Die Stadt ist zu klein für uns beide…
Lasst uns mehr aufräumen und weniger liegen lassen! Mehr Briefe öffnen und weniger auf den Stapel legen! Mehr Wunden aufreissen und weniger Pflaster kleben. Was ich eigentlich meine: Lasst uns Dinge aussprechen, Streite streiten und Gefühle fühlen. Und wieso? Zur Erklärung folgt eine unschöne Erfahrung, die sich durch eben erwähnte Maßnahmen hätte verhindern lassen können:
Es ist ungewöhnlich kalt für August und ich bin unterwegs mit Freunden. Trotz kühlem Wind in den Haaren und kalten Fingern sitzen wir draußen. Meine Freunde klammern sich an ihre Zigaretten und schlürfen ihre viel zu teuren Drinks. Und ich sitze dazwischen, auch mit einem viel teuren Drink. Bis dahin, alles gut. Bis ein ungewöhnlich unsympathisches Auto anrollt. Und stehen bleibt. Und einparkt. Alle Menschen vor der Bar und auch meine rauchenden Freunden drehen ihre Köpfe, denn das Auto ist auf eine abstoßende Art und Weise sehenswert. Und ich? Ich senke meinen Kopf. Mein Herz rast, er steigt aus und ich weiß: Die Stadt ist zu klein für uns beide.
Beziehungsfaul und Konfrontationsscheu
Wir schreiben das Jahr 2016 und Beziehungen scheinen sich verändert zu haben. Vor ein paar Jahren noch, so zumindest meine romantisierende Vorstellung, ging man aus Knutschereien, kurzen „Sachen“ und langen Beziehungen mit erhobenem Haupt heraus. Man sprach sich aus. So ein bisschen zumindest. Und jetzt? Man löscht. Man ignoriert. Man ghostet. Wir sind beziehungsfaul und konfrontationsscheu. Das hat nichts mit unendlichen Möglichkeiten zu tun. Das ist einfach nur scheiße.
Und was darauf folgt, und das weiß ich seit dem ungewöhnlich kalten Abend im August, ist manchmal noch ein bisschen mehr scheiße: Ich und die rauchenden Freunde sitzen da also noch ein bisschen. Während die Rauchenden ihren Beziehungsmüll, als er angefangen hat zu stinken, runter gebracht haben, muss ich meine Faulheit jetzt ausbaden. Ich habe plötzlich das Gefühl meine eigene Stadt wurde mir genommen. Die Wände sind näher gekommen. Vollkommen überzogen natürlich, aber trotzdem in meinem Kopf.
Die logische Reaktion in diesem Moment scheint mir zu tief in die teuren Drinks zu schauen: Das unangenehme Gefühl ertränken. Sich ärgern. Sich auch ein bisschen über das ätzende Auto freuen. Stillschweigend Besserung geloben und ganz tief drinnen wissen, dass man das nächste Mal doch wieder genau dasselbe machen wird.
„Die Stadt gehört wieder mir.“
Wieso eigentlich? Wieso folgt auf das Ende einer „Sache“ so häufig Leere? Stille. Einfach Nichts. Obwohl es doch so viel zu sagen gäbe und noch so viel mehr zu fragen. Unserer Generation wird ein krankhafter Hang zum Ghosting nachgesagt. Ich finde das zu einfach und denke an diesen einen Song von FIVA. Sie besingt das Gefühl, wenn man diskutiert, streitet, zankt und sich schließlich trennt und das, was dann bleibt: „Du kannst die Katze behalten, doch die Stadt gehört mir.“
„Hab versucht mir vorzustellen wie es ist, wenn ich dich treffe: An der Ecke, auf der Straße, im Club oder auf ’nem Fest.“
Der unangenehme Unterschied zu FIVAs Situation ist wahrscheinlich der, dass ich nicht damit gerechnet hätte, jemals wieder mit dieser Person konfrontiert zu werden. Sie ging so schnell, wie sie kam. Hin und Weg. Die Wunde war nicht groß, eher so wie ein aufgeschürftes Knie. Und da hilft kein Pflaster, da hilft nur frische Luft und ein klärendes Gespräch. Das Wasser ist also noch kälter, wenn man gar nicht damit rechnet, hinein geworfen zu werden.
Lasst uns das vermeiden! Lasst uns schreien, streiten und weinen!