Warum können wir Rechtschreibfehler nicht ausstehen?

Grammatik-Pedanten und Rechtschreib-Nazis sagen uns schon seit Jahrzehnten den sicheren Verfall der deutschen Sprache voraus. Und tatsächlich könnte man sich fragen, warum uns erst der Comedian Bastian Sick darauf aufmerksam machen musste, dass eine Sache keinen Sinn „machen“ sondern nur Sinn „ergeben“ kann. „Unnötige Besserwisserei!“, mögen viele jetzt denken. Vielleicht. Doch die Sprache hat auf viele Bereiche unseres Lebens einen viel größeren Einfluss als zunächst angenommen.

Manche Menschen rasten aus, wenn sie einen Rechtschreibfehler entdecken

Viele reagieren beispielsweise geradezu allergisch auf sprachliche Fehler und schließen über die Orthografie direkt auf die Persönlichkeit eines Menschen. Eine Studie, die im Fachmagazin Plos One erschien, zeigt nun, was dieses kritische Verhalten über den Charakter eines Menschen aussagt.

Die Linguisten Julie Boland und Robin Queen von der University of Michigan wollten herausfinden, wie unterschiedlich die Menschen auf schriftliche Fehler reagieren. Während der Untersuchung bewerteten also 83 Probanden Mitbewohner-Suchanzeigen von fiktiven Kandidaten. Der Inhalt der Annoncen war immer gleich, nur in ihrer Schreibweise unterschieden sie sich: Mal waren die Texte fehlerfrei, dann wieder mit Tipp- oder Grammatikfehlern gespickt. Tippfehler zeichnen sich dabei durch kleine Unaufmerksamkeiten wie „abuot“ statt „about“ aus, während Grammatikfehler mit Ausdrücken wie „you’re“ statt „your“ auch mal den Sinn des Gesagten verändern können.

Die Persönlichkeit beeinflusst unser Sprachempfinden

Anschließend sollten die Probanden anhand der gelesenen Texte einschätzen, ob sie den Charakter des entsprechenden Kandidaten als sympathisch, klug oder zuverlässig empfanden. Die Einschätzungen hingen den Spezialisten Bold und Queen zufolge nicht etwa mit dem Bildungsgrad oder dem Alter der bewertenden Versuchspersonen zusammen – sondern mit deren Persönlichkeit. Die Leser hatten zunächst nämlich einen Fragebogen ausfüllen müssen. Anschließend wurden sie einem der klassischen „Big Five“, dem Modell der Psychologie, zugeordnet: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit oder Verträglichkeit.

Während der Untersuchung stellten Boland und Queen fest, dass die Ergebnisse korrelierten und machten eine erstaunliche Entdeckung: Die Ergebnisse zeigten, dass die introvertierten und stillen Menschen generell gereizter auf Fehler reagierten als Extrovertierte. Die Neurotiker störten sich wenig an sprachlichen Missgriffen, während gewissenhafte, aber weniger offene Menschen vor allem Tippfehler nicht leiden konnten. Bei Grammatikirrtümern haben sie eher ein Nachsehen. Die schwierigen und wenig verträglichen Menschen reagierten wiederum vor allem auf Grammatikfehler allergisch.

Grammatik schafft Glaubwürdigkeit

Natürlich werden die Ergebnisse der Studie sich nicht maßgeblich auf das reale Leben auswirken. Und doch ist der richtige Umgang mit Sprache nicht nur von Vorteil – er wird beruflich wie privat vorausgesetzt. Manche Arbeitgeber wie der us-amerikanische Unternehmer Kyle Wiens messen die Glaubwürdigkeit ihrer Arbeitnehmer beispielsweise an deren Grammatik-Kenntnissen: Während des Bewerbungsverfahrens werden Interessenten mittels Rechtschreib-Test knallhart ausgesiebt.

Und vor allem in Zeiten des Internets ist die Orthografie längst nicht so eingestaubt wie vermutet: Beim Online-Dating können die richtigen Worte im Profil über den weiteren Verlauf zweier Leben entscheiden – sprachliche Fehlgriffe wirken da wie echte Liebeskiller.

Zum Thema: „Warum Rechtschreibung verdammt sexy ist!“ In Zeiten stumpfer Daumen und fauler Zungen haben Grammar Nazis umso mehr Sexappeal. Eine Ode an die Rechtschreibung. Von Iseult Grandjean.

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