VON BIERDECKEL BIS BONSAI: VEREINE FÜR JEDEN GESCHMACK
Die große Zeit der Vereine ist in Deutschland definitiv vorbei. Wohl wurde die generell abrutschende Tendenz zuletzt etwas gebremst, aber alljährlich werden immer weniger neue Vereine eingetragen. Warum das so ist, hat verschiedenste Gründe.
Einer davon: Gerade jüngere Leute sehen das klassische Vereinswesen eher kritisch. Vor allem die Tatsache, dass eine Mitgliedschaft häufig mit festen Verpflichtungen und Terminen einhergeht, und es oftmals sehr starre Hierarchien gibt, in denen „die Alten“ den Ton angeben, wirkt auf viele deiner Generation so sexy wie ein trockenes Fertigschnitzel aus Massentierhaltung.
Allerdings kann es auch ganz anders gehen. Denn
- erstens kann jeder einen Verein gründen,
- zweitens sind Vereine frei in der Themenwahl und deshalb gerade für weniger mainstreamige Interessen oft die einzige taugliche Anlaufstelle,
- drittens können Vereine vielfach von interessanten Extras profitieren, etwa besondere Fitness-Angebote, die in jeglicher Hinsicht auf die Mitglieder zugeschnitten sind.
- viertens kann gerade das „starre“ Korsett eines Vereins Dinge ermöglichen, die bei einem lediglich unverbindlichen, losen Zusammenschluss von Personen kaum machbar wären. Etwa das akribische Erfassen von Informationen oder gemeinsame Arbeitsleistungen.
Haben wir dein Interesse geweckt? Dann schau dir einmal an, für welche spaßigen, wichtigen und/oder lehrreichen Themen es in Deutschland außer den bekannten sportlichen Klassikern sonst noch Vereine gibt. Wir haben dir 10 Themengebiete aus unterschiedlichen Bereichen herausgesucht.
1. IGELSCHUTZ
Der Igel ist vielleicht das putzigste Raubtier, das in Deutschland lebt. Allerdings leiden Igel stark durch verschiedene Faktoren der heutigen Zivilisation. Nicht nur geraten sie, wie so viele andere Wildtiere, unter die Räder und leiden durch die Zerstörung ihrer Lebensräume.
Die nachtaktiven Stachelträger werden überdies wie kaum eine andere Art durch Mäh-Roboter bedroht: Da die Igel sich bei Gefahr einrollen, werden sie von den Maschinen meist überrollt und dabei fürchterlich verstümmelt oder getötet.
Bei solchen Dingen setzten Deutschlands organisierte Igelschützer an. Ihr Ziel: Informieren, erforschen und aktiv schützen, damit die Stachelkameraden auch übermorgen nicht bloß noch in TikTok-Videos zu sehen sind.
2. SENSEN
Du glaubst, man müsse schon ein reichlich nischeninteressierter Fan veralteter Landwirtschaftswerkzeuge sein, um sich in einem Sensenverein zu organisieren? Nope, gerade diese Ansicht ist mittlerweile ziemlich veraltet. Denn eine gekonnt geschwungene Sense hat verschiedene Vorteile gegenüber sämtlichen motorisierten Nachfolgern.
Das fängt bei der geräuschlosen und insektenschonenden Arbeitsweise an und hört bei der Sportlichkeit der Bedienung noch lange nicht auf. Die Sense erlebt daher seit einigen Jahren ein interessantes Revival, nicht nur bei denjenigen, die im eigenen Garten mähen müssen.
Insbesondere im Alpenraum existierten sogar schon seit langer Zeit ununterbrochen erfolgreiche Wettbewerbe, bei denen es um Stil und Tempo geht. Sozusagen die perfekte Verbindung von Sport und Naturschutz.
