. Das ist mit uns nicht zu machen. Folgendes Beispiel zeigt, was sonst passiert: Eine heute 40-jährige Krankenpflegerin wird die höchsten Rentenbeiträge bezahlen müssen, die niedrigste Rente bekommen und als 70-Jährige noch 80-Jährige pflegen. Das ist die Generationengerechtigkeit à la CDU!

 

Was reimt sich auf Wahl? Unser Künstler-Fragebogen zur BTW17 u.a. mit Klaas Heufer-Umlauf und Sophie Passmann…

 

Befinden Sie sich hier in einem Zwiespalt, da die alten Generationen weitaus wahlkräftiger sind?

Nein. Es ist falsch, die Generationen gegeneinander auszuspielen. Wir müssen für Generationengerechtigkeit bei der Rente sorgen.

 

Sie haben nie studiert und auch keine Hochschulreife erlangt. Würden Sie sagen, dass eine berufliche und eine akademische Ausbildung in Deutschland auch heutzutage noch ähnlich viel wert sind?

Ganz klar ja! Für mich ist die berufliche Bildung genauso wichtig, wie die akademische – und das liegt nicht nur an meiner eigenen Biografie. In Deutschland fehlen bis 2030 einer Studie zufolge 3 Millionen Facharbeiter. Die Entwicklung unseres Landes hängt auch davon ab, wie viel Geld wir in Bildung und Qualifizierung investieren. Wir müssen die Berufsschulen mit modernsten Lehrmitteln ausstatten – sie sollen wieder Zukunftswerkstätten sein.

 

Laut einer DSW-Studie studieren etwa drei Viertel der Akademikerkinder und nur etwa ein Viertel der Kinder aus Arbeiterfamilien. Wie kann man es schaffen, Gymnasien und Hochschulen wieder für alle Kids gleichermaßen zugänglich zu machen oder ist es nicht viel mehr eine negative Entwicklung, die nicht mehr aufzuhalten ist?

Herkunft darf kein Schicksal sein! Das ist ein ursozialdemokratischer Satz. Wir müssen massiv in die Bildung investieren, damit nicht mehr Herkunft, oder der Geldbeutel der Eltern, über die Bildungschancen entscheiden. Wir müssen den Bildungsföderalismus modernisieren. Denn die Leute haben die Nase voll, dass zwar alle über Bildung reden, aber der Bund nichts unternimmt. Wir liegen bei den Bildungsausgaben im unteren Drittel der OECD-Staaten. Unsere Position ist: Die Länder sollen gemeinsame Ziele definieren und der Bund soll mit zusätzlichen zwölf Milliarden Euro bei der Sanierung, Modernisierung und digitalen Ausstattung von Schulen helfen.

 

Ein Thema dabei ist natürlich auch die Finanzierung eines Studiums. Und das beginnt heutzutage vor allem bei den horrend gestiegenen Mieten. Mein WG-Zimmer in München, für das ich vor neun Jahren noch etwa 400€ warm gezahlt habe, wird mittlerweile an eine andere arme Socke für 550€ vermietet. Wie kann man diesen Irrsinn denn mal endlich stoppen und Wohnraum, gerade für junge Leute, bezahlbarer machen?

Sie haben völlig Recht. Es kann nicht sein, dass gerade Studenten mehr Zeit mit der Wohnungssuche verbringen müssen, als mit dem Studium. Wir müssen den sozialen Wohnungsbau wieder viel stärker fördern. Übrigens müssen wir auch das Bafög erhöhen. Und die SPD wird die Mietpreisbremse verschärfen. Das hat Bundesjustizminister Heiko Maas bereits in dieser Legislaturperiode vorgeschlagen, aber Frau Merkel und ihr Kanzleramt haben das blockiert.

 

„Es gibt keinen Grund, die Digitalisierung zu dämonisieren.“ – SPD-Kanzlerkandidat im Interview mit ZEITjUNG. (c) Photothek

 

Die fortschreitende Automatiserung scheint kaum aufhaltbar. Selbst in Fastfood-Läden oder Supermärkten werden wir schon von Automaten abkassiert. Welche Konsequenzen werden sich für uns mal daraus ergeben, auch wenn man den Arbeitsmarkt bedenkt? Hört sich lustig an, aber wird es irgendwann nicht vielleicht sogar eine Roboter-Steuer geben müssen?

