Wenn-dann-Hassobjekt-

Warum wir uns von „Wenn, dann“-Sätzen verabschieden sollten

„Zu ‚wenn…dann‘-Fragen äußere ich mich nicht“, sagte Angela Merkel im ZDF-Sommerinterview. Und spricht mir damit aus der Seele. Nicht nur, weil es um Seehofer geht. Sondern auch, weil ich „wenn…dann“-Sätze hasse. Egal, ob Frage oder Aussage: Die meisten der Bedingungen, die in „wenn…dann“-Sätze gepackt werden, sollten keine Bedingung sein. Sie werden von uns zu welchen gemacht und dann nicht mehr hinterfragt.

Wenn meine Freundin mir auf der Wiese im Freibad, wo wir mit Eis in der Hand und Sonne und Wassertropfen auf der Haut liegen, erklärt, dass sie sich wegen der Arbeit am nächsten Tag gerade nicht entspannen kann, macht mich das traurig. „Erst, wenn ich im Urlaub bin, dann komme ich zur Ruhe“, sagt sie. Da kann ich nur den Kopf schütteln. „Aber jetzt in diesem Moment ist doch alles wunderbar, oder nicht?“, frage ich vorsichtig. Ich will sie nicht vor den Kopf stoßen, aber ihr die Augen öffnen. Denn ich glaube, der Alltag vernebelt unsere Sicht aufs Wesentliche. Er will uns unsere Gedanken an To-Dos und Sorgen als superdringend verkaufen. Und dann braucht es ab und an jemanden, der sich durch den Nebel kämpft, um uns ein Gegenangebot mit den schönen und angenehmen Dingen zu machen.

Verschobenes Glück

Die Bedingung sieht meistens so aus: Entweder muss etwas passieren oder wir müssen etwas erreichen. Ohne das ist der zweite, meist schönere Teil der Bedingung nicht möglich. Wir sind also entweder vom Schicksal, Zufall oder lieben Gott abhängig oder müssen irgendetwas leisten. Ohne Fleiß, kein Preis. Schöne Aussichten. Wenn ich einen Partner habe, dann bin ich glücklich. Wenn ich den geilen Job hab, dann bin ich zufrieden. Wenn ich frei habe, dann kann ich unbeschwerter sein. Wenn ich Zeit habe, dann kann ich meditieren. Wenn ich genug Geld habe, dann bin ich frei und unabhängig. Bla bla bla. Alles ausgedacht, alles Mist. Ganz ehrlich: Zur Hölle mit dem Preis, wenn ich ihn nur durchs Schicksal oder Leistung bekommen kann.

Wir erlauben uns einfach nicht, glücklich zu sein. Wir müssen leisten, leisten, leisten. Wir müssen kämpfen, kämpfen, kämpfen. Durch den Nebel und noch weiter, immer weiter. Wir müssen, müssen, müssen. Bleib‘ auf Play, drück bloß nicht Pause. Bleib‘ in Bewegung und halt bloß nicht an. Wer anhält und sich umschaut, wird gnadenlos überholt. Und wer will das schon? Erst muss der leere Geldbeutel gefüllt, die Liebe unseres Lebens gefunden und der Arbeitstag überstanden werden. Wenn das erledigt ist, dann erst spielen irgendwann wir selbst eine Rolle. Wir sollten uns nichts auf uns einbilden, uns nicht so wichtig nehmen. Alles ist wichtiger, als dass wir glücklich sind.

Dass es mir gut geht, zählt nicht. Es muss mir besser gehen. Dass ich genug Geld verdiene, dass ich gut leben kann, zählt nicht. Ich muss mehr verdienen. Dass ich einen Bachelor und ein paar Praktika habe, zählt nicht. Ich muss mit Abschluss des Studiums schon fünf Jahre Berufserfahrung vorweisen können. Im Stressen sind wir Meister. Und im Verschieben unseres eigenen Glücks noch besser. Mich wundert es nicht, dass wir alle auf der ewigen Suche nach dem Glück sind, die nie endet, und uns fragen, wie andere das bloß hinkriegen. So bleiben Glück, Zufriedenheit und Freiheit weiter bloß Konsequenz einer Bedingung und damit wohl im Konjunktiv.

Ausrede für Faule und Ängstliche

Aber in dem ganzen Müssen und Sollen vergessen wir, dass wir uns mit „wenn…dann“ nur ein Gerüst aus Ausreden aufbauen. In unserem Leistungskäfig suchen wir nach Ausreden, wieso wir jetzt noch nicht etwas Neues wagen und ausbrechen können. Wieso wir jetzt noch nicht auf Pause drücken und uns im Moment umschauen können. Weil wir Angst haben. Angst davor, das anzuschauen, was ist. Denn vielleicht ist es gar nicht so cool wie wir denken. Vielleicht ist unser Leben gar nicht das, was wir eigentlich wollen. Vielleicht haben wir in dem ganzen Stress, in dem wir dachten, alle anderen glücklich machen zu müssen, genau die vollkommen vernachlässigt. Und ganz vielleicht, jetzt mal rein hypothetisch, ist am Ende all die Mühe umsonst.

Meine Freundin sagt nur: „Ist ja toll, dass du das kannst. Aber ich kann es eben nicht.“ Das ist das Problem. Bei vielen steht das „Ich muss noch dies und das und jenes“ dem übersehbar kleinen Willen, sich zu verändern, gegenüber. Leistung gegen Angst und Faulheit. Als wollten sie das Glück lieber ein Leben lang aus der Ferne betrachten. Aus einem Sicherheitsabstand. Weil sie Angst davor haben, was nach dem Nebel kommt. „Wenn…dann“-Sätze schaffen diese gewisse Sicherheit. Denn erst, wenn das eine erfüllt ist, wird das andere, unbekannte eintreten.

Die, die im Moment leben, sind die wahren Mutigen. Die Achtsamen, die belächelt werden, sind die, die sich ihrem Leben stellen. Die, die Ruhe dem Stress vorziehen und die, die nicht rund um die Uhr leisten, sondern sich auch mal zurücklehnen, sind die eigentlichen Helden. Sie alle machen aus „wenn…dann“ ein „jetzt oder nie“. Denn das ist der eigentliche Sinn des Lebens.

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Bildquelle: Pexels unter CC0 Lizenz