Neue Studie widerlegt Mythos: Moral ist nicht angeboren

Eine internationale Studie unter Beteiligung der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) hat untersucht, ob Moral angeboren ist. Dabei zeigten die Ergebnisse, dass Kleinkinder unter zehn Monaten noch keine Unterscheidung zwischen guten und schlechten Handlungen vornehmen können. Diese Ergebnisse widersprechen bisherigen Studien, die nahelegten, dass Kinder in diesem Alter bereits moralische Präferenzen zeigen.

Markus Paulus, Entwicklungspsychologe und Professor an der LMU, erklärte, dass die bisherigen Annahmen durch eine großangelegte Replikationsstudie widerlegt worden seien. An der Untersuchung beteiligten sich 40 Forschungsteams weltweit, die das Verhalten von über 1.000 Kindern im Alter von 5,5 bis 10,5 Monaten analysierten. In Experimenten sahen die Kinder Szenen, in denen Figuren einander halfen oder sich feindlich verhielten. Im Gegensatz zu früheren Studien entschieden sich die Kinder zu gleichen Teilen für helfende und hindernde Figuren. „Die Kinder zeigten also keine Vorliebe für prosoziales Verhalten“, sagte Paulus.

Innovative Zusammenarbeit weltweit

Neben der LMU arbeiteten deutsche Universitäten und renommierte Forschungseinrichtungen wie das Max-Planck-Institut in Berlin an der Studie mit. Markus Paulus betonte, dass die internationale Kooperation eine vielversprechende Methode sei, um psychologische Befunde zu überprüfen und so zu verlässlicheren Erkenntnissen zu gelangen.

Entwicklung von Mitgefühl: Fortschritte ab dem zweiten Lebensjahr

Bereits im Alter von 18 Monaten entwickeln Kinder Mitgefühl, wie eine weitere Studie der LMU ergab. Im Rahmen einer Längsschnittstudie wurden 127 Mutter-Kind-Paare über 18 Monate hinweg begleitet. Zu verschiedenen Zeitpunkten untersuchte das Forschungsteam um Markus Paulus und Tamara Becher, wie die Kinder auf das Leiden oder Lachen anderer Personen reagierten. Dabei zeigte sich, dass die Kinder mit zunehmendem Alter deutlicher Mitgefühl zeigten, etwa durch Mimik oder Trostgesten.

Eine wichtige Voraussetzung für Mitgefühl ist die Fähigkeit, zwischen dem eigenen Selbst und anderen Personen zu unterscheiden. Diese Selbstkonzeption bildet sich laut den Forschenden im zweiten Lebensjahr heraus. In spielerischen Tests beobachteten die Kinder Situationen, in denen Personen Schmerz oder Freude zeigten. Markus Paulus erklärte: „Mitgefühl erfordert nicht nur emotionale Resonanz, sondern auch kognitive Fähigkeiten wie den Perspektivenwechsel.“

Feinfühligkeit der Eltern als Schlüssel

Die Feinfühligkeit der Eltern beeinflusst maßgeblich die Entwicklung von Mitgefühl. Kinder von Eltern, die einfühlsam auf ihre Bedürfnisse reagierten, zeigten bereits früher Anzeichen von Mitgefühl. „Kinder lernen von feinfühligen Bezugspersonen, wie sie mit negativen Emotionen umgehen können“, so Paulus. Das soziale Umfeld spiele daher eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung dieser Fähigkeiten.

Mitgefühl bildet laut Ko-Autorin Tamara Becher die Grundlage für prosoziales Verhalten. Es ermögliche Kindern, auf die Nöte anderer einzugehen und zu helfen. Die Forschenden betonten, dass auch Mitgefühl nicht angeboren ist, sondern durch Interaktionen mit anderen Menschen entsteht.

Vorbilder sind entscheidend

Die Ergebnisse beider Studien zeigen deutlich, wie wichtig Vorbilder sind, da sich moralisches und empathisches Verhalten sich nicht von Geburt an zeigt: Es wird durch soziale und kognitive Entwicklung geformt. In diesem Sinne: Lasst uns den Kindern ein gutes Beispiel sein und seid lieb zueinander!

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Bild: Pexels; CC0-Lizenz