wannabe-alternativsein

Euer „Wannabe“ Alternativsein kotzt mich an!

Von Hanna Blüm

 

Keine sanften, feinen Mädchenkleider mehr, keine Skinny Jeans, keine High Heels. Der neuste Trend heißt „alternativ sein“ und jeder will aufspringen. Die meisten vergessen bei diesem Trend jedoch die eigentliche Bedeutung des alternativen Lebens. Gegen das System – nicht mit dem System. Wir kaufen uns aber trotzdem dutzende Boyfriend Hosen und zwanzig Paar überteuerte Retro-Pullis. Wir schneiden uns die Haare ab, schminken uns nur noch so dezent wie möglich und übernehmen den Spruch „I woke up like this“ als neues Lebensmotto. Wir tragen die bunten Socken, die wir vorher in den Schuhen versteckt haben, jetzt über der Hose und besitzen mehr Fußbänder, Ringe und ausgefallene Sonnenbrillen als jeder andere auf dieser Welt.

Die Klamotten, die wir tragen, sollen zwar nach Second Hand und „scheiß-auf-die-Marke“ aussehen, kosten aber in Wahrheit ein kleines Vermögen. Unser neuster Lieblingszeitvertreib ist es, auf dem Dach zu sitzen, den billigen ALDI Wein zu trinken und uns die zehnte total verkrüppelte Kippe zu drehen – denn wer kauft heute schon noch fertige Schachteln? Fehlt nur noch das perfekte Instagram-Bild mit einem möglichst melancholischen, tiefsinnigen Spruch drunter –  natürlich nur auf Englisch. Wir führen ein kreatives Künstlertagebuch, posten Titel von Büchern über die Selbstfindung, die wir dann doch nicht gelesen haben. Und wir besitzen plötzlich alle einen Plattenspieler plus eine Polaroidkamera und liegen damit nachts auf der Straße und denken über das Leben nach.

 

Der Druck, anders als die zu sein, die anders sind

 

Ganz klar ist festzuhalten, dass die meisten versuchen, anders zu sein und sich von der Masse abzuheben. Dadurch interessant und „cool“ zu wirken. Doch wie bei jedem Trend wird auch das Alternativsein irgendwann Mainstream. Alle Instagram -, Snapchat – und Facebookprofile sehen absolut gleich aus und trotzdem sieht sich jeder als etwas Besonderes an. So viele versuchen sich krampfhaft als Außenseiter der Gesellschaft zu inszenieren und vergessen dabei wiedermal die Dinge, auf die es wirklich ankommt. Sich selbst zu akzeptieren, zufrieden zu sein mit dem was man hat und die Dinge um sich herum zu schätzen. Jeder macht jetzt auf stark und unabhängig. Wir tun so, als wäre uns egal, was andere über uns sagen oder denken – das ist doch die größte Lüge. Natürlich ist uns das nicht egal und wir regen uns auch weiterhin über andere Menschen auf.

Wir sind genauso wenig selbstbewusst wie vorher, nur zeigen wir dies nicht mehr vor anderen Leuten. Wir stehen immer noch vorm Spiegel und fragen uns, ob unsere Brüste oder Barthaare nicht vielleicht doch noch ein wenig wachsen könnten und ob das dekorative Obst im Müsli nicht auch endlich mal seine Wirkung zeigen könnte. Die Wahrheit ist, die meisten von uns wollen zeigen, dass sie ganz individuell und anders sind, halten sich dabei aber doch wieder an andere Menschen. Wir suchen nach Bestätigung und Ansehen. Wenn es uns wirklich ernst wäre mit dem „Anderssein“ müssten wir ja nichts mehr posten oder dabei zusehen, was andere hochladen. Doch trotzdem geilen wir uns regelmäßig an unseren eigenen Beiträgen auf.

Im Grunde müssen wir uns wohl eingestehen, dass die Bemühung anders zu sein auch wieder nur ein Trend ist, der irgendwann wieder vergehen wird. Wir versuchen wieder einmal verzweifelt unser Selbstbewusstsein zu pushen und am Ende sind doch wieder alle gleich.

 

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Bildquelle: Allef Vinicius