Vom Lieben und Sterben DOK.fest Katrin Nemec

Interview: „Vom Lieben und Sterben“ auf dem DOK.fest

Am 05.05.2016 geht das DOK.fest in München in die 31. Runde. Zehn Tage lang werden über 150 Filme gespielt, damit ist die Veranstaltung eines der größten Festivals Europas für Dokumentarfilm. Gezeigt wird Eindringliches, Lustiges, Sportliches, Dramatisches, Kritisches und Berührendes – Filme, die aufwühlen, glücklich machen, kritisieren, erklären oder berühren.

Einen davon hat Katrin Nemec entstehen lassen: „Vom Lieben und Sterben“ ist ihr Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film und zeigt das Leben und Lieben von Robert Wolf, Gitarrist des Akustik-Quartetts Quadro Nuevo, der nach einem unverschuldeten Autounfall mit einer Querschnittslähmung zu kämpfen hat. Sechs Jahre lang begleitet Katrin Nemec den Musiker und seine junge Frau Angelika. Sie erlebt das Paar in optimistischen Zeiten, in denen vor allem Angelika versucht, trotz erschwerten Bedingungen eine Zukunft miteinander aufzubauen. Sie erlebt aber auch Robert, der die Krankheit nie akzeptieren kann, der seinen Körper „immer enger, das Gefängnis immer kleiner“ werden spürt. „Vom Lieben und Sterben“ ist kein Plädoyer für Sterbehilfe, kein aufgesetzter Mitleids-Streifen. Kein Film, der bewertet oder Partei ergreift. Der Film bedeute für ihn „ein kleines Stück Ewigkeit“, sagt Robert Wolf zu Beginn der Dokumentation. 2014 entschließt er sich, sein Leben selbstbestimmt zu beenden. „Vom Lieben und Sterben“ ist ein aufrichtiger und ruhiger Film, der Fragen aufwirft, die nicht beantwortet werden können. Über ein paar von ihnen haben wir mit Autorin und Regisseurin Katrin Nemec gesprochen.

 

ZEITjUNG: Du hast Robert und Angelika sechs Jahre lang begleitet. Wie kam die Zusammenarbeit zustande?

Katrin Nemec: 2003 ist ein Freund von meinem Mann gestorben – mit Anfang 50 lag er einfach tot in seiner Wohnung. Das war ziemlich überraschend und hat so eine Grundangst in mir ausgelöst, dass sich von der einen auf die andere Sekunde alles einfach so verändern kann. Irgendwann habe ich einer Freundin erzählt, dass mich dieses Thema beschäftigt und die hat mir dann von Robert erzählt, dem genau das passiert ist. Ich habe Robert ein paar Monate nach seinem Unfall kennengelernt, nachdem er aus der Klinik entlassen wurde, das war 2008. Ich wollte zeigen, wie es ist, so einen schweren Einschnitt von heute auf morgen zu erleben; wie man damit zurecht kommt, wenn sich das ganze Leben komplett verändert.

 

Wie haben die beiden auf die Anfrage reagiert, es ist ja doch eine sehr private Thematik?

Die waren eigentlich von Anfang an sehr aufgeschlossen, alle beide. Angelika, seine Frau, ist so alt wie ich und wir haben uns gleich gut verstanden. Zu dem Zeitpunkt haben sie schon noch gehofft, dass es besser wird und diese komplette Lähmung eine Übergangsphase ist. Sagen wir so: Sie hat eher daran geglaubt als er. Als ich Robert das erste Mal gesehen habe, war er wirklich sehr schwer eingeschränkt und ich wusste gar nicht, wie ich mit ihm umgehen soll. Ich war ziemlich verunsichert. Aber das hat sich total gewandelt nach ein paar Treffen, da habe ich ihn auch gar nicht mehr im Rollstuhl wahrgenommen, das hat für mich überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Robert war bis zum Schluss immer sehr aufgeschlossen und offen, es gab keine Frage, die ich ihm nicht hätte stellen dürfen.

 

Inwieweit haben Robert und Angelika bei der Gestaltung mitgewirkt? Gab es Momente, die du gerne aufgenommen hättest, die dann aber doch zu privat waren? 

Die ersten Jahre gar nicht. Nachdem aber dieser Wunsch von Robert ausgesprochen war, nicht mehr leben zu wollen, hat das Angelika natürlich überfordert. Das war eine schreckliche Situation, den anderen einfach so in den Tod gehen zu lassen – zumal sie das einfach nicht verstanden hat. Ende des Jahres wollte sie dann nicht mehr vor die Kamera, was ich auch verstehe, weil niemand mit dieser Situation wirklich umgehen konnte. Aber sie hat zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass sie nicht möchte, dass Robert diesen Film weiter mit uns dreht. Aber es war schwierig. Auch für mich. Es kam auch die Frage auf, ob ich das dann weitermache oder ob ich abbreche. Denn es ist natürlich schlimm, wenn du dann immer noch anrufst und fragst: „Dürfte ich denn da noch dabei sein und darf ich das filmen?“ Im Laufe der Jahre entsteht ja auch ein Vertrauensverhältnis; eine Freundschaft.
Die ersten Jahre konnte ich alles so zeigen, wie ich es miterlebt habe, aber die letzten Monate waren schwierig. Da hätte ich öfter noch gerne den Alltag der beiden gezeigt; und wie sie sich verabschieden und wie Angelika damit umgeht, aber das ging dann nicht: Angelika wollte nicht mehr.

 

Im Film merkt man Robert an, dass er von Anfang an auf eine bestimmte Art und Weise schon abgeschlossen hat und seine Krankheit nicht akzeptieren kann. Wie hast du das erlebt?

