Hassobjekt: Die digitale Selbstbeweihräucherung
Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum Atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten ab sofort immer montags in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: „Digitale Selbstbeweihräucherung“.
Ein Hassobjekt von Iseult Grandjean. Illustriert von Lotte Düx.
Alles ist besonders, heutzutage. Steffi bricht nicht mehr das Studium ab. Steffi hat herausgefunden, dass sie zu individualistisch ist für die starren Systemstrukturen der Universität, hat auf ihrem Trip durch Südostasien erkannt, dass man Glück nicht kaufen kann (Flugtickets aber schon) und Adorno nicht bei Armut hilft. Steffi blickt auf 24 bewegte Jahre zurück, in denen sie viele Niederlagen einstecken musste, an denen sie aber nur gewachsen ist. Steffi findet ihren eigenen Weg. Steffi fordert uns auf, an die eigenen Träume zu glauben, so wie sie es immer getan hat, denn: Alles ist möglich. Steffi dankt ihren Eltern.
Und du musst das dann alles bei Facebook lesen und hast nur einen Gedanken: Steffi, halt die Fresse.
Wenn die Information zur Laudatio wird, der Post zum Epos
Die sozialen Medien sind ja heutzutage ein Seismograph für die Auswertung der wichtigsten Ereignisse im Leben eines Menschen. Für die Analyse bedarf es nur einer einfachen Gleichung: Wo die meisten Likes, da die größte Wichtigkeit. Und das wird punktgenau abgepasst und ausgeschlachtet. Denn die Frage ist ja: Ist so ein Führerschein oder ein Bachelor überhaupt gültig, wenn man ihn nicht gepostet hat? Macht euch nichts vor, so simpel ist es doch: Führerschein, Abitur. Studienabschluss, erste Festanstellung. Hochzeit. Kind. Alles Situationen, die sich so oder so ähnlich durch die meisten noch so individuell getrimmten Lebensläufe und Profile ziehen und mit beinahe stetiger Verlässlichkeit mit 50 Likes + belohnt werden – gesteigert wird das nur vom großen Finale: dem Tod. Die Beilikesbekundungen explodieren, er war so ein besonderer Mensch, was hat er mein Leben geprägt, der… äh, er hieß schon Peter, oder? Seinen größten digitalen Erfolg bekommt man also nicht mehr mit. Unter der Erde ist der Empfang halt auch immer gruselig schlecht.
Versteht mich nicht falsch: Auch ich teile Artikel von mir auf Facebook oder informiere über neue Projekte. Das interessiert nicht jeden, aber hin und wieder doch einen, oder zumindest tun einige Menschen sehr lieb so, als ob. Aber dieser, so scheint mir, neue Trend, zum Post noch den Paratext veröffentlichen müssen, eine Erklärung von Bedeutung, Vorgeschichte und Hintergründe des Ereignisses, die immer auf die erstaunliche Charakterentwicklung des postenden Individuums zielt und meist vor Pathos trieft wie ein schlechter Andreas Bourani-Song, stellt letztlich vor allem eine Art Rechtfertigung für den Post dar: Ich habe hier gerade mein Seelenleben ausgebreitet, um die emotionale Verletzlichkeit des Ereignisses zu untermauern – wer hier nicht „Gefällt mir“ klickt, hat kein Herz. Richtig schlimm wird es also, wenn die Selbstdarstellung in Selbstbeweihräucherung abdriftet, die Information zur Laudatio wird, der Post zum Epos. Hatte man vor ein paar Jahren noch die Zurückhaltung, eine bloße Bestandsaufnahme ins Internet zu blasen und den Satz mit dem rosa Wisch (ja Kinder, damals war der Führerschein noch ein großes faltbares Stück Papier) nur minimal humoristisch abzuwandeln, reicht das heute nicht mehr: Die halbe Biographie muss dazu. Der Held. Ein Plot.
Der Paratext des eigenen Lebens
Heute will sich jeder vor dem Bildschirm selbst sezieren und den anderen genau aufzeigen, welche Schritte ihn zu welchem Punkt seines Lebens geführt haben, und wie bereichernd und bewusstseinserweiternd das doch alles war. Wie hart man es doch hatte, und wie krass wohl man sich jetzt in seiner Haut fühlt. Stolz ist man auch ein bisschen. Der Paratext des eigenen Lebens wird ins Unendliche gedehnt, wird zum aufgeblasenen Apparat, befeuert von Pathos und Selbstverherrlichung. Als wäre man der Einzige, der sich mal ein bisschen anstrengen musste im Leben. Als hätte nicht jeder sein Päckchen zu tragen. Es ist ein bisschen wie mit Tattoos, die jeder gerne einleitet mit dem Satz „Eigentlich finde ich die ja auch bescheuert, aber meines hat halt wirklich eine wichtige Bedeutung“.
Und Anna hätte natürlich nie gedacht, dass sie es mal schaffen würde, einen Kommunikationswissenschaften-Bachelor in acht Semestern zu schaffen – aber sie ist ja eine Kämpfernatur, war sie schon immer. Sie weiß aber auch, dass sie diesen Erfolg nur der unermüdlichen Unterstützung ihrer Freunde und Eltern zu verdanken hat, die immer an sie geglaubt haben. Die groteske Überhöhung der Individualität heutzutage führt dazu, dass jedes Erlebnis, das ja für den, dem es widerfährt, durchaus wichtig und einzigartig ist, auch von allen anderen so wahrgenommen werden soll.
Reden wie zu den Oscars
Es ist dieser peinliche Stolz, den man statt der einfachen und sympathisch-nüchternen Information „Bachelor bestanden, freue mich“ so oft zu sehen bekommt. Wenn auf Facebook Reden geschwungen werden wie zu den Oscars und die Leute sich selbst auf die Schulter klopfen, als hätten sie gerade einen Nobelpreis gewonnen und nicht 30 Seiten Studienarbeit in einem halben Jahr geschrieben, die meistens noch von Eltern und fünf Tanten gegengelesen und korrigiert wurde. In der Zeit, in der der Text für den Facebookpost komponiert wurde, hätten die meisten wahrscheinlich eine zweite – und bessere Bachelorarbeit schreiben können. Aber man lernt ja bekanntlich auch nicht für die Uni. Sondern für Facebook.
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Lotte Düx ist eine junge Illustratorin und Designerin, die nach Stationen in Wiesbaden und Köln ihre Wahlheimat in München gefunden hat. Mit einer Vielfalt an Stilen illustriert sie pointiert und detailverliebt ebenso das Schöne und Skurrile, wie Missstände und das aktuelle Zeitgeschehen. Daneben findet sie noch Zeit für ZEITjUNG das wöchentliche Hassobjekt mit ganz viel Liebe zu illustrieren. Danke!
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