Sadomaso

Schatz, hol doch mal die Peitsche

70 Millionen: So viele Exemplare der Shades of Grey Trilogie gingen weltweit über die Ladentheke. E. L. James’ mickrige Masturbationsvorlage für die prüde Hausfrau von heute gilt als das schnellste jemals verkaufte Taschenbuch des Vereinigten Königreichs. Das allein sagt schon eine ganze Menge über unsere Gesellschaft aus – die Einspielergebnisse der Verfilmung setzen dem Ganzen allerdings die Krone auf. 486 Millionen US-Dollar hat Fifty Shades of Grey in die Kinokassen gespült, alleine am Startwochenende sahen 1,35 Millionen Deutsche die Filmfassung der “Story” um die schüchterne Literaturstudentin Anastasia Steele. Die Handlung ist denkbar einfach konstruiert: Steele, das jungfräuliche Mauerblümchen, trifft auf Christian Grey, seines Zeichens Unternehmer, BDSM-begeistert und, natürlich, Milliardär. Es folgt der seichte Versuch einer Handlung, an deren Ende Steele Grey verlässt, weil sie mit seinen höchst perversen Neigungen nicht zurecht kommt. Sex sells, klar – und dann auch noch mit Fesselspielchen und Auspeitschen! Schnell ins Kino!

 

Von der Fan-Fiction zum Kassenschlager

 

Was sich die Autorin dieser literarischen Müllkippe in ihrem stillen Kämmerlein da aus den Fingern gesaugt hat, erscheint noch lächerlicher, wenn man weiß, dass Shades of Grey ursprünglich eine Fan-Fiction war. Richtig gehört, eine Fan-Fiction, und zwar über Edward und Bella aus der Twilight Saga. Da muss ja ein Meisterwerk dabei rauskommen!
Marketingmäßig hat James allerdings alles richtig gemacht. Die Nische des Mommy Porn wird von ihr nun erfolgreich abgedeckt; ganz offensichtlich besteht weltweit großes Interesse an einer Enttabuisierung alternativer Sexpraktiken. Die BDSM-Szene boomt. “Wir haben mehr Zulauf seit dem Film”, sagt auch Markus Kempken, Gründungsmitglied des BDSM Berlin e.V.

Die Peitsche ist in den Mittelpunkt der Gesellschaft gerückt, Lack und Leder sind salonfähig geworden und beim nächsten erotischen Abenteuer dürfen Handschellen nicht fehlen – der längst überfällige Schritt zur totalen sexuellen Freiheit?

 

“Shades of Grey” hat nichts mit BDSM zu tun

 

Grundsätzlich ja, sagen Mitglieder der BDSM-Community. Aber nicht mit einer Figur wie Christian Grey. “Der ist krank.” Krank, weil er keine Grenzen anerkennt. “Christian Grey bezeichnet sich als dominant. Aber er ist ein purer Sadist. Kein erotischer, sondern ein pathologischer. Das ist falsch. Niemals sollte man seine Wut im Spielzimmer auslassen.” Innerhalb der Szene müssen Regeln klar beachtet werden – Grey nimmt das nicht besonders ernst.  “Leider gibt der Film diesen Dingen nicht genug Raum, die wir unter ,Safe, Sane, Consensual’ zusammenfassen. Grey ist die Sorte Sadist, die wir an unserem Stammtisch ausfiltern würden. Er sagt selbst: ‘Ich bin abgefuckt.’ Gefährlich ist er obendrein.”

Andere Bondage-Fans grenzen sich klar von Shades of Grey ab. Das Buch romantisiere Missbrauch und habe absolut nichts mit der Szene zu tun. “Beiderseitiges Einverständnis und Vertrauen ist essentiell.” Davon ist in James’ Werk nichts zu spüren.

 

“Psychisch nicht völlig gesund”

 

Noch immer ist SM als “Abweichung der sexuellen Präferenz” definiert; das heißt, wer sich zum Sadomasochismus bekennt, gilt medizinisch gesehen als psychisch nicht völlig gesund. “Wir wollen keineswegs jeden SM-Interessierten dazu bringen, lautstark und öffentlich für seine Interessen einzutreten. Wir wollen nur darauf hinarbeiten, dass Sadomasochismus eine sexuelle Normvariante wird, der man den gleichen Respekt entgegenbringt wie beispielsweise der Homosexualität”, schreibt der BDSM Berlin e.V. auf seiner Website. Ob Fifty Shades of Grey wohl trotz aller Unstimmigkeiten zur Normalisierung beitragen konnte?

 

Bild: Franco Follni unter cc-by-sa 2.0