pro einzelhandel kleine läden

Online-Shop vs. Schaufenster: Ein Streitgespräch

Weshalb wir die kleinen Läden brauchen: CONTRA von Laura Maria Drzymalla

 

Das Sterben des Einzelhandels schaffe Platz für die Realität – so die Aussage von innigen Liebhabern des Onlineshoppings. Eine Ode an das Internet als realer Raum? Kommt die nicht oft von denjenigen, die unsere Google-Welt in tiefsinnigen Gesprächen immer noch als virtuellen Parallel-Raum bezeichnen? Plädiert man für eine einzelhandelsfreie Stadt, dann betreibt man nichts anderes als Realitäts-Eskapismus und Zwangsoptimierung!

 

Ohne Geschäfte hat die Stadt auch keinen Charakter

 

Verlassen die Einzelhändler die Innenstädte, dann können wir unsere individuelle Lebensqualität in Ballungszentren und kleinen Nachbarorten auch gleich an den Nagel hängen. Unsere Wahlheimat fürs Studium ist das beste Beispiel: Ich habe sie neben der Zusage für die Uni nach Kriterien ausgewählt, die mich in einer Stadt wohlfühlen lassen: Was passiert in der Innenstadt oder in der Altstadt, von was kann ich mich inspirieren lassen? Wo bekomme ich ein handsigniertes Buch von meinem Lieblings-Autor, wo kriege ich eine Brotzeitbox mit einem Astronauten drauf für meinen kleinen Bruder? Wo kann mir jemand eine geile neue Schallplatte empfehlen, wo finde ich jemanden, dem „nur Vinyl noch Gefühl“ gibt?

Geht mal einen Schritt mit mir hinter die Theke des Buchladens, in dem ich arbeite. Wir gucken zusammen auf ein höchstpersönlich ausgewähltes Sortiment an Literatur, eine fette Kinderbuchabteilung und hohe Stapel mit Krimis. Was ich euch jetzt biete, das Amazon nicht kann? Ich habe das Buch, das ihr in der Hand habt, wahrscheinlich gelesen. Ich kann mit euch darüber reden, so tatsächlich face-to-face, abseits von willkürlichen Onlinerezensionen im Internet. Ich kann raushören, worauf ihr vielleicht Bock haben könntet, ob das Buch was für eure pensionierte Großtante ist oder welcher Bestseller eigentlich totaler Quatsch ist. Ich darf euch Bücher zeigen, die das Internet überhaupt nicht kennt. Viele Kinder haben ihr erstes Lieblingsbuch von uns bekommen. Ich werde anständig bezahlt. Mein Chef zwingt keine Verlage dazu, vergünstigten Konditionen stattzugeben, da wir sie sonst aus unserem Programm hauen. Wir können junge Autoren für Lesungen in die Buchhandlungen holen, die uns allen einen Einblick in ihre Worte und ihr Leben gewähren .

 

Nicht alle wollen in der virtuellen Realität verhaftet sein

 

Online gibt es das alles auch, sagt ihr? Die Bücher, die Schallplatte, das Sofa, das handgewebte Geschirrtuch – alles irgendwie austauschbar? Ja, da habt ihr vielleicht recht. Aber wärt ihr denn auf so manchen Kram gekommen, wenn ihr es nicht in einem Schaufenster gesehen hättet? Wer behauptet, im Internet fände man noch mehr Auswahl und das zu einem besseren Preis, der hat vielleicht einen kleinen Logikfehler im System. Denn das ist so, als würde man vor einem Picasso stehen und dann sagen: Das hätte ich auch malen können. Dabei vergessen leider viele, dass Picasso einfach vorher die verdammte Idee dazu hatte – und man selbst nicht! Ihr braucht den Schuhladen, um anschließend eure richtige Größe bei Zalando zu bestellen.

Wer sagt, Einzelhändler, die eine Umsatzsteigerung per Internet nicht als Chance wahrnehmen, bräuchten kein Mitleid, schlägt damit jedem Geschäftsführer eines kleinen Ladens eine Axt in den Rücken. Nicht jeder Vorort bleibt noch interessant oder besuchenswert, wenn die Geschäfte wegfallen und nicht jede kleine Stadt hat einen McDonald’s, H&M oder Footlocker. Nicht alle haben die Möglichkeit, das Wissen oder die Lust, das gesamte Berufsleben oder Einkaufsverhalten auf die virtuelle Realität zu verlagern.

 

Wir sind mehr als nur eine profitorientierte Gesellschaft

 

Natürlich können wir für Optimierung plädieren, für Fortschritt und für Einfachheit. Für Drohnen, die ohne viel CO2-Ausstoß unsere Pakete innerhalb von 12 Stunden liefern. Mir würde damit aber ein großer Teil meines Soziallebens wegfallen. Keine Spaziergänge mehr durch die Altstadt, keine Kundengespräche mehr über aktuelle und politische Themen, keine helle Freude über ein geiles Paar Sommerschuhe, dem ich zufällig auf dem Weg in die Arbeit (haha – welche Arbeit?) begegnet bin. Mein Chef und meine Kollegen wären arbeitslos. Eine Website mit Bestell-Option einzurichten, die Werbung, Logistik und das Sortiment zu gestalten, kostet ein Vermögen – das ist aber nicht mal das schlimmste daran. Würden dies alle Einzelhändler machen, wären wir eine rein profitorientierte Gesellschaft, die nichts mehr aus persönlicher Überzeugung tut. Kein Reden mehr über die Bücher, die Ästhetik des Wortes, keine Vermittlung von Werten außerhalb des Fernsehers, kein Kontakt zu anderen Menschen außerhalb der ausgewählten Kreise. Ich mag es, zu netzwerken und mich beraten zu lassen.

Auch wenn der Einzelhandel nach Konsum und Verkaufszahlen lechzt, finde ich den Gedanken beruhigend, dass ich selbst entscheiden kann, worauf ich meinen Blick werfe. Und noch viel mehr, dass mir nicht nur eine bestimmte Auswahl in der Google-Leiste vorgeschlagen wird, die dem Algorithmus meines Kaufverhaltens folgt.

 

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!

Bildquelle: Pexels unter cc0 Lizenz