Für viele bedeutet ein Studium nicht, die Zeit seines Lebens zu haben. Bild: Unsplash

Studium: Die Zeit deines Lebens? – Ein Kommentar

Millionen angehender Akademiker*innen sind daher auf Nebentätigkeiten angewiesen, um ihr Studium finanzieren zu können. Neben ihrer als 40-Stunden-Job ausgewiesenen Hochschulausbildung helfen sie in medizinischen Einrichtungen, räumen Supermarktregale ein oder zapfen Bier in der benachbarten Gastronomie. Aus einem Vollzeitstudium, wie es in den Prüfungsordnungen so schön heißt, wird somit schnell eine 60-Stunden-Woche, die eine alleinige Konzentration auf den Lernstoff, geschweige denn Freizeit und Erholung, beinahe unmöglich macht. Eine Verlängerung der Studienzeit erscheint als einfachste Lösung, schafft in der Praxis jedoch keine Abhilfe. Nicht nur verliert man mit Überschreiten der typischen sechs Bachelor- bzw. vier Mastersemester den Anspruch auf staatliche Unterstützung, ein „überzogenes“ Studium bringt mitunter auch andere Probleme mit sich.

In einer auf Leistung gepolten, schnelllebigen Arbeitswelt, die jährlich hunderttausende Absolvent*innen in Empfang nimmt, reicht es häufig nicht mehr aus, zum „guten Mittelfeld“ zu gehören. Wer sich verschiedene berufliche Möglichkeiten offenhalten möchte, muss entsprechend viel in seine Ausbildung investiert haben: Darunter fallen nicht nur ein erfolgreicher Abschluss in ungefährer Regelstudienzeit, sondern auch außercurriculare Aktivitäten wie Ehrenämter oder Praktika. Teure Auslandsaufenthalte haben sich von einem Privileg der Wenigen zum Standard-Karrierebooster entwickelt und sind für diejenigen, die oben mitmischen wollen, beinahe unverzichtbar geworden. Wie sich all diese Dinge gleichzeitig bewältigen lassen sollen, bleibt eine offene Frage, auf die niemand so recht eine Antwort findet. Einfach machen – aber zu welchem Preis? Wilde Partys, lange Nächte und faule Vormittage, die das Studentenleben unserer Eltern, Tanten oder Onkel prägten, verschwinden gezwungenermaßen von der Agenda und weichen wochenlangen Schreibtischaufenthalten sowie dem Kampf für Bib-Öffnungszeiten bis Mitternacht. Wer finanziell nicht mithalten kann, ist ohnehin aufgeschmissen, und mit dem Gefühl, in Zukunft trotz Anstrengungen womöglich nicht den Punkt zu erreichen, auf den man jahrelang hingearbeitet hat, sinken Motivation und Disziplin. Nicht zuletzt geht die Mehrfachbelastung auch auf Kosten des mentalen Wohlbefindens, das Risiko für Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen steigt; knapp eine halbe Million Studierende klagen über ernstzunehmende psychische Probleme. Von einem Studium als spannender, interessanter Zeitvertreib spricht heutzutage beinahe niemand mehr. Vielmehr wurde aus der „besten Zeit des Lebens“ ein Mittel zum Zweck, welches uns schon in jungen Jahren lehrt, dass „alles geben“ manchmal eben doch nicht gut genug ist.