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Eine Liebeserklärung an: Die Serie „Gypsy“

Therapeutin Jean Holloway (Naomi Watts) tut in der Netflix-Serie Gypsy genau das, was eine Therapeutin unter gar keinen Umständen tun darf: Sie mischt sich ins Privatleben ihrer Patienten ein und trifft unter falschem Namen die Menschen, mit denen ihre Patienten Konflikte haben.

Im Mittelpunkt steht Jean, die sich durch ihr unprofessionelles Verhalten zunehmend in eine Abwärtsspirale katapultiert Sie ist eine verheiratete Frau in ihren Vierzigern, hat eine Tochter und ist beruflich erfolgreich, ebenso wie ihr Ehemann Michael. Eigentlich ist also alles perfekt. Doch dann lernt sie, bewusst unter dem falschem Namen „Diane“ die Ex-Freundin Sydney (Sophie Cookson) ihres depressiven Patienten Sam kennen. Er hatte sie in den Sitzungen immer als besonders faszinierend beschrieben. Zwischen Jean und der jungen Frau ist sofort eine Chemie spürbar. Jean beschließt, Sydney auf ihrem Konzert zu besuchen und taucht dann immer mal wieder zufällig in ihrem Leben auf. Bald beginnen die zwei Frauen, sich SMS zu schreiben und sich auch bewusst zu verabreden.

 

Jean ist fasziniert von Sydneys offenem und freiem Lebensstil

 

Stück für Stück verändert Jean ihr Verhalten. Ihr Doppelleben vereinnahmt sie zunehmend. Immer öfter lügt sie ihren Mann oder ihre Freunde und Kollegen an und schlüpft in die Rolle von Diane. Von Michael fordert sie offensiveren Sex. Vielleicht, weil sie mehr Abwechslung im Leben sucht oder auch, weil sie vermutet, er hätte eine Affäre mit seiner Assistentin. Und auch ihr Alkoholkonsum steigt von Folge zu Folge.

Ein großer Bestandteil der Serie ist ihr Verhältnis zu Sydney. Die sexuelle und emotionale Spannung zwischen den beiden baut sich langsam auf und wird immer wieder durch kleine Spielereien oder einen Rückzug seitens Jean unterbrochen. Jean ist fasziniert von Sydneys offenem und freiem Lebensstil, der auch viel Sex mit wechselnden Partnern beinhaltet. Sydney wird anfangs als manipulierende und spielende Person dargestellt, vor allem wegen den Beschreibungen ihres Ex-Freundes. Im Verlauf der Serie wird ihre Vielseitigkeit aber immer deutlicher, und dass vor allem Jean mit ihr spielt und ihr auch nur Schnipsel ihres erfundenen Privatlebens als Journalistin hinwirft. So cool Sydney auch ist, man merkt, dass ihr das nicht genug ist und dass ihr aber Jean immer wichtiger wird.

 

Die lesbische Beziehung ist nicht die Geschichte

 

Andere Bestandteile der Geschichte sind zwei andere Patientinnen, in deren Leben sie sich einmischt. Die junge Drogensüchtige Allison und die ältere Dame Clair, die zu ihrer Tochter eine schwierige Beziehung hat. Jean ist auch hier auf mehreren Ebenen unprofessionell, denn sie sie bringt Allison in ihrer Apartmentwohnung von früher unter, die sie nie schaffte zu kündigen – vermutlich, um gedanklich noch ein Schlupfloch zu haben. Außerdem freundet sich als Diane mit Clairs Tochter an. Auch in ihrem eigenen Privatleben gibt es ein paar Baustellen, Jean pflegt kaum Kontakt zu ihrer eigenen Mutter und ihre Tochter scheint sich mehr als ein Junge, als ein Mädchen zu fühlen.

Die Serie macht vor allem ihre Atmosphäre aus, auf die man sich erst einlassen muss und die von Folge zu Folge intensiver wird. Möglicherweise können sich besonders Personen mit der Story identifizieren, die selbst Angst haben, etwas in ihrem Leben zu verpassen. Aber gerade durch die junge Sydney in ihren Zwanzigern ist die Serie auch für junge Menschen interessant. Was besonders gut an „Gypsy“ gefällt, ist, dass die lesbische Beziehung nicht die Geschichte ist, sondern als Selbstverständlichkeit Teil der Serie ist. Das kann man sich in mehr Serien und Filmen wünschen.

 

Man wartet darauf, dass ihr Lügenkonstrukt zusammenbricht

 

Jean ist eine ruhelose Figur, mysteriös und schwer zu ergründen obendrein. Die Frau bleibt bis zum Ende voller Rätsel. Für mich als Zuschauerin hat sich ihr Gefühl, nirgendwo richtig hinzugehören, übertragen. Und ich habe ihre „Hin- und Hergerissenheit“ gespürt. Immer, wenn die Serie ihr Familienleben zeigte, dachte ich, dass es doch wirklich sehr schön ist und sie daran festhalten soll, aber sobald sie dann wieder Sydney begegnete, übertrug sich diese Spannung auch direkt auf mich. Ich konnte mich gar nicht entscheiden, ob ich möchte, dass sie mit ihr endlich aufs Ganze geht oder die klügere Entscheidung trifft und die Notbremse zieht. Gerade diesen Konflikt auch beim Zuschauer zu erzeugen, ist gut gelungen. Allerdings wirkt Jeans Verhalten auch sehr befremdlich, gerade in Bezug auf ihre anderen Patienten. Ihre Motivationen sind nicht unbedingt zu verstehen und man wartet darauf, dass ihr Lügenkonstrukt zusammenbricht, denn sowohl ihr Mann als auch Sydney sind ihr auf der Spur. Auch ihre Kollegin und Freundin beobachtet Jenas auffälliges Verhalten. Für die Serie hat Stevie Nicks ihren Song „Gypsy“ neu eingesungen und trägt so auch wunderbar zur Atmosphäre bei.

Die Serie läuft seit dem 30. Juni auf Netflix. Bisher gibt es eine Staffel.

https://www.youtube.com/watch?v=y67_16zSMwk