Selbstironie Regenschirm

Selbstironie, die (Substantiv, feminin)

Wenn ich nach meinem Studium gefragt werde, ist die Reaktion meines Gegenübers immer die gleiche: zuerst weiten sich die Augen, ratlos ein bisschen, erschrocken fast. Die, die noch ein bisschen Anstand und Interesse heucheln, fragen erst noch, was man denn da so macht, im Studium. Die anderen spucken mir ihre Ungläubigkeit ohne Umschweife vor die Füße: „Ja, und was macht man dann damit?“

 

Pizza backen, Taxi fahren

 

Auch meine Antwort ist immer die gleiche. Ein Kräuseln auf der Stirn, vergnügtes, beinahe argloses Lächeln. Es ist inzwischen ein sorgsam choreographiertes Ballett, das wir da aufführen, und jeder Schritt sitzt. „Tja“, sage ich, den Mund voll Tiramisu und Selbstironie, „Pizza backen, Taxi fahren, ich finde schon was.“

Ich kann also über mich selbst und mein schlammbraun bis tiefschwarzes Schicksal lachen. Ich habe einen Versager-Studiengang gewählt, der interessant sein mag, aber Hegel bringt heute eben kein Geld mehr. Doch ich fühle mich in dieser Rolle sauwohl, spiele die brotlose Bachelorette of Hartz, nehme mich einfach nicht so wichtig.

 

Die Kalaschnikow der Ersten Welt

 

Selbstironie ist vielleicht die Kalaschnikow der Ersten Welt, die schärfste Waffe des 21. Jahrhunderts. Sie ist das Messer, mit dem wir uns selbst verletzen, und das Schutzschild, mit dem wir genau diese Stiche abwehren.

Verletzungen tun nicht so weh, wenn wir sie uns selbst zufügen – und Selbstironie ist ein sympathisches Desinfektionsmittel. Sie ist sozusagen Flinte und Finte zugleich. David Foster Wallace, US-amerikanischer Schriftsteller und selbst bekannt für Komik, Bizarres und, ja, auch Selbstironie, warnte in einem Essay vor unserer postmodernen Neigung, alles ins Lächerliche zu ziehen. Aus Angst, die Dinge zu ernst, sich zu sehr zu Herzen zu nehmen, entstand der etwas nachlässige Trend, einfach so zu tun, als wäre einem nichts mehr wirklich wichtig. „Irony was becoming a protective carapace, as Wallace pointed out, a defense mechanism against the possibility of seeming naïve“, schreibt das Kunst- und Kultur-Magazin SALON. „Irony tyrannizes us“, sagt David Foster Wallace selbst.

US-Comedian Jimmy Kimmel startete die Reihe „Celebrities read mean tweets“, bei der Stars die Gemeinheiten anderer über sich selbst vorlesen. Seit einiger Zeit geistert nun auch in Deutschland „Disslike“ mit genau dem gleichen Konzept herum. Und ich finde es immer wieder faszinierend, was da passiert: Sobald man die Worte selbst in den Mund nimmt, verlieren sie sofort ihre Schärfe. Die Beleidigungen der Twitter-User wirken einfach nur noch lächerlich, und obwohl die Stars gerade vorlesen, wie hässlich oder untalentiert sie doch seien, sind nicht sie es, die in der Opferposition stecken. Wenn Jan Böhmermann sich selbst als „blassen, dünnen Jüngling“ bezeichnet, ist er plötzlich genau das irgendwie nicht mehr.

 

Die Gefahr und der Nihilismus-Nil

 

Das Problem mit der ganzen Selbstironie ist nur: Wenn sie überstrapaziert wird, läuft sie Gefahr, in den Nihilismus-Nil zu münden. „All U.S. irony is based on an implicit ‘I don’t really mean what I say‘“, schreibt Wallace. Selbstironie ist also nicht nur ein Zeichen von Größe, ein Beweis, dass man sich selbst nicht zu ernst nimmt, sondern auch das feige Zugeständnis, das man nicht wirklich zu dem steht, was man sagt. Wir verstecken uns hinter unseren Witzen und rühmen uns mit der Stärke, über uns selbst lachen zu können – aber verheimlichen, dass noch viel mehr Mut dazu gehört, sich auch mal ernst zu nehmen und zu sich zu stehen.

Wieso kann ich nicht einfach mal aufspringen, meinem Gegenüber das Tiramisu ins Gesicht spucken und sagen, dass ich mein Studium einfach interessant finde? Dass es besser ist, Literaturwissenschaft mit Leidenschaft zu studieren als BWL ohne und dass ich genauso wenig wie alle sogenannten „seriösen“ Studenten vorhabe, bis an mein Lebensende Kartoffelscheiben zu frittieren – und dass ich eigentlich auch denke, dass ich das vermeiden kann? Vielleicht, weil ich mir da selber nie ganz sicher sein kann. Vor allem aber, weil es erträglicher ist, auf seinen Fehlern und Schwächen selbst herumzuspringen, bevor es andere tun.

 

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Bildnachweis: Splitshire  unter cc by-sa 2.0