Aljosha Muttardi

„Out & About“: Aljosha Muttardi im Interview zum Podcast

Im Interview mit Aljosha Muttardi haben wir mit ihm über seinen neuen Podcast „Out & About“ sowie sein eigenes Coming-out gesprochen.

Aljosha Muttardi ist ein Multitalent – er ist eigentlich Arzt, aber empfand die Arbeit und den Alltag im Krankenhaus als zu heteronormativ. Den weißen Kittel hat er zwar abgelegt, aber es ist immer noch sein Beruf, Menschen zu helfen. Der „Sinnfluencer“ hat sich dem Veganismus und der queeren Community verschrieben. Darüber hinaus ist er Teil der „Fab Five“ der Netflix-Serie „Queer Eye Germany“.

Sein neuestes Projekt ist der Podcast „Out & About“, der seit dem 8. März 2023 überall, wo es Podcasts gibt, gestreamt werden kann. Wöchentlich empfängt Aljosha Gäste, mit denen er über ihre Coming-out-Geschichten spricht. Die Storys reichen von Homosexualität in den 70ern bis zu den Problemen von non-binären Menschen bei Amtsbesuchen.

ZEITjUNG: Wie kam es zu der Entscheidung, dass du nicht mehr Arzt, sondern Aktivist für Veganismus und queere Menschen sein wolltest?   

Aljosha: Ich finde es rückwirkend tatsächlich selber spannend, weil ich anfangs ein ganz anderes Leben in meinem Kopf hatte. Aber eigentlich kam es dadurch, dass ich mich ab 2015 vegan ernährt habe und mit meinem ersten YouTube-Kanal anfing, auf dem es hauptsächlich um das Thema Veganismus ging. Danach habe ich mich irgendwann auch mehr mit meiner eigenen Queerness auseinandergesetzt, was echt ein schwieriger Prozess war. Diesen ganzen Hass und die Selbstzweifel sich selbst gegenüber loszuwerden, ist wirklich schwer – das ist beides auch eigentlich immer noch da. Ich bin aus dieser heteronormativen Welt, also dem Krankenhaus, rausgekommen und habe mich sowohl dort als auch in der Öffentlichkeit geoutet. Danach hatte ich das erste Mal mehr Kontakt mit queeren Menschen und das war auch der Zeitpunkt, an dem ich Schnittstellen zwischen dem Veganismus und dem Queersein gesehen habe. Denn sowohl Tiere als auch queere Menschen haben es sich nicht ausgesucht, in diese Welt geboren zu werden. Und in beiden Fällen sagt die Welt quasi: Fuck you, Pech gehabt! Somit hat der Veganismus sozusagen alles ausgelöst und dann ist es dazu gekommen, dass ich auch bei meiner eigenen Identität mehr hingehört und hingeguckt habe. Denn das Schamgefühl für mein Queersein wurde durch den Kontakt mit anderen queeren Menschen definitiv geringer. Irgendwann kam „Queer Eye Germany“ und das hat nochmal alles verändert. Das war der queerste Space, den ich je hatte. Ich war da umgeben von Menschen, die viel freier und offener in ihrer Identität waren. Das war anfangs echt eine Challenge für mich und hat mir auch Angst gemacht. Dadurch wurde fast so eine Art von Identitätskrise bei mir ausgelöst und ich habe mich gefragt, wer ich eigentlich bin. Damit kam auch der Aktivismus.

ZEITjUNG: Jetzt machst du einen Podcast zum Thema Coming-out – Wie war denn dein Coming-out? Wie viel Zeit lag zwischen dem Zeitpunkt, als du gemerkt hast, dass du schwul bist und deinem Outing?

Aljosha: Also es gibt ja ein inneres und ein äußeres Coming-out. Das innere Coming-out ist, dass man sich selbst eingesteht, dass man schwul ist und das hat bei mir echt lange gedauert. Ich erinnere mich daran, dass ich mich ungefähr mit neun oder zehn Jahren schon zu Männern hingezogen gefühlt habe, natürlich anders als es jetzt ist. Ich habe das aber immer verdrängt. Als Kind wollte ich das Wort „schwul“ zum Beispiel auch nie denken, ich habe sogar versucht, das in meinem Kopf nicht zu sagen.

