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Suche nach Gelassenheit: Wieso wir öfter auf Verpflichtungen scheißen sollten

Von Rosanna Steppat

Viele von uns denken gerne nostalgisch an ihre Kindheit zurück. Wie sorglos man doch war. Keine unbezahlte Rechnung versaute uns den Appetit auf unsere Frühstücksflocken. Kein gecancelter Flug erinnerte uns an an die anstehende Prüfungsphase und keine Push-Benachrichtigung rief uns in Erinnerung, wie viele Termine wir uns nach der Uni in der nächsten Woche schon wieder aufgehalst hatten. Kein Stress, kein Umplanen, kein sorgenvolles Hin- und Herwälzen in der Nacht – In der Kindheit spielte die Zeit kaum eine Rolle.

Wie lang erschien uns damals ein Nachmittag, an dem wir mit aufgeschrammtem Knien im Wipfel unseres Lieblingsbaums hingen, die Menschen auf dem Gehweg beobachtend, und vorsichtig in das Fleisch neben der Schürfwunde kniffen, um den Schmerz durch Gegenschmerz erträglicher zu machen. Jeder schöne Gedanke an bevorstehende Freuden fesselte unsere Fantasie und ließ Minuten wie Stunden erscheinen. Wenn wir am Abend barfuß und mit nur einem Schuh nach Hause liefen, hatten wir das Gefühl, wochenlang auf der Pirsch gewesen zu sein. Hätten wir in diesem Moment überhaupt einen Gedanken an den bevorstehenden Tag verloren, wir hätten ihn wohl mit Freuden erwartet. Doch unser Leben spielte im Hier und jetzt. Keine volle Agenda raubte uns den Moment uns ließ und hibbelig werden und an bevorstehende Pflichten denken.

 

Wo sind sie hin, diese schier endlosen Nachmittage?

 

Je älter wir werden, je mehr routinierte Abläufe sich dabei in unseren Alltag einschleichen und je mehr Druck dabei auf uns ausgeübt wird, etwas aus unserer Zeit, unserem Leben zu machen, desto schneller scheint die Zeit zu verrinnen. Wir hören auf im Hier und Jetzt zu leben, planen in die Zukunft, weil es scheinbar gar nicht anders geht. Die lang ersehnten Semesterferien oder der verschlafene Weg zur Arbeit verfliegen heute verhältnismäßig schnell. Selbst wenn uns eine anstrengende Woche einmal wieder endlos erscheint, auf den geliebten Freitag folgt gefühlt nach wenigen Stunden schon wieder der verhasste Montag.

Sind es vielleicht wir selbst, die das Tempo so erhöht haben? Ticken die Sekunden nicht immer im gleichen Rhythmus selig weiter? Und ist wirklich die Zeit selber eine Illusion oder eher das, was wir aus ihr machen?

 

Es wird Zeit, dass wir uns fragen, was wir wirklich wollen

 

Nur sehr selten wird uns ein Tag noch einmal so endlos erscheinen wie der im Apfelbaum. Doch liegt es nicht an uns, mit welchen Dingen wir uns den Tag über konfrontieren und ob wir konzentriert den Moment auskosten oder schon wieder gehetzt an den morgigen Tag denken?

Der Weckruf um sechs Uhr am Morgen ist der Startschuss für die alltägliche Hetzjagd. Im Tiefstart geht es an die Kaffeemaschine. Zum Glück können per Smartphone auf dem Weg in die Uni oder das Sportstudio noch Verabredungen umgelegt werden, damit der Tag auch genügend Stunden für alles zu Erledigende bereithält. Wir sollten damit beginnen, zu realisieren, dass zu viele Termine und Aufgaben unsere Agenda schmücken, die allesamt selbstauferlegt sind. Viel mehr Zeit, als wir es wahr haben wollen, steht uns für unser freies Glück frei zur Verfügung.

Wir erliegen dem Druck, die uns auferlegte Zeit produktiv zu füllen. Vielleicht wurde es uns anerzogen. Vielleicht haben wir aus Prestige-Gründen beschlossen zu studieren und nebenbei noch den Freiwilligendienst zu absolvieren. Vielleicht ist die fehlende Portion Gelassenheit schuld daran, dass uns der Tag endlos und viel zu kurz zugleich erscheint. Die Sportstunde, zu der wir nach Feierabend hetzen und das Kochen mit Freunden, auf das wir nach einem langen Tag eigentlich gar keine Lust mehr haben, erscheinen uns zeitraubend. Doch wir haben diesen Terminen zugesagt, weil sie unser Selbstbild gründen. Und uns ablenken. Ablenken von der Frage, ob wir phlegmatisch und faul wären, wenn wir das alles nicht täten.

 

„Glück kommt durch Gelassenheit“

 

Glück kommt durch Gelassenheit. Die uns gegebene Zeit auf der Erde dürfen wir frei nutzen. Zum Glücklichsein, Träume erfüllen und klüger werden. Trotz allen Zeitmangels müssen wir uns den Wert der Zeit in Erinnerung rufen. Sind wir auf gestresstem Kriegsfuß mit ihr, können wir niemals Freundschaft mit ihr schließen und an Tempo verlieren. Wer es schafft, seine Agenda zu entrümpeln, wird merken, dass der eine oder andere Termin auf einmal unwichtig erscheint. Wer an Gelassenheit gewinnt, auf diese oder eine andere Art, wird wieder im Moment leben und das Gefühl haben, dass der Sonntag in der Hängematte auf Balkonien niemals enden will.

Wer die Zeit gelassen umarmt, wird merken, wie zahm sie ist. Er wird auf einmal merken, dass die Semesterferien ganze drei Monate lang, und der Kochabend mit Freunden umso entspannter ist, wenn man aufmerksam den Moment genießt. Derjenige, der an Gelassenheit gewinnt, wird am Morgen wahrscheinlich noch einmal mehr die Snooze-Taste drücken und wesentlich entspannter in den Tag starten.

>Und vielleicht wird er merken, wie viel Zeit der Tag übrig hat, um die Dinge zu tun, die er liebt.

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Bildquelle:Jeremy Bishop unter CC0-Lizenz