Das Plädoyer an das gute alte Buch

Von Büchern und Kassetten: Ein Plädoyer für analoges Vergnügen

Erinnert ihr euch noch an damals? Als sich unser heiles Weltbild noch aus dem Schneidersitz vor dem Kassettenrekorder und den abendlichen Geschichten aus gedruckten, vergilbten Büchern zusammensetzte und sich nicht einmal durch die Schürfwunden vom Spielplatz zerstören ließ? Ja, wir erinnern uns noch. Wir sind allerdings die letzte Generation, die sich noch an solch eine unbeschwerte Kindheit ohne iPhone erinnern kann. Wir kennen den Geruch von alten Büchern aus der Bibliothek besser als den Geruch von heißlaufenden Computern. Wir wissen noch, was es für harte Arbeit war, wenn die Video- oder Musikkassette mal wieder den Geist aufgegeben hat und man die gefühlt meterlangen Bänder wieder per Hand aufrollen musste. Bei Gedanken an Kassette, Discman und Co. fällt man fast in einen melancholischen Trancezustand.

Büchlein, Büchlein an der Wand

Heute finden wir uns in einer digitalisierten Welt voller Neuheiten wieder. Die Kinder verlieren nicht mehr ihre Bibliotheksausweise, sondern ihre Handys mit den zugehörigen Kopfhörern. Bücher werden zur Deko gekauft und im Regal gelagert, bis sie verstauben. Keine Sorge, geht sicher irgendwann als Vintage durch. Fernsehen ist keine seltene Ausnahme mehr, um die man betteln muss, sondern fester Bestandteil eines freien Tages und Videokassetten wurden durch Netflix ersetzt. Bücher, Bibliotheken und Videotheken befinden sich evolutionär auf der gleichen Stufe wie Dinosaurier – ausgestorben und irgendwo in weiter Ferne unserer Erinnerungen. Homer? Ach, das ist doch der gelbe Typ von den Simpsons.

Ciao Realität, hallo Fantasie!

Heute erkennen scheinbar nur noch wenige in unserer Generation die wahre Bedeutung von dicken Schmökern und wilden Romanen. Sinnlos in den Raum geworfene Vermutung? Leider nicht. Umfragen und Statistiken der Stiftung Lesen zeigen uns die bittere Wahrheit des Fantasieverlusts in den letzten Jahrzehnten. Während der harte Kern der Vielleser seit 1992 stetig mit drei Prozent vertreten bleibt, sank die Anzahl der Gelegenheitsleser von 27 Prozent auf 23 Prozent stark ab. Die schockierendste Nachricht dieser Studie: Ein Viertel aller Deutschen ist vollkommen leseabstinent und empfindet das Lesen tatsächlich als zu anstrengend. Die Medien überrollen uns und zerquetschen das gute, alte Buch unter ihrer Last. Schade, denn Bücher können soviel mehr als illegales Streaming, Spotify-Playlisten und Instagramfilter. Ihr wollt der Realität entfliehen, weil ihr mit eurem Leben und dessen Realität nicht mehr klarkommt? Der Geheimweg dorthin lautet ausnahmsweise nicht MDMA und nächtelange Feierei. Es sind die kleinen, schwarzen Buchstaben auf dem weißen, leicht vergilbten Papier. Zusammengepresst zu Hunderten von Seiten selbst gestalteter Realitätsfremde und Flucht können sie euch überall dorthin bringen. Wir können Diebstahl und Mord, Herzschmerz und Liebe, Komik und Tragik direkt vor unserem inneren Auge selbst erleben. Ein Hoch auf die fantastische Fantasie!

Homer ist doch der Gelbe von den Simpsons? NEIN!

Was wäre unsere Kindheit nur ohne das sommersprossige Sams, Pippi Langstrumpf oder die Abenteuer von Jim Knopf? Ohne Dan Brown, der uns mit Sakrileg wochenlang nicht einschlafen ließ, oder J.K. Rowling, die uns alle mit Harry Potter in ihren Zauberbann gezogen hat? Wenn uns das nächste Mal der Drang nach Realitätsflucht überkommt, sollten wir einfach alle mal wieder das Handy zur Seite legen, nach den Bibliotheksausweisen kramen und mehr von diesem gedruckten Schwarzweiß in unserem Leben zulassen.

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Bildquelle: Lacie Slezak unter CC0 Lizenz