Merkel Europa Kommentar

Merkel: Europa ist kein Streichelzoo

Von Milena Jovanovic

Aus gegebenem Anlass sollte jetzt mal positive Bilanz aus Merkels misslungener Reaktion auf das weinende Flüchtlingsmädchen Reem gezogen werden: Endlich ist Merkel online! Dafür brauchte es natürlich erst die bundesregierungseigene Vermarktungs-Maschinerie, die sich gedacht hat: Wir machen jetzt mal einen auf Social-Media und bringen die Kanzlerin ins World Wide Web. 1,1 Mio. Facebook-Likes sind ein Witz, Obama hat ganze 43 Mio. und die jungen Wähler will man schließlich auch endlich mal erreichen. Bravo, ihr habt’s geschafft! Endlich mal eine ordentliche Internet-Präsenz für die Kanzlerin.

Und noch viel besser: Wir Cyberspace-Kinder erfahren dadurch, trotz Youtube-Fenster-Tunnelblick, was Politik eigentlich anrichten kann und wo sich die CDU bei für uns relevanten Themen positioniert:
„Für mich persönlich ist Ehe das Zusammenleben von Mann und Frau“, antwortet Merkel Youtube-Star LeFloid im Interview letzte Woche. Das wussten die meisten, die die Bedeutung hinter dem C von CDU kennen. Warum das scheiße ist, wissen Youtuber spätestens durch LeFloids Erklärung „Man könnte also sagen Diskriminierung (gegenüber Homosexuellen) Nein, aber ein Unterschied soll hier weiterhin gemacht werden“. Außerdem wissen wir jetzt endlich mal, was für die Merkel der Schlüssel zum Glück ist: „Ich arbeite gerne was, was mir Spaß macht […] was mich auch nach acht Stunden noch beschäftigt“, erklärt sie LeFloid auf die Frage hin, was gutes Leben für sie bedeutet. Klar, ambitionierte Arbeitskräfte braucht das Land, aber ob da die vorm Smartphone hängende Generation Y mitzieht?!

 

Die Kanzlerin geht viral

 

Naja ok, „unterschiedliche Meinungen muss man eben aushalten können“, da haben Sie schon recht und zumindest lernen wir uns jetzt mal kennen, Frau Kanzlerin. Aber warum eigentlich erst so spät? „Jetzt passt einfach gut, weil wir unseren Dialog mit den Menschen in Deutschland begonnen haben […]“, beginnt Merkel ihr Interview mit LeFloid. Gemeint hat sie natürlich den Start der neuen Plattform „gut-leben-in-deutschland.de“, auf der das Kanzleramt online gehen und in den „Bürgerdialog“ treten will. Angekommen ist aber, was tatsächlich Sache ist: Nach fast 10 Jahren Kanzleramt spricht Merkel jetzt endlich mal persönlich mit uns. Aber warum geht es eigentlich nicht um „Gut Leben in Europa“? Den Griechen würde bestimmt auch noch einiges zu dem Thema einfallen.

Und schon kam der Internet-Hype noch viel schneller als erhofft. #Merkelstreichelt hat die Welt schon umrundet, bevor Reems Tränen getrocknet waren. Der mutigen Schülerin nutzt das zwar nichts, aber immerhin haben wir jetzt endlich mal wieder eine öffentliche Stellungnahme der Kanzlerin zu unserer beschissenen Flüchtlingspolitik. „Es werden manche wieder zurückgehen müssen“, erklärt sie dem palästinensischen Mädchen, die in Deutschland lebt. „Wenn wir jetzt sagen ‚Ihr könnt alle kommen. Ihr könnt alle aus Afrika kommen und ihr könnt alle kommen.’ Das können wir auch nicht schaffen […].“ Bescheuerte Reaktion auf die Verzweiflung eines jungen Mädchens, das der ganzen Welt ihr Leid erklärt. Guter politischer Reality-Check für die Zuschauer.

Aber was machen wir denn jetzt mit den vielen geflüchteten Menschen, die in unserem Land leben und sich eine Zukunft aufbauen wollen? Merkel ist natürlich nicht PEGIDA, sie spricht auch von der notwendigen Verkürzung des Asylprozesses und vielem mehr, aber das Internet betreibt nun mal keinen Qualitäts-Journalismus und hängt seine Hashtags vor boulevardeske Aussagen. Das Internet ist hart.

 

„Politik ist manchmal auch hart“

 

„Politik ist manchmal auch hart“, sagt die Kanzlerin noch zum Thema Asylpolitik. Achso. Das ist gelebte Politik, eine Situation, in der theoretisches Policy-Palaver auf fleischgewordene Realitäten trifft. Endlich sehen wir, wie Merkel auf Menschen reagiert, die bei ihrer Politik leer ausgehen. Und jetzt tatsächlich mal Gehör finden im Bürgerdialog, statt totgeschwiegen zu werden vom Kanzlerinnen-Monolog. Merkel ist mittlerweile sowas von viral gegangen, dass selbst LeFloid dagegen einpacken kann. Endlich mal eine Digitalmerkel, mit der man was anfangen kann (ihre Facebook-Seite ist so langweilig, man hat nach zwei Minuten schon alles ausgestalkt).

So hat sich die regierungseigene PR-Abteilung das zwar bestimmt nicht vorgestellt, aber wir sagen Danke für unvorformulierte Antworten auf spontane Fragen von echten Menschen, die uns Digitalen deutsche Politik näher bringen. Ob wir dadurch die Lebensqualität in Deutschland tatsächlich steigern können, wird sich noch zeigen. Merkels Online-Fame bleibt bestimmt (das Internet schläft nie).
Bildquelle: Wikimedia Commons

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!