Hand Links Bus

Aus dem Leben eines Linkshänders

Was es bedeutet, Linkshänder zu sein, habe ich das erste Mal wahrscheinlich in der Grundschule erfahren: Während alle anderen, wenn nicht unbedingt elegant, aber zumindest sauber über’s Papier humpelten, war meine Hand immer schon nach einer Zeile vollgeschmiert mit Tinte. Ich musste dann die ersten zwei Jahre mit einem extra schnell trocknenden Zaubergerät namens Geha Inky schreiben und fühlte mich, als hätte man mir gerade einen Behindertenausweis ausgestellt.

 

Ein Leben auf der falschen Seite

 

Nach einer zweistündigen Klausur ist meine linke Hand immer noch von Kugelschreiberschlieren überzogen, manchmal verzweifle ich an den für Rechtshänder konzipierten Scheren und als ich ausgezogen bin, musste ich mir als erstes einen eigenen Gemüseschäler anschaffen. Aber sonst kann ich schon behaupten, dass ich ein weitestgehend normales Leben führe, ich hatte nie Probleme mit Mobbing und wurde auch sonst erfolgreich in unsere rechtsdominante Gesellschaft integriert.

Deshalb kam ich auch ins Stutzen, als ich neulich von der These hörte, dass Linkshänder früher sterben als Rechtshänder. Angeblich sind wir überdurchschnittlich kreativ und ungewöhnlich intelligent, aber auch häufiger krank und anfälliger für Verletzungen. Unter Linkshändern gibt es überproportional viele Fälle von Schizophrenie, Autismus und Schlafstörungen, von Trinksucht und verspäteter Pubertät. Sie leben jeweils „am extremen Ende der Skala“, meint der Psychologe Alan Searleman.

Und dann wandelt also auch noch diese Theorie von der hohen Sterblichkeitsrate durch die Welt. Sie stammt aus einer Studie von 1991 und wurde von dem kanadischen Psychologen Stanley Coren verfasst. Er stellte fest, dass der Anteil von Linkshändern mit dem Alter immer kleiner wurde: Unter den 20-Jährigen waren es 13 Prozent, bei den über 80-Jährigen nur noch 1 Prozent, die mit der linken Hand nach dem Stift griffen.

 

„Unsere Technik bringt Linkshänder systematisch um“

 

Der Umkehrschluss, dass Linkshänder früher sterben, wurde aber inzwischen entkräftet. Vor allem die Tatsache, dass noch bis vor kurzer Zeit viele Menschen umgeschult wurden, macht die Theorie hinfällig. Gut, vielleicht sterben Linkshänder also nicht wirklich früher als andere, aber dafür haben wir es während des Lebens ganz schön schwer, in einer auf Rechtshänder abgestimmten Welt. Linkshänder haben den Ruf, ungeschickt zu sein, weil sie die für Rechtshänder genormten Geräte nicht immer bedienen können, bei großen Maschinen wird das sogar richtig gefährlich, im Straßenverkehr verliert man auch schon mal die Orientierung. „Unsere Technik bringt Linkshänder systematisch um“, formuliert der Knallharte Blog, nun ja, knallhart und nicht ganz unironisch.

Plötzlich kommt mir das mit dem Behindertenausweis doch nicht mehr so abwegig vor. Die linke Seite wird im Alltag doch wirklich gnadenlos unterdrückt: zwei Drittel aller Menschen neigen den Kopf beim Küssen nach rechts. Der Uhrzeiger wandert rechtsherum, wir müssen meistens auf der rechten Seite Auto fahren und wer orientierungslos in der Wüste herumdurstet, läuft mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eine Linkskurve – weil das rechte Bein größere Schritte macht. Ich beginne, mich diskriminiert zu fühlen. Vielleicht sollten wir eine Linkshänderquote in führenden Unternehmen fordern?

 

Links überlebt

 

Linkshänder sind eine Minderheit, die an einen evolutionstechnischen Widerspruch grenzt: Seit langer Zeit behaupten sie sich mit einem Anteil zwischen 10 und 15 Prozent tapfer in der Bevölkerung. Die Zahl wird nicht größer, aber auch nicht kleiner.

Irgendeinen Vorteil muss Linkshändigkeit also haben, sonst wäre sie schon längst verdrängt worden. Ich suche und finde, natürlich: Während wir westlich verzärtelten Gurkenschäler und Büchsenöffner im Alltag von einer rechtshändigen Gesellschaft dominiert werden, haben Linkshänder beim Kampf entscheidende Vorteile: Ein Gegner rechnet meistens mit einem Angriff von rechts und ist deshalb überrascht, wenn der Schlag von der falschen Seite kommt. In gewalttätigen Gesellschaften liegt die Linkshänderquote deshalb deutlich höher als in friedlichen Kulturen. Dauert sicher nicht lange, bis jemand den argumentatorischen Strick daraus dreht, Linkshänder seien gewaltbereiter als Rechtshänder.

Wie man den Rechtsdrall der Gesellschaft aber auch für sich nutzen kann? Luca Tommasi und Daniele Marzoli, zwei italienische Neurowissenschaftler, sprachen 176 Leute im Club an und baten um Zigaretten. Brüllten sie den Nachtschwärmern ihr Anliegen ins rechte Ohr, waren sie um einiges erfolgreicher als beim anderen. Also: schnorren immer von rechts!

Am Ende bin ich ein bisschen beruhigt, weil ich jetzt weiß, dass wir unsere Daseinsberechtigung haben, wir schizophrenen Genies und Trinker, und ich statistisch gesehen nicht unbedingt sieben Jahre vor meinen rechtshändigen Freunden das Zeitliche segnen werde. Eher scheitere ich davor an den Tücken des Alltags und werde dann vielleicht eines Tages von einem grausamen Tintentod dahingerafft. Diesen Text konnte ich zum Glück am Computer schreiben. Ohne Schmiere am Finger und verkrampfte Sehnen. Endlich integriert!

 

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Bildnachweis: Miguel Pires da Rosa unter cc by-sa 2.0