Beziehungen, Multilationship, Generation, Liebe, Partnerwechsel

Multilationship 2.0

Sollten wir unser romantisches Konzept von dem einen richtigen Partner für das ganze Leben über Bord werfen und lieber in Lebensabschnittspartnern denken? Die Kinder von heute werden sowieso zu schnell erwachsen, also kann man dabei ruhig guten Gewissens mehrere Familien hintereinander gründen, oder?

 

An die romantischen Monogamisten gleich vorweg: Die Statistik ist gegen uns.

 

Wenn man Liebe in Zahlen betrachtet, dann legt das vor allem eines nahe: die eine, immerwährende, große Liebe bis in den Tod gibt es nicht für uns alle. Sollten wir deshalb lieber gleich auf Nummer sicher gehen, unser romantisches Konzept von dem einen richtigen Partner für das ganze Leben über Bord werfen und lieber in Lebensabschnittspartnern denken?

 

Ms. Hannahs Lebensabschnitts-Model

 

Ich bin mal wieder auf der Autobahn irgendwo zwischen Bremen und München. Neben mir am Steuer ein hübsches Mädchen mit blonden Haaren. Meine Mitfahrgelegenheit. Sie sieht aus wie Daryl Hannah, kein Scheiß.

Wir mögen uns und quatschen deshalb so viel, dass sie sich ziemlich verfährt und die Fahrt insgesamt achteinhalb anstatt der üblichen sechseinhalb Stunden dauern wird.

Thema werden irgendwann die Eltern, Scheidung – und damit zwangsläufig auch Beziehung. Ich habe eine sehr lange hinter mir. Sie eine nicht so lange. Für mich war es auf die eine oder andere Art sehr schmerzhaft, für sie nicht. Ich wurde verlassen, sie hat verlassen.

Ich beobachte sie gerne, während der Fahrt. Die Ähnlichkeit mit Daryl Hannah ist so verblüffend, dass ich sie mehrmals beinahe Daryl nenne.

Wie Gespräche nun mal so verlaufen, geizen wir nicht mit unseren Meinungen und ihre bringt mich noch jetzt, ein Jahr später, immer wieder ins Grübeln. Sie sagt, dass sie schon an die eine große Liebe glaubt, aber diese nicht unbedingt für jeden Lebensabschnitt das Richtige sein muss. Manchmal passt es gerade nicht ins Leben und deshalb ist es nicht schlimm und verwunderlich, dass man in seinem Leben mehrere Partner hat. Eben jeweils für den entsprechenden Abschnitt. Dieses Konzept widerspricht komplett meinen romantischen Ansichten und überhaupt, der Vorstellung meines zukünftigen Lebens.

Nach ihrer Auffassung ist es also nicht möglich – und auch nicht erforderlich – dass man sein Leben mit dem einen Menschen verbringt. Aber warum nicht?

 

Alles eine Frage der Einstellung

 

Nun, zumal ist sie ganz hübsch und hat offensichtlich kaum Probleme Männer abzuschleppen. Das gibt ihr im jetzigen Alter offenbar die Illusion, das würde immer so bleiben und es würden in Zukunft genügend gute Männer für sie frei sein. Nach ihrer Theorie stimmt das dann ja auch.

Sie hat auf den ersten Blick den gleichen Klischee-Familienhintergrund wie ich. Ihre Eltern sind geschieden. Allerdings haben ihr Vater sowie ihre Mutter weitere Kinder mit anderen Partnern. Meine Eltern hingegen sind nur geschieden. Dieser kleine Unterschied hat scheinbar große Auswirkungen auf unsere Einstellung zu Beziehungsmodellen.

Während sie eben bereit ist, das Konzept der Eltern für ihre Zukunft weiter zu verfolgen, bin ich, genau gegenteilig, extrem darum bemüht, eine Frau zu finden, mit der ich mein ganzes Leben verbringen kann, um nicht so eine zerstörte Familie zu hinterlassen wie meine Eltern es mir vorgelebt haben.

Ließt man in letzter Zeit Artikel aus jungen Magazinen und Blogs über die aktuelle Single-/Beziehungslage, dann erhält man den Eindruck, dass die ganze „Szene“ einer selbstverständlichen, hohen Fluktuation unterliegt.

Warum? Alle wollen den absolut Richtigen finden. Sie sind extrem pingelig und eigen. Sie glauben, es gäbe einen perfekten Prinzen oder eine perfekte Prinzessin, mit der alles immer und überall – ohne Arbeit – einfach ist.

Bringt man diese Beobachtungen einmal zusammen, resultiert daraus offenbar, dass Daryls Konzept aufgeht. Man führt eine Beziehung, die gerade in den jeweiligen Abschnitt passt – und ist die Luft raus, geht man in die nächste über. So schnelllebig wie Schuhmode.

 

Die Zahlen sprechen dafür

 

Wenn man mal wieder die Scheidungsrate betrachtet (sorry, ich konnte leider keine Statistik zu der durchschnittlichen Anzahl an Beziehungen finden) schaut es für Romantiker wie mich immer düster aus: 36%. Also jede dritte Ehe wird geschieden. Die schlechte Nachricht ist, die geschiedenen Ehen halten im Schnitt nur 14,8 Jahre. Die Gute, das reicht für zwei bis drei Ehen im Leben. Für ganz ambitionierte vielleicht sogar vier. Aber Heirat bedeutet nicht immer Liebe und außerdem heiratet heute sowieso nicht mehr jeder. Die Statistik ist also unzulänglich. Neuer Versuch: Sex-Statistik.