Eigentlich wollte er von Anfang an so nicht leben und wollte schon direkt nach dem Unfall sterben, als er wusste, wie schwer seine Verletzungen waren. Aber er konnte selbstständig atmen, also war das irgendwie kein Thema. Natürlich hatte er trotzdem noch die Hoffnung, dass es wieder besser werden kann – aber nicht so stark wie Angelika: Sie hätte sich auch ein Leben mit ihm im Rollstuhl und mit so einer schweren Behinderung gut vorstellen können.

 

Hat er auch ein Stück weit für Angelika durchgehalten?

Ich bin sicher, wenn Angelika nicht da gewesen wäre, wäre er schon viel früher gestorben und hätte den Wunsch danach auch viel früher geäußert.

 

Hatte Robert Schmerzen?

Obwohl er zum Beispiel nicht zwischen heiß und kalt unterscheiden konnte, hatte er Schmerzen. Und dann verstehe ich auch, dass er unter diesen Umständen nicht leben wollte. Das ist natürlich eine ganz individuelle Entscheidung. Er war Anfang 50, als es passiert ist, war viel auf Tournee, hat sein Leben lang Musik gemacht. Die beiden Dinge, die sein Leben ausgemacht haben, also Musik und Frauen, sind plötzlich einfach weggefallen. Ich respektiere seine Entscheidung total, aber ich verstehe auch Angelika, die an einem ganz anderen Punkt stand, die immer um ihn gekämpft hat, immer mit ihm zusammen sein wollte und ihn über alles geliebt hat – und sich trotzdem vorstellen konnte, eine Familie mit ihm zu gründen und die Hoffnung nicht aufzugeben. Aber Robert konnte natürlich auch nicht nur für sie am Leben bleiben.

 

Angelika ist ein bisschen das Herzstück des Films. Anfangs kann und will sie die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft nicht aufgeben und macht einen optimistischen Eindruck. Hast du im Laufe der Jahre eine Veränderung bei ihr bemerkt?

Ab dem Moment, in dem er geäußert hat, nicht mehr leben zu wollen, hat sich bei ihr etwas verändert. Für sie war das natürlich auf eine Art eine Entscheidung gegen sie, vergleichbar mit einer Trennung oder einem Verlassenwerden. Sie hat sich zurückgezogen – aber natürlich auch aus dem Grund, weil sie es zuhause nicht ausgehalten hat.

 

Hat dich die Geschichte nicht auch dich selbst sehr belastet?

Ich konnte nicht abschalten; es ist natürlich etwas, das man mit nach Hause nimmt. Aber die Jahre davor waren die Besuche bei Robert und Angelika eigentlich immer sehr schön und sehr nett, trotz der Schwere des Themas. In der Situation hat es mir auch immer viel gegeben, bei den beiden zu sein.

 

Wie war der Moment für dich, in dem du von Roberts, dann doch unerwartetem, Tod erfahren hast?

Sagen wir so: Zum Glück musste er nicht in die Schweiz fahren, ich glaube, das hätte alle noch viel mehr gebrochen, vor allen Dingen Angelika und seine Freunde. Das ist ja nicht auszuhalten: wenn du dabei sein musst, wie dein Mann sich umbringt. Robert hatte eine Erkältung, wollte aber nicht zum Arzt gehen. Das hat sich dann zu einer Bronchitis und Lungenentzündung ausgewachsen. Und dann hat Robert im Krankenhaus die Antibiotika-Therapie verweigert, weil er sterben wollte. Angelika hatte eine Vollmacht und war kurz davor, die wieder Therapie einzuleiten. Sie hat es dann aber doch geschafft, das nicht zu machen und seinen Wunsch damit zu respektieren. Natürlich kam das für mich sehr plötzlich. Aber es war auch eine Erleichterung, dass es nicht zur Schweiz gekommen ist. Wenn jemand stirbt, ändert sich plötzlich alles. Du denkst dir immer: „Scheiße, hätte ich doch die letzten Wochen und Monate anders oder intensiver genutzt, oder mich anders verabschiedet“. Wenn jemand tot ist, ist irgendwie alles anders. Davor war das alles so eine Organisationssache und alles hypothetisch und irgendwie glaubt man daran, dass das alles so passiert. Aber klar hätte ich gerne nochmal mit ihm gesprochen. Es ist auch ein Einschnitt in mein Leben und ich bin sehr traurig, dass er nicht mehr da ist.

Eine Szene, die dich besonders berührt oder dir am Herzen liegt?

Mich haben die beiden einfach sehr berührt. Durch ihre Offenheit, durch ihre zugewandte Art, durch ihre Ehrlichkeit, durch ihre Stärke und Kraft, damit umzugehen. Was mich im Film berührt hat, war zum Beispiel die Szene, als die beiden auf der Terrasse sitzen und gerade darüber diskutieren, ob diese Entscheidung egoistisch ist. Das ist einfach so schonungslos, da gibt es nichts mehr zu verstecken. Eigentlich gibt es selten solche Momente in einer Beziehung oder einer Freundschaft, wo man wirklich ganz ohne Schutz und Rücksichtnahme miteinander umgeht und jemandem das Herz so ausschüttet.

Was hast du für dich persönlich aus der Arbeit, dem Film und den Begegnungen mitgenommen?

Es hört sich immer so banal an, aber ich bin einfach wahnsinnig dankbar, dass ich gesund bin und dass es mir so gut geht. Dass ich ein gesundes Kind habe und mit dem Mann zusammen bin, den ich liebe. Das ist schon echt viel. Und auf jeden Fall etwas, was mich auch im Alltag bereichert.

Hier findet ihr alle Infos zum Programm des DOK.fest München – es lohnt sich!

 

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Bildquelle: (1) Internationales Dokumentarfilmfestival München e.V. ; (2) und (3) TANGRAM International GmbH