Die Achse der Spießigkeit

Von Melanie Wolfmeier

Gut, wahnsinnig witzig ist er vielleicht nicht. Der Spot des Umweltministeriums, der für mehr Umweltbewusstsein wirbt, setzt eine unangenehme Situation in den Mittelpunkt der Handlung: Tochter kommt nach Hause, erwischt Eltern beim Sex und schaltet das Licht aus – für weniger Peinlichkeit und mehr Klimaschutz.

Aber wenigstens hat sich das Ministerium Mühe gegeben. Statt Baumstreichler und Ökokinder vor die Kamera zu zerren, wurde das Thema Umweltschutz in eine Situation gepackt, die Aufmerksamkeit erregt. Der Griff zum Strohhalm bei dem Mangel an Umweltbewusstsein ist nachvollziehbar. Gleichzeitig ruft er aber leider auch wieder moralgetränkte Stimmen wie die des Deutschlandfunkmitarbeiters Burkhard Müller-Ullrich auf den Plan: „Empfiehlt die Ministerin auch Gangbangs im Dunklen? Deutschland als Darkroom? Und was ist mit der Heizung? Sollen wir gegen den Triebhauseffekt nicht besser im Kalten kopulieren?“


Für mehr Umweltschutz: Der Clip der Umweltministerin Barbara Hendricks.

 

Hä?

 

Was läuft denn da bitte schief? Burkhard Müller-Ullrich gehört dem journalistischen Blog „Die Achse des Guten“ an, der sich die Aufgabe gesetzt hat, politisches Treiben zu kritisieren. Was ja an sich gut ist. Aber doch nicht in eine Polemik ausarten sollte. Gut, über den erkennbaren Zusammenhang zwischen mehr Strom sparen und der Tochter, die ihre Eltern in flagranti erwischt, lässt sich streiten. Doch aber nicht darüber, ob das Video jetzt Kindesmissbrauch propagiert – so wie es Burkhard Müller-Ullrich in seinem Beitrag gerne hindrehen würde: „Geil und gestört blickt er [der Vater; Anm. d. Red.] bei Sekunde 14 auf seine geschlechtsreife Tochter, die ihm bei Sekunde 17 aufmunternd zunickt – eine der übelsten Männerphantasien hat hier Regie geführt.“ Puh. Und, auch sehr schön: „Aber die Mixtur aus Umwelterregtheit und Kindesmissbrauch hätte man eher einer Grünen als einer SPD-Frau zugetraut.“ Woah!

Über die fragwürdigen Auslassungen des Autors gibt es bereits mehr Kommentare als man sich durchlesen kann. Besonders treffend ist aber die Zerpflückung des Medienjournalisten Stefan Niggemeier unter dem Titel „Die verrohte Kommentarkultur des Deutschlandfunks“. Zurecht schreibt Niggemeier: „Einen solchen doppelten Tiefschlag muss man erst einmal hinbekommen. In einem Satz nicht nur aus einer peinlichen Situation einen „Kindesmissbrauch“ zu machen. Sondern auch noch vage anzudeuten, dass grüne Frauen bekanntermaßen Kindesmissbrauch propagieren.“

 

Oh, du schöne Spießigkeit!

 

Man könnte meinen, dass mit Sexszenen schon langsam keiner mehr zu schocken ist. Also, keiner mehr außerhalb der Kirche der Scheinheiligkeit. Bevor ich jetzt falsch verstanden werde: Nein, ich finde es auch nicht gut, Kinder nicht mehr nachmittags allein vor den Fernseher setzen zu können aus Angst, dass sie danach ankommen und fragen, was die zwei nackten Menschen da im Bildschirm getrieben haben. Allerdings bin ich überhaupt der Meinung, dass Kinder sich mit anderen Sachen beschäftigen sollten als ihre Nachmittage vorm Kasten zu verplempern. Aber darum geht es hier nicht.

Nein, es geht eher um das prüde Auftreten einer öffentlichen Stimme. Oder, wie es eine Facebook-Userin passend formuliert: „Lieber Kommentator, haben Sie ein Problem mit Sex? Wenn ja weinen Sie doch bei der katholischen Kirche weiter. Aber nicht öffentlich wo es jeder lesen kann. Danke.“ Vielleicht weint der Autor ja wirklich – über die Verkommenheit der Gesellschaft, über die Erlaubnis, Sex zu haben. Über das Engagement der Umweltministerin, die Bürger zu weniger umweltschädlichem Verhalten anzuhalten. Wer weiß. Aber etwas Gutes hat Burkhard Müller-Ullrich zumindest der Aussage einer anderen Facebook-Userin nach bewirkt: „Mein Beitrag zum Energiesparen war bisher, die Glotze auszuschalten. Ich überlege gerade ernsthaft, ob ich nicht noch mehr Energie spare und zukünftig auch das Radio ausgeschaltet lasse!“

Weil wir euch auch die restlichen Diskussionsbeiträge nicht vorenthalten wollen, sind hier die Links zu den Kommentaren auf YouTube/Zusammen ist es Klimaschutz und dem Post auf der Facebookseite des Deutschlandfunks!

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Bildquelle: Screenshot YouTube / Zusammen ist es Klimaschutz