Wie viel Geld bin ich wert?

Von Markus Ehrlich

Lässt sich der Wert eines Menschenlebens mathematisch berechnen? Diese Frage stellt sich Peter Scharf in seinem Dokumentarfilm „Was bin ich wert?“ Um die Antwort zu finden, reiste der Regisseur um die ganze Welt – und traf Experten, die behaupten, den Geldwert eines Menschen genau bestimmen zu können. Sie rechnen im Namen von Regierungen, für Versicherungen, Behörden, das Militär oder ihren eigenen Profit. ZEITjUNG.de hat mit Regisseur Peter Scharf über seinen verstörenden Ausflug in die Welt der Menschenwerts-Berechner gesprochen.

ZEITjUNG.de: Peter Scharf, nach den Recherchen zu „Was bin ich wert?“ müssten Sie Fachmann in Sachen Humankapital sein. Wer ist mehr wert, Sie oder ich?

Peter Scharf: (lacht) Schwer zu sagen. Das kommt auf die Berechnungs-Methode an. Im Normalfall müssten Sie etwas mehr wert sein. Wir dürften als Journalisten ziemlich ähnlich verdienen – aber Sie sind bestimmt deutlich jünger. Haben Sie Kinder?

Nein.

Ich habe ein Kind. Das spricht wieder für mich. Würden wir die Berechnungs-Methode zugrunde legen, die bei den Entschädigungszahlungen für die Opfer des 11. September zum Einsatz kam, läge mein Wert bei rund einer Millionen US-Dollar. Ihrer wahrscheinlich bei eineinhalb.

In Ihrem Film reisen Sie um die Welt und treffen Menschen, die den monetären Wert anderer genau beziffern – und da geht es nicht ausschließlich um kriminelle Machenschaften.

Nein überhaupt nicht. „Was bin ich wert?“ beleuchtet beispielsweise auch den Organhändler, der verrückte, dunkle Kern sind aber all die völlig legalen Menschenwert-Berechner.

Welche sind das?

Arbeitgeber lassen den Wert ihrer Belegschaft ermitteln, Versicherungen rechnen aus, wie viel ein Menschenleben kostet, Juristen berechnen den Wert eines Menschen, etwa wenn es um Schmerzensgeld oder Entschädigungen geht. In all diesen Systemen wird die Frage gestellt, was ein Mensch in Geld wert ist – und wie viel er überhaupt kosten darf in unserer Gesellschaft und unserem Wirtschaftssystem.

Welche Methode benutzen diese Leute?

Eine der populärsten ist die „Value of statistical Life“-Methode des amerikanischen Ökonomen Kip Viscusi. Dieser „Wert des statistischen Lebens“ wird berechnet, in dem man Gruppen von Menschen befragt, was sie in Risiko-Situationen bereit wären zu zahlen. Zum Beispiel so: In einem Footballstadion sind 10.000 Menschen. Am Ende des Spiels muss einer sterben. Dann wird gefragt: „Wie viel Geld wären Sie bereit zu zahlen, dieses vergleichsweise kleine Risiko auszuschließen, dieser eine zu zu sein?“ Liegt die Antwort der befragten Person bei einem Durchschnitt von 500 Dollar. Dann ist jeder Mensch dieser Gruppe statistisch gesehen fünf Millionen Dollar wert.

Die Teilnehmer des Experiments konnten sich also frei kaufen?

So ähnlich. Aber das tun wir doch täglich, beispielsweise beim Autokauf. Es geht immer um Risiko. Eigentlich müssten wir alle Hummer fahren, weil er bei einem Unfall den höchsten Schutz bietet. Wir fahren aber kleinere Autos und gehen somit das Risiko ein, weniger geschützt zu sein, bezahlen dafür aber weniger Geld für unsere Autos.

Das britische Gesundheitssystem funktioniert ähnlich perfide.

Dort ist ein Lebensjahr eines gesunden Briten 25.000 Pfund wert. Diese Zahl repräsentiert die ökonomische Leistungskraft der britischen Gesellschaft und hilft bei der Frage, wie viel Geld eingesetzt wird, um ein Menschenleben zu verlängern.

Das heißt, es wird abgewogen, ob sich eine Operation noch lohnt?

Also es wird abgewogen, ob zum Beispiel ein neues, teureres Medikament lohnt oder Sinn macht. Da wird es dann ethisch schnell bedenklich. Hinzu kommt: Nicht jedes Lebensjahr ist gleich viel wert. Wenn jemand zum Beispiel ein Nierenleiden hat, dann ist dessen Lebensjahr weniger wert als das eines gesunden Menschen.

Gab es einen Punkt wo Sie dachten: „Das kann doch nicht wahr sein“?

Den Schockmoment gibt es natürlich. Besonders bewegt hat mich die Geschichte der Organspender. Die Menschen, die ich in Moldawien spreche, können eigentlich gar kein Leben mehr führen. Nach der illegalen Nierenspende sind sie, wenn man so will, behindert. Sie können nicht mehr körperlich arbeiten und haben dafür gerade mal 3.000 Dollar bekommen, abzüglich der überteuerten Tickets für den Bus zurück von der Türkei nach Moldawien.

Ihr Film stimmt nachdenklich, sorgt aber auch für Schmunzler. Wie haben Sie Ihre Begegnung mit Kenneth Feinberg erlebt?

Kenneth Feinberg wurde nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 von der US-Regierung beauftragt, die Entschädigungszahlungen an die Angehörigen der Opfer abzuwickeln. Er berechnete den Wert jedes einzelnen Verstorbenen. Unsere Begegnung war skurril. Er hat mir völlig nüchtern und emotionslos erklärt, wie viele US-Dollar er an wen ausbezahlt hat. Der geringste Wert lag bei 250.000 Dollar für einen Tellerwäscher, der höchste bei 7,1 Millionen für einen Banker. Ich war fasziniert davon, wie sehr die Rechnung für ihn die einzige Wahrheit war und es scheinbar für Moral keinerlei Platz gab.

Warum haben Sie den Film gemacht?

Da sind zwei Sachen zusammengekommen: Zum einen hatte ich gesundheitliche Probleme, konnte nicht arbeiten, als Selbstständiger kein Geld verdienen. Mein Selbstwert war im Keller. Zum anderen hat mich die ökonomische Kapitalisierung des Menschen als Thema beschäftigt. So habe ich die Dinge dann zusammengebracht: Ich wollte herausfinden, ob nur ich wahrnehme, dass mit meinem Selbstwert etwas nicht stimmt oder ob das auch institutionellen Instanzen in der Gesellschaft auffällt. Und zwar ganz real, in Zahlen, in Euro und Dollar.

Hat der Film Ihre Sichtweise auf das menschliche Zusammenleben verändert?

Ja klar. Wir leben in einer neokapitalistischen, globalisierten Welt, in der Dinge vereinfacht werden, indem man sie berechnet. Ich habe mir das früher so nicht vorgestellt. Man ist als Einzelner sehr verletzlich in unserem System und kann schnell zu einer Zahl werden – gerade wenn man alt und krank ist.

Bilder: W-Film

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