5,8 Mal hat der Durschnittsdeutsche Sex mit einem anderen Partner in seinem Leben (ich dachte auch, dass es mehr ist…). Übersetzt heißt das sowas wie: 5,8 Mal meinen wir es ernst mit jemandem oder sind einfach nur besoffen und finden das Mädchen oder den Typ am Tresen auf einmal doch ziemlich geil. Je nachdem haben wir also scheinbar im Schnitt sechs Versuche für die große Liebe im Leben – oder sechs Familien. Die Kinder von heute werden sowieso zu schnell erwachsen, also kann man dabei ruhig guten Gewissens mehrere Familien hintereinander gründen, oder?

 

Kann denn nicht mal jemand an die Kinder denken?

 

Helen Lovejoy hat recht. Diese Vision und Einstellung zum Thema Liebe und Partnerschaft ist schrecklich. Auch wenn sie logisch nachvollziehbar ist, bleibt sie für mich in erster Linie: schrecklich. Egal, ob ich mit Absicht gleich in Lebensabschnittspartnern denke oder durch meine Partnerinnen immer wieder in diese Situationen gezwungen werde, es gibt für mich kein Entrinnen. Und das ist noch nicht das Ende der Probleme.

Schwierig wird das ganze spätestens mit Kindern. So eine Trennung geht nicht spurlos an einem Kind vorbei. Im falschen Alter ist die Bindungsfähigkeit gleich für immer ganz dahin. Aber das ist in dieser neuen Welt ja eigentlich gar nicht schlimm. Eher förderlich. Man bereitet sie so auf die Multi-Bindungswelt vor, in der es ganz normal ist, mehrere Kinder von verschiedenen Menschen zu haben. Eigentlich hat die Natur uns Männer ja auch so gepolt und endlich leben wir in einer Gesellschaft, die es sogar der Frau erlaubt, nicht auf ihren Mann angewiesen zu sein.

 

Die Emotion als Feind

 

Diesem – wie ich auf dem Papier zugeben muss – praktischen und modernen Beziehungsgefüge steht zudem ein altmodischer Feind gegenüber: die Gefühle. Die lassen sich nämlich leider nicht so leicht abschalten. Die Heilung für Emotionen ist ausgerechnet unser kostbarstes Gut: Zeit. Die Zeit heilt alle Wunden und irgendwann geht’s weiter – bla bla bla – jetzt habe ich ein gebrochenes Herz, bin allein, misstrauisch und… älter.

Nach einiger Beziehungszeit, meist kurz vor der Trennung, neigt man dazu, den Partner nur noch als Ballast zu sehen. Man lässt vor seinen Freunden Sätze los wie: „Sie ist nur noch Gewohnheit.“ Und mein Lieblingssatz: „Sie lässt sich nur noch gehen.“

Aber genau das will ich! Es ist schön, wenn sich eine Frau so wohl bei einem fühlt, dass sie alles mit einem teilt. Dazu gehören auch die Oma-Schlüpfer und das halbe Kilo mehr am Hintern. Und selbst wenn das alles irgendwann Überhand nimmt und man ein Tief in der Beziehung erlebt, wie schön ist es denn bitte, wenn man sich daraus wieder hervorkämpft, das Unmögliche möglich macht und gegen alle Vernunft die Beziehung durch’s Tal steuert und am Ende noch stärker zusammenwächst!

Ich möchte Gewohnheit. Ich möchte immer das gleiche hübsche (ungeschminkte) Gesicht neben mir im Bett. Ich möchte das Vorspiel über Jahrzehnte perfektionieren, anstatt alle paar Jahre von vorne zu beginnen. Ich möchte mir nur einen Namen merken, eine Augenfarbe und einen Jahrestag.

 

Es lebe die Romantik

 

Ich möchte mich nicht immer wieder in der Trauerphase finden, in der ich mich frage, was das alles gebracht hat. Das Kennenlernen, das stundenlange Gequatsche, die ständigen kleinen wie großen Kämpfe, die Rücksichtnahme, der Verzicht und die Kompromisse, wenn nicht am Ende ein faltiger Partner vor einem steht, von dem man jedes Detail kennt und liebt, mit dem man auf ein gemeinsames Leben voller Stolz zurück blicken kann und in Nostalgie dahin schwimmt um anschließend gemeinsam zu sterben.

Ich möchte das nicht alles mehrmals durchmachen. Sterben kann ich nur einmal (es sei denn, mein Geld reicht trotz zwölf Kindern von vier verschiedenen Ex-Frauen noch immer für eine Kryokonservierung).

Ich will das alles nur einmal und auch nicht mit irgendjemandem, der gerade in diesen Abschnitt passt, sondern mit der Mutter meiner Kinder, die ich liebe wie sonst keine andere Frau, in allen Abschnitten meines gesamten Lebens. Und dafür bin ich bereit zu kämpfen, zu verzichten, Kompromisse zu machen und auch ein wenig zu leiden. Denn ohne das Saure, schmeckt das Süße nicht so süß.

Ich glaube an die eine Beziehung für das ganze Leben, obwohl mir klar ist, dass dieser Wunsch laut Statistik genauso unwahrscheinlich in Erfüllung gehen wird wie einen Lebensabschnitt mit Daryl Hannah zu verbringen. Jedenfalls mit der echten… Die Mitfahrgelegenheit habe ich leider nie gefragt.

 

Matthias Starte ist Autor und Filmemacher. Im Norden geboren, in München Zuhause. Am liebsten isst er Bacon-Cheeseburger, trinkt dazu Spezi und redet mit anderen Vinyl-Snobs über Interviews mit Questlove. Aktuell arbeitet er an seinem Langfilmdebüt und schreibt diese Kolumne über Liebe und Beziehung.

 

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Bildquelle: mrhayata unter CC BY-SA 2.0