Pretty Privilege bei Männern: Die unterschätzte Macht der Attraktivität

Aber was finden wir überhaupt attraktiv?

Die individuelle Attraktivität eines Menschen zu messen ist sehr simpel und oberflächlich: durch Umfragen. Eine repräsentative Anzahl an Teilnehmer*innen sollen einen Menschen auf einer Attraktivitäts-Skala von 0 bis 100 einordnen, das Ergebnis sei dann die objektive Attraktivität, erklärt Attraktivitätsforscher Martin Gründl in einem Interview mit der WirtschaftsWoche. Tauscht man die Befragten aus, käme immer noch nahezu das gleiche Ergebnis raus. Wir haben also doch eine gemeinsame Vorstellung von Attraktivität.

Aber was finden wir nun schön an anderen Menschen? Gründel nennt zwei Faktoren: erstens Jugendlichkeit (in keiner Kultur sei ein kränkliches oder altes Aussehen ein Ideal) und zweitens geschlechtstypisches Aussehen, insbesondere bei Frauen. „Große Augen, zierliche Nase, Kinn und Unterkieferregion. Dominanter Hirnschädel“, zählt der Forscher unter anderem auf. Bei Männern wiederum gebe es wenig explizite Attraktivitätsmerkmale. Markantes Kinn und ein markanter Unterkiefer, sagt Gründl. Es sei schwer zu sagen, was einen attraktiven Mann ausmacht.

Pretty Problems

Attraktive Menschen werden als vertrauenswürdiger, zuverlässiger, leistungsfähiger und netter eingeschätzt, während weniger attraktiven Menschen schlechte Charaktereigenschaften zugeordnet werden. Doch neben höheren Aufstiegschancen, besserer Bildung oder Gehalt bringt auch Attraktivität Nachteile mit sich. Attraktiveren Menschen werden nämlich eher Geschlechterstereotype zugeordnet. Attraktive Frauen seien emotionaler, irrationaler und schwächer. Vor allem in männlich geprägten Branchen kann das von Nachteil sein. Männer hingegen seien stark, unemotional und nicht auf Hilfe angewiesen.

Natürlich ist es leicht gesagt, dass wir den Fokus weg von äußeren Faktoren hin zu inneren Werten und Überzeugungen richten müssen, auch wenn es richtig ist. Pretty Privilege ist als Begriff vielleicht neu, das Phänomen nicht. Es ist ein historisch und gesellschaftlich tief verwurzeltes Problem, das nicht von einem Tag auf den anderen gelöst werden kann. Aber vor allem in Bereichen, in denen es um objektive Beurteilung geht, wie Schule oder Arbeit, muss ein System entstehen, in dem Menschen nicht aufgrund ihres Äußeren bevorzugt oder diskriminiert werden. Und das ist schon heute möglich.

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Bildquelle: Andrea Piacquadio via Pexels, CC0-Lizenz