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Wyclef Jean im ZEITjUNG-Interview: „Die Millennials sind keine rassistische Generation“

Als wir die Suite im Bayerischen Hof betreten, sind Wyclef Jean und sein DJ mitten in einer Freestylesession. Den ganzen Tag über nimmt er zwischen Interviews und Promoterminen Tracks auf. Es scheint, als wäre er in seinem Kopf nonstop am Rhymen, Rappen und Beats droppen. Nachdem er uns dazu gebracht hat, etwa zwanzigmal den Satz „Alle Hände hoch“ in sein Mikro reinzurufen, sieht er ein, dass es mit unserem Rhythmusgefühl nicht sonderlich weit her ist und ist bereit für unsere Fragen.

 

ZEITjUNG: Dein neuer Song heißt „What Happened To Love“. Hast du eine Antwort darauf?

Wyclef Jean: Klar. Was ist mit der Liebe passiert? Nichts. Manchmal stellen wir die Liebe in Frage, wegen des Zustands, in dem sich diese Welt gerade befindet.  Aber alles, was gerade abgeht, ist nicht mal ein Bruchteil der unendlichen Liebe der Menschen. Ich gebe Leuten oft Ratschlägen zu ihren Beziehungen, wenn sie sie hinterfragen. Oft ist das Feuer noch da, du musst nur zurückgehen und es finden.

 

Wenn du dir anschaust, was gerade alles so passiert – besonders in den USA – denkst du, dass wir gerade eine neue Form der Rassentrennung erleben?

Lange bevor wir geboren wurden, gab es Martin Luther King. Wenn man sich den Verlauf der Geschichte anschaut, ist alles, was wir jetzt haben, ein riesiger Fortschritt. Der Wandel kommt. Niemand könnte heute zu meinem Haus kommen, ein Kreuz aufstellen, es anzünden und mich damit heraus scheuchen.

Aber unsere Generation kann faul sein, weil die Generation von Martin Luther King es nicht war. Heute kann ich protestieren gehen, aber es braucht mehr als das. Du musst anderen Menschen helfen wollen. Die Millennials sind keine rassistische Generation. Am Ende des Tages ist der Kern dessen, was wir als Menschen sind, nicht rassistisch. Unsere Aufgabe ist es also, weiter zu kämpfen und diese Message an die Leute zu bringen.

 

Du denkst also nicht, dass wir gerade einen Schritt zurück machen?

Ich denke, dass Donald Trump das Land auf jeden Fall einen Schritt zurückgedrängt hat. Aber setzt man das in ein Verhältnis zur Arbeit von Dr. King, finde ich nicht, dass wir zurückgegangen sind. Vergesst nicht: Trump hat nur vier Jahre. Ich will also nicht, dass sich die Leute davon ablenken lassen, was er jetzt tut.

 

Du bist als Kind aus Haiti in die USA gekommen, Flucht war immer ein großes Thema in deinen Texten. Was bedeutet Heimat für dich?

Ich denke für mich ist die Karibik Heimat. Ich liebe das Wasser, die Natur und die Tatsache, dass ich in den Garten gehen und mir einfach eine Mango pflücken kann. Ich glaube an die Einfachheit.

Ich weiß, dass es meiner Tochter gut geht und ich weiß, dass ihrer Tochter mal gut gehen wird. Das ist es, worum sich das Universum für mich dreht – Familie. Wenn du in einer Position bist, wo du alles haben kannst, was du willst, wird es nach einer Weile ziemlich langweilig. Es geht nicht um die Menge an Geld, die du hast. Es geht darum, wie viele Menschen du selbst erfolgreich machen kannst. Es ist mir also egal, wie erfolgreich du bist. Aber hast du 100 Leute angestellt? Hast du einer Person geholfen, ihr Leben zu ändern? Darum geht es in der Welt.

 

Ein nachdenklicher Wyclef Jean im Gespräch mit Lisa Betzl im Bayerischen Hof.

 

Du bist jetzt seit über 20 Jahren im Geschäft. Was denkst du über die Entwicklungen im Hip Hop?

Ich bin ins Game gekommen, da war ich 15 Jahre alt. 5 Jahre nach Haiti. Mein erstes Demo wurde von der Legende Kurtis Blow aufgenommen. Das ist verrückt, weil ich die Chance bekommen habe, alles zu sehen. Und auch weiterhin alles sehe. Der Justin Bieber und die Beyoncé, die ihr seht, sind andere, als die, die ich sehe. Ich erwische alles sozusagen im Embryonalzustand. Wenn ich Kendrick Lamar höre, denke ich mir: This sounds nasty. Das hört sich an, wie Cappadonna, dieser Typ aus dem Wu-Tang Clan.

Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Diese Generation ist eine Fusion aus allen Generationen vor ihr. Die Kids krallen sich die 90er-Musik auf dieselbe Art, wie wir uns die 70er-Musik gekrallt haben, um neue Musik zu erschaffen. Und auf diese Weise wird eine Menge Musik heute erschaffen, was wirklich cool ist.

 

Du hast deine Karriere mit Hip Hop, Rap und sozialkritischen Themen begonnen, über die Jahre hast du auch viele andere Genres wie Pop bedient, hast mit Shakira und Avicii gearbeitet. Hast du jetzt eine andere Message als damals? Oder ist sie nur anders verpackt?

Ich bin beeinflusst von so vielen Künstlern beeinflusst. Pink Floyd, The Police, Guns N‘ Roses oder Bob Marley, um nur ein paar zu nennen. Das ist es, was mich gefährlich macht, wenn es um Produktion geht. Hip Hop bedeutet Kultur. Aber die Kritiker schieben uns automatisch in die Kategorie Rap. Wenn du Rap hörst, hast du also direkt eine bestimmte Sichtweise. Dann sind sie überrascht, wenn jemand sagt: „Woher kennst du Johnny Cash?“ Ja, wir kennen Johnny Cash. „Aber woher?“ ‘Cause we Hip Hop! Das ist es, was Hip Hop macht. Wir stürzen uns auf jede Art von Musik. Und dann nehmen wir sie, und dann kreieren wir etwas neues.

Die Evolution von Musik wird konstant voranschreiten und sich drehen. Vielleicht ändert sich die Akustik, aber in der Kernaussage der Songs geht es immer um Melodien. Wenn Leute sich heute Rap anschauen, werden sie nicht mehr überrascht. Wenn ein Rapper singt oder gleichzeitig rappen und singen kann, und dann noch ein Instrument spielen kann, ist das für euch alle normal. Aber als wir [mit den Fugees, Anm. d. Red.] rauskamen, war es nicht normal. Es war eher wie „Holy Shit. Diese Kids sind Rapper, wieso spielen die Instrumente und singen ‚Killing Me Softly‘, ist das überhaupt Hip Hop?“ Ja, ist es. Das ist Hip Hop Culture.

 

Sein neues Album „Carnival III: The Fall & Rise of a Refugee“ ist seit dem 15. September überall erhältlich.