3. BÄRTE
Ein Verein für etwas, das quasi allen Männern zwangsläufig im Gesicht wächst? Ja, in der Tat. Denn selbst wenn du vielleicht zu denjenigen gehörst, die alltäglich mit scharfer Klinge alles zwischen Kragen und Ohr-Oberkante feinsäuberlich glattrasieren, so gibt es eine Menge anderer Männer, für die ihre Gesichtsbehaarung weit mehr als nur postpubertäre Zwangsläufigkeit ist.
Tatsächlich existieren in Deutschland sogar überraschend viele Vereine, die sich irgendwie diesem haarigen Thema verschrieben haben – und nicht selten sogar Wettbewerbe abhalten. Da geht es dann beispielsweise darum, wer den am schönsten aufgewickelten Schnauzer hat oder den längsten Vollbart.
Wenn du dir einmal eine solche Club-Website anschaust, wirst du eines direkt feststellen: Es ist definitiv nicht damit getan, einige Monate lang den Rasierer in die Schublade zu verbannen.
4. BIERDECKEL UND ANDERE BRAUEREI-DEVOTIONALIEN
Es gibt fast nichts, was man nicht sammeln könnte. Wohl gibt es keine offiziell erhobenen Zahlen, aber das Thema Bier gehört definitiv zu den beliebteren Sammler-Hobbies. Nicht nur, weil Bierdeckel, Kronkorken, Flaschenöffner und Ähnliches vergleichsweise wenig Platz beanspruchen, sondern auch, weil es sich um ein eher günstiges Hobby handelt. Selbst alte, sehr seltene „Bierfilze“ kosten pro Stück höchstens den Gegenwert eines Kneipenabends.
Einer der größten Zusammenschlüsse ist der Internationale Brauereikultur-Verband e.V. Er steht schon seit 1958 allen offen, für die Bier mehr ist als bloß ein Genussmittel.
5. BONSAIS
Bonsais kennst du vielleicht als ausgewachsene Bäume im Miniaturformart. Doch im Gegensatz zu denjenigen „Bonsais“, die es in manchen Gartenmärkten fertig zu kaufen gibt, handelt es sich bei „richtigen“ Bonsais um eine gleichsam uralte und extrem vielfältige Kunstform. Nicht nur eignen sich verschiedenste Gewächse dazu, zum Mini-Baum gemacht zu werden, sondern es gibt auch noch unterschiedlichste Formen und Stile.
Zusammengefasst also eines jener Hobbies, mit dem man dank der langen Lernkurve ohne Probleme seine gesamte Freizeit (und sein freiverfügbares Einkommen) durchbringen kann. Kein Wunder also, das[A1] s sich viele Fans der Mini-Bäume zusammengeschlossen haben und so diese feine Gartenkunstform lebendig halten.
6. SANDBURGEN
Deine jüngsten Versuche mit dem Bau von Sandburgen liegen zeitlich noch vor deinem Grundschuleintritt? Dann solltest du zunächst wissen, dass es Menschen gibt, bei denen diese Leidenschaft nicht mit der Kindheit endete – sogar ohne eigenen Nachwuchs zu haben.
Hinzu kommt: Es ist geradezu erstaunlich, was für komplexe Formen man mit nichts weiter als angefeuchtetem Sand erstellen kann, wenn man die passende Kombination aus Engelsgeduld und Fingerspitzengefühl mitbringt.
Heraus kommt eine Vereinstätigkeit, die so viel mit umgestülpten Sandförmchen am Strand zu tun hat wie ein Handy-Video mit einem Hollywood-Dreh. Zumal es hierbei nicht nur um klassische Burgen geht, sondern eher einen ganzheitlicheren Ansatz – Anhänger der Kunst nennen sich daher selbst meistens Sandskulpturenbauer.
