Wir müssen aufhören uns zu entschuldigen!
Sorry. Entschuldige. Verzeihung. Tut mir leid. Nimm’s mir nicht übel. Wir kennen wahnsinnig viele Wörter, um eine Entschuldigung vorzutragen. Mal ist sie lang, mal ist sie kurz, mal kommt sie von Herzen und mal werden wir dazu gezwungen. Doch die häufigste Art aller Entschuldigungen, ist wohl auch die schlimmste: die Gewohnheit. Beinahe automatisch entschuldigen wir uns für Dinge, für die wir uns gar nicht entschuldigen müssen.
„Hör auf dich zu entschuldigen!“ – „Okay, sorry.“
Mir wurde mal gesagt: „Du bist so ein Mensch, der sich entschuldigt, wenn er angerempelt wird.“ Im ersten Moment musste ich darüber lachen, weil es total stimmt. Doch dann begann ich mal darüber nachzudenken, wie oft ich mich unnötiger Weise entschuldige. Wenn ich zum Beispiel einer Freundin eine Sprachnachricht schicke, die länger als fünf Minuten dauert. Dann schicke ich ihr noch zwei (oder auch mal elf) große „Sorry!“ hinterher. Meist beginnt sie dann ihre Nachricht mit: „Hör auf dich zu entschuldigen.“ Und ich schwöre, da liegt es mir dann schon wieder auf der Zunge. „Tut mir l…“
Ich habe mal versucht darauf zu achten, wann ich überall im Alltag „sorry“ sage. Ich sage „sorry“, wenn ich im Weg stehe, obwohl ich es gar nicht wirklich tue. Ich entschuldige mich an der Kasse, wenn ich ganze 10,5 Sekunden länger brauche, um meine zwei Cent Münzen rauszukramen. Wenn ich eine andere Meinung als eine Freundin habe, leite ich meine Argumente meistens mit einem: „Sorry, das sehe ich anders“ ein. Oder der Klassiker: „Verzeihung, ich müsste eben auf die Toilette.“ Warum entschuldige ich mich sogar für den natürlichen Drang auf das Klo gehen zu müssen?
Frauen entschuldigen sich häufiger
So ein leises und schnelles „sorry“ rutscht einem sehr schnell über die Lippen. Und manch eine*r denkt sich jetzt vielleicht auch: Ähm, ja und? Ist doch höflich. Aber nein, diese automatischen Entschuldigen haben rein gar nichts mit Höflichkeit zutun. Sie sind antrainiert, sagen viel über den Charakter aus und haben auch etwas damit zutun, ob du eine Frau bist.
2011 hat die Kanadierin Karin Schumann an der Waterloo University ihre Doktorarbeit über das Sichentschuldigen verfasst. Eines ihrer Ergebnisse war, dass sich Frauen häufiger entschuldigten als Männer. Die Männer sahen in denselben Situationen einfach keine Notwendigkeit für eine Entschuldigung. Einige lasen aus der Studie heraus, dass Frauen nun einmal sensibler seien und die Männer sich deshalb einfach häufiger entschuldigen sollten, um den Hausfrieden zu wahren.
Stereotype und antrainierte Entschuldigungen
Schön, dass wir uns innerhalb der neun vergangenen Jahre aber weiterentwickelt haben und uns fragen können: Welches strukturelle Problem steckt dahinter? In wie weit werden wir vielleicht schon ganz früh dazu gebracht uns zu entschuldigen? Ein gutes Beispiel dafür ist die bekannte Sex-Entschuldigung. Beinahe alle von uns sind mit dem Stereotyp großgeworden, dass Männer immer häufiger Sex wollen, als Frauen. Die genervten Ehefrauen lassen in den Geschichten dann ab und an mal ihren Mann mit einem Augenrollen ran oder sagen halt, dass sie Kopfschmerzen hätten.
Vielleicht liegt darin der Ursprung, dass sich Frauen oft dafür entschuldigen, wenn es um das Thema Sex geht:
- „Entschuldige bitte, ich habe gerade keine Lust, sorry.“
- „Sorry, ich nehme die Pille nicht. Du musst ein Kondom tragen.“
- „Entschuldige ich hab meine Tage gerade und die Menstruationstasse sitzt richtig gut, die will ich jetzt nicht rausholen.“
- „Sorry, ich bin nicht rasiert.“
Sorry, not sorry
Wofür wird sich da entschuldigt und was hat das mit Höflichkeit zutun? Solche und andere überflüssigen Entschuldigungen begegnen uns ständig. In unseren Beziehungen, Freundschaften, innerhalb der Familie und mit Fremden auf der Straße. Deshalb: Hört auf euch zu entschuldigen! Für eure Meinungen, für eure Stimmung und vor allem für Situationen, für die ihr überhaupt nichts könnt. Versucht es einfach mal und lasst im Alltag eure antrainierten Entschuldigungen weg.
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Bildquellen: Unsplash