Ein Mann sitzt in der Dunkelheit vor einem Laptop

Was sind eigentlich Incels?

Im Zeitalter von Internet und Social Media formieren sich täglich neue Organisationen und Bewegungen – da kann man schnell einmal den Überblick verlieren. Eine Gruppierung, die ihr jedoch dringend auf dem Schirm haben solltet, sind die sogenannten Incels. Denn die frustrierten Männer, die die Verantwortung für ihr langweiliges Sexleben den Frauen zuschieben wollen, sind gefährlicher, als man zunächst denken mag.

Die Frauen sind Schuld

„Incel“ steht für „Involuntary celibate„, zu Deutsch etwa „unfreiwillige Enthaltsamkeit“. Diese Bezeichnung stammt ursprünglich von einer kanadischen Studentin, die mit ihrer Online-Selbsthilfegruppe „Alana’s Involuntary Celibacy Project“ schüchternen Menschen jeden Geschlechts Unterstützung in Sachen Liebe und Sex anbieten wollte. Das war 1997 – heute, knapp 25 Jahre später, haben sich frustrierte heterosexuelle Männer den Begriff „Incel“ vollends zu Eigen gemacht. Nachdem Alana das Forum im Jahr 2000 verließ, entwickelte es sich zu einer Plattform, auf der vermehrt frauenverachtende Inhalte verbreitet wurden. Schon bald erreichte die Bewegung auch andere Online-Foren wie Reddit oder 4chan. Die Männer, die hinter den toxischen Aussagen stecken, haben eines gemeinsam: Sie sind Jungfrau – und zwar nicht mit Absicht. Schuld an ihrem mangelnden Sexleben sind ihrer Meinung nach nicht sie selbst, sondern die Frauen, die ihnen die Befriedigung ihrer Bedürfnisse verwehren und sowieso nur auf gutaussehende, reiche Typen aus wären. Unter diese frauenverachtenden Ideologien mischen sich zunehmend auch fremdenfeindliche und antisemitische Gesinnungen, was die Incel-Bewegung gleich doppelt gefährlich macht.

Hetze im Netz

Auch heute organisieren sich die Incels vor allem online. Lange Zeit war das Reddit-Forum „r/Incels“ das Maß der Dinge, bis es im Jahr 2017 beim Stand von über 40.000 Mitgliedern geschlossen wurde. Grund dafür waren jahrelange Verstöße gegen die Richtlinien der Seite: Es wurden explizit Vergewaltigungen beschrieben und Frauen zum Ursprung allen Übels erklärt. Ein Mitglied erklärte sogar, er wolle eine Freundin betäuben, um die Unversehrtheit ihres Jungfernhäutchens zu überprüfen. Auch auf der Plattform 4chan wächst die Incel-Community rasend schnell. Im deutschsprachigen Raum, wo die Bewegung lange Zeit nicht allzu bekannt war, spielen Websites wie die frauenfeindliche WikiMANNia eine wichtige Rolle. Dort verbreiten Männer nach eigener Angabe „feminismusfreies Wissen“ über die Themen Gendern, Frauen und Familie. Wie weit die verblendeten Vorstellungen der Kritiker von der Realität abweichen, zeigen die zahlreichen Wortneuschöpfungen auf der Seite: Statt von Patchwork- sprechen die Autoren von „Flickwerkfamilien“, der Artikel über die Frauenquote trägt den Beinamen „Frauenbevorzugung“ und das sogenannte Binnen-I, welches früher genutzt wurde, um die männliche und die weibliche Form eines Nomens zu vereinbaren (SchülerInnen), wird schlichtweg als „Vagina-I“ bezeichnet.

Von der Theorie in die Praxis

Würden die Incels es bei solchen Aktionen belassen und ihre hasserfüllten Fantasien auf Online-Foren beschränken, ließe sich die Szene vermutlich relativ gut ignorieren. Leider ist dies schon lange nicht mehr der Fall: In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Amokläufen oder Anschlägen durch Männer, die sich öffentlich zur Incel-Bewegung bekannten. Das wohl berühmteste Beispiel ist die Amokfahrt von Toronto, durch welche die Szene erstmals ins Auge der Öffentlichkeit geriet: Am 23. April 2018 überfuhr ein 25-Jähriger zehn Menschen, darunter acht Frauen. In seinem Bekennerschreiben sprach der Täter von einer beginnenden „Incel-Rebellion“ und bezog sich dabei unter anderem auf den Attentäter Elliot Rodger, der in Teilen der Incel-Community als Held gefeiert wird. Im Rahmen des Amoklaufs von Isla Vista hatte Rodger im Jahr 2014 sechs Menschen getötet. Sein Motiv: Frauenhass und Rache für sexuelle Zurückweisung.

Doch nicht nur im englischsprachigen Raum sind Angriffe durch Incels häufiger geworden: Auch im Manifest des Täters von Hanau finden sich Hinweise auf eine Zugehörigkeit zur Incel-Bewegung. Tobias R. schreibt davon, dass er nie eine Freundin hatte, sich allerdings auch nur mit dem „Besten“ zufriedengegeben hätte. Dieser Fall zeigt erneut, wie häufig Frauenhass und Ausländerfeindlichkeit Hand in Hand gehen. Ähnliche Verbindungen gab es bereits bei den Attentätern von Utøya, Christchurch und Halle. Laut Expert*innen neigen Incels dazu, in radikale Sphären abzudriften.

Die Incel-Bewegung ist also viel mehr als nur der Austausch in Online-Foren: Oft werden aus den gekränkten Männern mit verzerrtem Selbstbild auch im echten Leben Täter. Gerade deshalb braucht es dringend ein größeres Bewusstsein für die Szene und ihre Vernetzungen mit anderen extremistischen Bewegungen.

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Bildquelle: Pexels; CCO-Lizenz