Stalking: Recht haben heißt nicht Recht bekommen
28 Monate soll das durchschnittliche Stalking dauern. Über zwei Jahre, in denen ein Opfer pausenlos von einem Menschen verfolgt wird. Der Stalker wartet vor dem Haus, wartet vor dem Arbeitsplatz, wartet vor dem Supermarkt. Er ruft an, schreibt E-Mails, SMS und Briefe, bestellt Waren im Namen des Opfers und schleicht sich so in jeden einzelnen Lebensbereich. Die Liste der Handlungen, die zum Stalking zählen, reicht bis hin zu Sachbeschädigung, Nötigung oder gar Tötung des Opfers.
Totes Recht
21.857 Fälle von Stalking hat es 2014 gegeben, wie man der polizeilichen Kriminalstatistik entnehmen kann. Von den knapp 20.000 Fällen aus dem Vorjahr wurden gerade einmal 236 Täter schlussendlich auch verurteilt. Also ganze 1,18%. Woran liegt das? Ist Stalking wirklich etwas, wogegen man – rechtlich gesehen – machtlos ist? In Deutschland ist Stalking seit 2007 überhaupt erst strafbar. Um einen Stalker rechtlich belangen zu können, ist man als Opfer in der Bringschuld – und muss beweisen, dass der Stalker einen gravierenden Einschnitt ins tägliche Leben verursacht. Etwa, wenn ein Opfer so weit gehen muss, den Arbeitsplatz oder die Wohnung zu wechseln, um den Schikanen zu entgehen. Geänderte Telefonnummern oder E-Mail-Adressen reichen für juristische Schritte noch nicht aus. Das ginge an der Lebenswirklichkeit vorbei, sagt der Strafrechtler Michael Kubiciel gegenüber „der Zeit„. „Viele Opfer könnten sich einen Umzug oder einen Jobwechsel schlicht nicht leisten“. Aufgrund der verschwindend geringen Anzahl an Verurteilungen und der minimalen Erfolgsaussichten für Opfer, spricht Kubiciel von „totem Recht“.
„Nicht das Opfer soll sein Verhalten ändern müssen, sondern der Täter“
Dieses tote Recht soll nun ein bisschen lebendiger werden. Bundesjustizminister Heiko Maas hat einen Gesetzentwurf angekündigt, der dafür sorgen soll, dass Stalking nicht länger schwerwiegende Beeinträchtigungen des Lebens verursacht haben muss, um strafrechtliche relevant zu sein. „Stalking soll künftig auch dann strafbar sein, wenn das Opfer dem Druck nicht nachgibt und sein Leben nicht ändert“, soll Maas laut „n-tv“ gesagt haben. Gegenüber „der Zeit“ machte er klar: „Nicht das Opfer soll sein Verhalten ändern müssen, sondern der Täter“. Der Entwurf soll am Mittwoch vom Kabinett verabschiedet werden.
Sind Opfer jetzt besser geschützt?
Ist die Gesetzesänderung jetzt das lang ersehnte Aufatmen für Stalking-Opfer? Wolf Ortiz-Müller, Leiter der Beratungsstelle „Stop-Stalking“, sieht das kritisch. Gegenüber „der Zeit“ erklärt er, dass immer noch entscheidend sei, wie die Gerichte das Täterverhalten einstuften. Also: Welches Verhalten sie als geeignet ansehen, einen Einschnitt im Leben der Opfer zu verursachen. Kurzum: Welcher Stalker dem Opfer das Leben ausreichend schlimm zur Hölle macht, um dafür auch bestraft werden zu können.
Kritisch betrachtet wird noch ein anderer Aspekt der Änderung: Im bisherigen Gesetz sind Auflauern, Telefonterror, Datenmissbrauch und Drohungen ausdrücklich als Straftatbestände des Stalkings genannt. Bislang ist hier festgelegt, dass auch „vergleichbare Handlungen“ strafbar seien. Diese „Generalklausel“ will Maas jetzt streichen lassen. Damit würden andere Formen des Stalkings, also über Smartphones, soziale Medien und neue Möglichkeiten wie GPS-Verfolgung, außen vor gelassen. Übrig bleibt Stalking-Opfern in einem solchen Fall nur noch die Privatklage, in der sie dem Täter nicht nur als Zeuge, sondern als Kläger direkt gegenüberstehen müssen. Hiervon rät die Polizei dringend ab, da jeglicher Kontakt mit dem Stalker vermieden werden sollte.
Auch zukünftig ist beim Thema Stalking also kein ausreichender Opferschutz gewährleistet und die Gefahr besteht, dass es auch weiterhin zu viele Opfer geben wird, deren Stalker als nicht gefährlich eingestuft werden.
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Bildquelle: Jason Kuffer unter CC BY-SA 2.0
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