Davon halte ich nichts. Mal etwas abstrakter gesprochen: Die zentrale Aufgabe der Sozialdemokratie ist es, technologischen Fortschritt in sozialen Fortschritt umzuwandeln. Das war schon immer und ist auch im 21. Jahrhundert so. Jeder Fortschritt birgt Risiken und Chancen. Es gibt keinen Grund, die Digitalisierung zu dämonisieren. Die Zeiten des Umbruchs, in denen wir leben, gestalten wir am besten mit Aufbruch. Ich glaube, dass unser Leben durch die Digitalisierung einfacher wird. Es werden Jobs wegfallen ja, aber dafür werden auch neue Jobs entstehen. Die neuen Jobs der Zukunft werden vor allem eines verlangen – Qualifizierung und Bildung.

 

Wir meinen, dass das mangelnde Interesse junger Menschen an der Politik viel damit zu tun hat, dass Politiker einfach nicht ihre Sprache sprechen. Sie sind in der Vergangenheit durch klare, oft auch provokante Aussagen aufgefallen und nutzen stark Ihre Social-Media-Kanäle, um sich Gehör zu verschaffen. Wann wird Klartext zu Populismus?

Populisten täuschen falsche Antworten vor. In Wirklichkeit haben sie keine Lösungen. Das hat nichts mit Klartext zu tun, ja, ist sogar das Gegenteil davon. Ich glaube, Politik muss verständlich bleiben und ich versuche sehr, darauf bei mir selbst zu achten. Ein Beispiel ist der Umgang mit Donald Trump: Man kann, wie Angela Merkel, natürlich sagen „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere verlassen konnten, ist ein Stück vorbei“. Da fragt man sich aber: Wer sind die anderen? Wie groß ist denn das Stück? Und was heißt dieser Satz eigentlich? Man kann aber auch einem Präsidenten Trump, der nicht bereit ist, sich von einem Nazi-Mob zu distanzieren, sagen: Ihre Politik ist falsch und sie wird nie die der Bundesrepublik Deutschland sein.

 

Interviews, Meinung, Memes: Die Bundestagswahl 2017 auf ZEITjUNG…

 

„Fakenews“ sind omnipräsent geworden und haben einen irren Einfluss bekommen. Wie sollte man mit dem stetig wachsenden Problem der Streuung von Missinformationen umgehen?

Indem wir schnell handeln. Sobald der „Fake“ auftaucht, müssen wir ihn demaskieren. In den Resonanzräumen, in denen er auftaucht, nutzt das oft nichts. Aber das Argument, die Wahrheit, müssen wir dennoch hochhalten.

 

Der Klimawandel scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein, oder? Wie sehen Sie das Umweltbewusstsein der Generation Y im Vergleich zu unserer Eltern-Generation?

Ich erlebe ein enormes Bewusstsein für Umwelt und Klimafragen. Und selbstverständlich ist das auch eine der wichtigsten Zukunftsfragen. Wir dürfen unseren Kindern und Enkelkindern keinen verletzten Planeten hinterlassen. Ich habe mich übrigens schon als Präsident des Europaparlamentes sehr für das Pariser Klimaabkommen stark gemacht – das gilt es jetzt zu verteidigen!

 

Sehen Sie eine Möglichkeit, uns in Bälde autonom mit grüner Energie zu versorgen?

Wir haben uns in Deutschland ja auf diesen Weg gemacht. Und wir haben – beispielsweise durch die deutschen Verpflichtungen im Rahmen des bereits erwähnten Pariser Klimaabkommens – auch einen klaren Fahrplan, wie es weiter geht. Ich halte aber nichts von irgendwelchen Ultimaten – bis dann und dann gibt es keine Verbrennungsmotoren mehr, oder dergleichen. Damit ist keinem geholfen. Wir müssen den Wandel gestalten.

 

Apropos Grün: Würden Sie sich für eine Legalisierung von Marihuana stark machen?

Ich habe meine ganz eigene Suchterfahrung gemacht. Ich habe damit eine Zeit lang den Faden in meinem Leben verloren gehabt. Deshalb bin ich persönlich skeptisch. Ich kann mir aber vorstellen, dass der Deutsche Bundestag darüber eine offene Debatte führt und ohne Fraktionszwang abstimmt.

 

Warum plädierten Sie für die „Ehe für Alle“, anstatt das Konzept der Ehe und das Ehegatten-Splitting zu überdenken? Verheiratete Paare genießen im Gegensatz zu eingetragenen Lebenspartnerschaften immense steuerliche Vorteile. Wir finden das überholt und ungerecht. Ist das Konzept der Ehe so überhaupt noch zeitgemäß?

Ja, ich bin selbst seit 32 Jahren verheiratet. Ich glaube auch nicht, dass alle jungen Leute die Ehe für überholt und ungerecht halten, wie Sie. Ich bin aber bei Ihnen, wenn es um die Beseitigung von Ungerechtigkeiten geht. Deshalb wollen wir mit unserem „Familientarif mit Kinderbonus“ Familien mit Kindern fördern, ganz egal, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht.

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