7. SCHWERTKAMPF
Fechten mit Florett, Degen und Säbel gehört zu den ältesten olympischen Disziplinen. Doch so kunstvoll-sportlich es dabei zugeht, mit klassischen Fechttechniken (und den dafür genutzten Waffen) hat das notgedrungen nicht mehr allzu viel zu tun. Im Gegensatz dazu waren frühere Schwertkampftechniken sehr viel mehr als unkoordiniertes Hauen und Stechen – schon vor Jahrhunderten wurden dafür Lehren und Techniken festgelegt, die das Ganze selbst nach moderner Definition zu Martial Arts machen, nicht anders als diverse Kampfsportarten.
Kommt dann noch hinzu, dass es zahlreiche Schwerter und artverwandte Waffen gibt und überdies eine riesige regionale und zeithistorische Vielfalt existiert, ergibt das einen historischen Kampfsport, der im Prinzip vom antiken Sparta bis ins spätfeudale Japan reicht.
Hierzulande ist der Deutsche Fachverband für Historisches Fechten e.V. der wichtigste Verein. Zudem spielt bei diesem Steckenpferd naturgemäß noch eine große Portion Geschichte, deren Erforschung und Überlieferung, eine zentrale Rolle. Also ein spannender Mix zwischen Sport, Kampfkunst und Historie.
8. FLIPPER
Gerade in der heutigen Zeit der Videospiele ist das Flippern für viele nur noch ein Spaß, den man sich gönnt, wenn ein passender Automat in einer Bar steht und man etwas Kleingeld in der Tasche hat. Doch täusche dich nicht. Flipper ist abermals eines dieser Hobbys voller Vielfalt:
- Das Flippern als Geschicklichkeitssport,
- der Flipper als höchst sammelwürdiges (und nicht selten ziemlich kostspieliges) Gerät und
- das Basteln an Elektrik, Elektronik und Mechanik, um alten Flippern ein zweites Leben einzuhauchen.
Egal, wo genau sich jemand darin verortet, er findet eine Anlaufstation unter anderem bei der German Pinball Association. Wusstest du übrigens, dass es in Deutschland sogar verschiedene Flipper-Ligen gibt?
9. LINKSHÄNDER
Statistisch gesehen ist weltweit nur jeder zehnte Mensch mit der linken Hand motorisch geschickter als mit der rechten. Leider gibt es zudem nach wie vor Kulturen, in denen Kindern diese Laune der Natur weg-erzogen wird – mit schädlichen Auswirkungen. Selbst bei uns, wo man als „Lefty“ mittlerweile keine Diskriminierung oder Umerziehung mehr fürchten muss, lässt sich doch eines nicht von der (egal welcher) Hand weisen: „It’s a right-handed World!“.
Von der Maus über den Dosenöffner, die Schere bis hin zu Schultischen und Hörsälen ist vieles in der Welt nicht für Linkshänder geeignet – deren Alltag dementsprechend unnötig kompliziert.
In Österreich existiert ein Verein, der Linkshänder fördern und über deren Lebensrealität informieren möchte. In eine ähnliche Richtung bewegt sich die Erste deutsche Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder e.V.
10. KÜRBISSE
Kommst du mit den großen, orangen Gewächsen nur in Kontakt, wenn du sie zu Halloween aushöhlst und ihnen schaurige Fratzengesichter verpasst? Dann verpasst du vielleicht eine der spaßigsten Vereinstätigkeiten aus dem gärtnerisch-landwirtschaftlichen Bereich.
Denn bei vielen organisierten Kürbiszüchtern lautet das Motto „Size Matters“. Jedes Jahr geben sie in ihren Gärten alles, um entweder in Umfang oder Gewicht die „dicksten Dinger“ wachsen zu lassen. Heraus kommen Kürbisse, die zu den ganz wenigen essbaren Gewächsen gehören, die sich nur noch per Stapler oder Kran bewegen lassen. 2023 wurde bei einem Züchter-Treffen in Ludwigsburg die Marke von 1.052 Kilogramm gerissen. Zum Vergleich: Das ist in etwa so viel wie ein Fiat-500-Kleinwagen in Basisausstattung.
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