Panama Papers – Und noch immer schreien alle „Lügenpresse“

Sonntag, 3. April 2016, 20 Uhr, MESZ. Die Welt erfährt von den Panama Papers. Weltweit veröffentlichen über 100 Medienorganisationen Geschichten aus der Welt des großen Geldes. In der Folge treten mehrere Politiker zurück oder kämpfen darum, ihr Amt behalten zu können. Die Süddeutsche Zeitung, der die 2,6 Terabyte an Rohdaten der panamaischen Anwaltskanzlei Mossack Fonseca zugespielt worden sind, landet den Scoop der letzten Jahre. Und trotzdem wird sie und werden in anderen Ländern in die Aufdeckung involvierte Journalisten und Medien zum Teil heftig angegriffen.

Ihnen wird vorgeworfen, selbst Teil des großen Geldes zu sein, gekauft von Firmenkonsortien, auf keinen Fall unabhängig. Stattdessen sollen sie unter einer Decke mit den Reichen und Mächtigen stecken – und natürlich vor der Politik kuschen und nur schreiben, was der gefällt. Stichwort: Lügenpresse. Wie aber kommt man eigentlich auf so eine Idee, eine Zeitung in dem Moment anzugreifen, in dem sie beweist, dass sie ihre Aufgabe als öffentliches Kontrollorgan der Reichen und Mächtigen sehr ernst nimmt? Was ist da gerade in der Gesellschaft los?

 

Argumente und Fakten kommen nicht mehr an

 

Für die Kritiker ist der Fall klar, denn es würden ja nur Putin und Assad angegangen – obwohl gleich in der ersten Ausgabe unter anderem auch der isländische Premier Gunnlaugsson und der Weltfußballer Messi mit Berichten bedacht werden. Trotzdem wurden Stimmen laut, die Presse berichte voreingenommen, denn es fänden sich ja keine Amerikaner auf den Titelseiten. Erstens: Das ist falsch. Die SZ berichtete erst küzlich über CIA-Konten im Dickicht der Tarnfirmen. Zweitens beherbergen die Amerikaner selbst in mehreren Bundesstaaten Steueroasen. So muss niemand extra ins spanischsprachige Panama aufbrechen, um seine Reichtümer vor wem auch immer zu verstecken. Auch das konnte man in der SZ nachlesen. Aber für Argumente ist man scheinbar nicht mehr zugänglich, wenn die Presse ohnehin lügt.

Da haut die Enthüllungsplattform WikiLeaks gerne beleidigt auch noch mit drauf, weil sie für sich beansprucht, der einzige Ort zu sein, an dem geleakte Daten gut aufgehoben seien. Dass auch das nicht stimmt, lässt sich erahnen, wenn man sich die Dimensionen des Panama-Lecks klar macht. 400 Menschen haben ein Jahr lang daran gearbeitet, die komplexen Konstrukte zu entflechten, in denen Milliarden verschwinden konnten. Journalisten haben die Ausbildung und die Ressourcen, dieses Dickicht zu durchleuchten, Zusammenhänge zu finden, zu prüfen, ob die Informationen glaubwürdig sind, mit bisher zugänglichen Daten zu vergleichen, auf frühere Recherchen zurückzugreifen und die Geschichten zu veröffentlichen, die tatsächlich für die Öffentlichkeit relevant sind. Wäre der ganze Datenhaufen auf einmal bei Wikileaks oder ähnlichen Plattformen gelandet, dann hätten die Besitzer der Briefkastenfirmen alle Zeit der Welt gehabt, ihre Schäfchen ins Trockene und sich selbst in Sicherheit zu bringen. Das ist durch die geplante Veröffentlichung fertig recherchierter Geschichten nicht möglich gewesen.

Trotzdem der Vorwurf, man verfolge eine „Agenda“. Was für eine? Das wird nicht wirklich klar. Ein weiteres Argument gegen Verschwörungstheorien ist ein ökonomisches. Eine Zeitung, die exklusiv über so einen riesigen Fall berichten kann, hat wirtschaftlich einen enormen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten. Das Produkt Journalismus lebt ja auch davon, dass man aus erster Hand Neuigkeiten und Hintergründe erfahren kann. Allein deshalb wird es für die Medien wichtig sein, Geschichten wahrheitsgemäß zu berichten, denn wer einmal lügt… Das wäre der GAU für jedes Medium, Vertrauen ist das vielleicht größte Kapital der Presse.

 

Alles nicht so schlimm?

 

Wie viel Vertrauen haben die Menschen also heute in die Medien? Prof. Dr. Thomas Hanitzsch von der LMU München berichtet im ZEITjUNG-Interview von mehreren Studien, die dieser Frage nachgegangen sind. Sie zeigen, dass das Vertrauen in die Medien in den letzten Jahren sogar zugenommen hat, von etwas über 30% in den Jahren 2004-2009 auf aktuell etwa 42%. Außerdem erklärt der Kommunikationswissenschaftler, dass die Menschen beim Medienkonsum sehr wohl zwischen den verschiedenen Kategorien – etwa einer Meinung oder einer Meldung – unterscheiden. Das Medien entgegengebrachte Vertrauen hängt also auch davon ab, ob man die BILD in der Hand hält, oder ob es um FAZ und SZ geht. Insofern hält Hanitzsch sinkendes Vertrauen in die Medien eher für ein Debattenphänomen, das von derzeit ziemlich lauten Schreihälsen verursacht wird- es biete Nachrichtenwert – deshalb werde darüber auch überproportional berichtet.

Prinzipiell begrüßt der Wissenschaftler sogar eine kritische Haltung gegenüber der Politik und den Medien. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn die Kritik mit Argumenten vorgetragen wird und nicht, wie am Anfang beschrieben, als Pauschaldiffamierung eines ganzen Berufsstandes daherkommt, dessen Arbeit für ein freies, demokratisches Land lebenswichtig ist. Thomas Hanitzsch plädiert vor diesem Hintergrund dafür, schon Schülern den Wert eines freien Journalismus zu vermitteln und auch als ganze Gesellschaft Journalismus zu stärken und zu unterstützen. Ein gewisses Grundvertrauen ist schließlich doch noch da. Auch, dass sich ein Whistleblower an eine Süddeutsche Zeitung wendet ist ein Beweis für den Stellenwert, der dem Journalismus nach wie vor beigemessen wird.

 

Bildquelle: Thomas Lefebvre unter CC0 Lizenz

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