Müssen beim Sex wirklich immer beide Partner einen Orgasmus haben?

Von Moritz Jung

Plötzlich, mitten in die nachmittagliche Trägheit hinein, schwebe ich. Nur zehn Sekunden lang – und dennoch lang genug, um den Körper mit Glück zu fluten. Die Sonne fällt schräg durch das Fenster, es ist für einen Moment ganz still und ich fühle mich wie ein Blatt, das von einem Windstoß in die Luft getragen wird und sich auf eine Reise begibt. Dann ist sie vorbei, die Schwerelosigkeit, die ich für einen Moment an diesem ganz normalen Sonntag in dieser ganz normalen Großstadtwohnung empfunden habe. Das Leichte verlässt das Bett so schnell, wie es gekommen ist und ich liege da, die Lider geschlossen, merke, wie die Müdigkeit meinen Körper einhüllt.

Es geht, manche werden es erkannt haben, um den Orgasmus. Genauer gesagt um den männlichen Orgasmus. Und wie ich so da liege, ihren Körper spüre, ihren Atem an meinem Gesicht fühle und ich am liebsten die Welt zum Stillstand bringen würde, drängt sich eine Frage zwischen uns. Unausgesprochen und doch bohrend. Und nicht nur in meinem Bett, sondern in Tausenden, genau in diesem Augenblick: Was tun, wenn sie noch nicht gekommen ist?

Tausendfach diskutiert, von Experten, im Freundeskreis, lautet die altruistische Meinung meistens: Jetzt ist sie dran. Natürlich! Gleichberechtigung und so. Aber ist das wirklich so? Und sollte es bei Sexualität nicht um mehr gehen als das Erreichen eines klar formulierten Ziels. Ist dieser Wettbewerb zwischen zerwühlten Laken und dem Abziehen des Kondoms nicht irgendwie typisch für diese Gesellschaft?

Mann würde am liebsten schlafen

Natürlich, beim Sex oder sexuellen Handlungen sollten im Idealfall beide Partner zum Orgasmus kommen. Dabei geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern schlicht und einfach darum, dass beide im wahrsten Sonne des Wortes befriedigt werden, dass beide dieses kurze Schweben erleben, die Vertrautheit nach dem Orgasmus, die Intimität des Moment danach, wenn man ganz still ist und für ein paar Sekunden egal ist, was die Uni-Noten machen, was Trumps Mund entschlüpft oder ob und wie schnell die Welt sich weiterdreht.

Wenn der Mann aber gekommen ist, dann ist er bereits an diesem friedlichen Punkt, an dem viele Männer sich am liebsten zur Seite drehen und in einen tiefen, wohligen Schlaf sinken würden. Die Frau dagegen ist hellwach, das Feuer in ihr ist noch nicht dem Loslassen und Einfach-nur-Daliegen gewichen. Es ist der einzige Zeitpunkt während des Geschlechtsverkehrs, an dem ein kleiner Graben zwischen den Partnern existiert. Denn einer ist bereits entspannt, losgelöst von der ausfüllenden Lust, der andere noch mittendrin. Klar, die Frau könnte es nun alleine zu Ende bringen, aber da das Schöne am Sex nun mal die Zweisamkeit, das Miteinander.

Was passiert also meistens? Der Mann atmet ein letztes Mal die sich ausbreitende Entspannung und macht sich dann daran, es zu Ende zu bringen. Natürlich für die meisten kein Problem, es ist uns wichtig, dass die Frau ebenso ihren Spaß hat. Vor allem, wenn sie uns was bedeutet, wenn wir sie lieben. Da sind Männer ganz altruistisch. Zum anderen, das ist bei Männern auch in Zeiten der Emanzipation so, will man es beiden beweisen, sich selbst und der Frau natürlich auch.