Ich würde sagen, je älter man wird, desto schlimmer und präsenter wird das. Ich wollte ja nie eine Freundin und hatte immer mehr Panik, weil das meiner Familie ja auch aufgefallen ist. Ich hatte auch das Gefühl, dass mit mir irgendwas nicht stimmt. Irgendwann mit 20 oder 21 habe ich versucht, mich vor den Spiegel zu stellen und zu sagen, dass ich schwul bin, aber ich habe das einfach nicht hinbekommen. Letztlich habe ich mich mit einem Typen, den ich richtig toll fand, in einer Bar total besoffen und mit ihm rumgeknutscht. Von dem Zeitpunkt an bin ich eigentlich nur noch mit Panik durch die Straßen gelaufen, weil ich das Gefühl hatte, dass ich die Kontrolle über die Situation verloren habe und dass ich quasi aufgeflogen bin. Mit dieser Angst wollte ich irgendwann nicht mehr leben und habe mich geoutet. Ich habe bei Freund*innen angefangen und kam irgendwann zu meinen Eltern. Man kann also sagen, dass mein inneres und mein äußeres Coming-out irgendwie miteinander verflossen sind. Zu dem Zeitpunkt war ich ungefähr 22 oder 23. Es wurde auf jeden Fall mit jedem Mal leichter, aber es war trotzdem ein sehr sehr langer, schwieriger und ätzender Prozess bei mir – mit sehr viel Selbsthass.

ZEITjUNG: Wie kam es zu dem Entschluss, dass du zu dem Thema dann einen Podcast machen wolltest?

Aljosha: Das war eigentlich gar nicht meine Idee. Das kam erst auf dem Spotify „ALL EARS“ Event letztes Jahr zur Sprache. Ich war Gast bei dem Podcast „1000 erste Dates“ und habe über meine Date-Erfahrungen gesprochen. Danach kam Inga auf mich zu und hat mich gefragt, wer ich bin und ob ich einen Podcast habe. Ich habe mich vorgestellt und meinte, dass ich keinen habe. Ihre Antwort war „Ich bin Inga von Studio Bummens und du brauchst einen!“ und sie war total begeistert. Kurze Zeit später habe ich mich mit ihr und Konstantin (ebenfalls Producer von Studio Bummens) in Hamburg getroffen und so kam die Idee für den Podcast zu Stande. Ich fand das so schön, weil Coming-out-Geschichten und die Menschen dahinter genau das sind, was besonders die nicht-queere Welt braucht, weil die meisten sich noch vor dem Thema scheuen. Es geht einfach darum, erstmal den Geschichten zuzuhören und ich glaube, dass die wenigsten Menschen davon nicht berührt sind. Meiner Meinung nach ist Sichtbarkeit das Wichtigste, was man gegen Diskriminierung machen kann. Weil Sichtbarkeit neue Normalitäten schafft und wir brauchen ein neues „Normal“.

ZEITjUNG: Hättest du dir früher selbst so einen Podcast gewünscht? Gibt es ein bestimmtes Ziel, das du unbedingt erreichen willst?

Aljosha: Hundert Prozent! Das dachte ich mir schon bei „Queer Eye“, das denke ich mir bei meinem Instagram und das denke ich mir auch bei meinem YouTube-Kanal. Ich möchte, dass alles, was ich sowohl online als auch offline mache, Menschen einen Safe Space bietet. Ich möchte, dass Menschen sich wohl, sicher und auch gesehen fühlen. Dass auch Menschen, die nicht davon betroffen sind, ein Verständnis dafür entwickeln. Genau darum geht es. Jeder Mensch hat dieses Grundbedürfnis, geliebt, gesehen und verstanden zu werden. Ich glaube, das vereint uns alle. Und wir queeren Menschen wollen nichts anderes – wir wollen nur für das geliebt werden, was wir sind und wollen uns nicht mehr dafür schämen oder hassen müssen. Hätte es damals schon so einen Podcast gegeben und Klein-Aljosha hätte gehört, dass er damit nicht alleine ist, hätte er sich wahrscheinlich weniger kaputt gefühlt. Vor allem Menschen, die in ihrem Umfeld niemanden haben, der ihnen versichert, dass es okay ist, wie sie sind, wird damit ein Rückzugsort geboten. Also ja; zu 100 Prozent.

Wir bedanken uns bei Aljosha für das wundervolle Interview.

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Bild: © Studio Bummens/Pauline Bossdorf (Bildgröße geändert)