Pegida: Der Wutschrei der Frustrierten

„Wir müssen den Islam in die Schranken weisen“, diktiert Gerhard (48) dem Reporterteam von „Spiegel Online“ in die Kugelschreiber. Gleich vier Journalisten hat das Magazin am vergangenen Montag nach Dresden geschickt; sie sollen von der ersten Pegida-Demonstration nach dem Attentat auf die Pariser Satire-Zeitung „Charlie Hebdo“ berichten. Als Taxifahrer habe er viele muslimische Kollegen, erzählt Gerhard weiter, die meisten seien auch in Ordnung. „Aber die Terroristen in Paris waren auch nette Nachbarn. Man weiß nie, was dahinter steckt.“

Ein anderer, deutlich jüngerer Teilnehmer der Pegida-Demonstration erzählt den Reportern, dass er nicht wegen des Anschlags auf die Satire-Zeitung hierher gekommen sei. Es sei auch nicht das erste Mal, dass er dabei sei – ihn wurme es ganz einfach, dass man in Deutschland nicht seine Meinung äußern dürfe, „sonst ist man gleich ein Nazi.“ Deutschland müsse endlich aufhören, sich für seine Vergangenheit zu entschuldigen, findet er. Und überhaupt: 25.000 Euro im Monat für Angela Merkel? Das könne doch alles nicht wahr sein.

 

Pegida: „Die Verdichtung eines ganzheitlichen Unbehagens“

 

Es sind zwei Statements, die erklären, warum sich Menschen den selbsternannten „Patriotischen Europäern“ anschließen – am Montag waren es in Dresden 25.000 Demonstranten, ein neuer Spitzenwert. Es geht ihnen gar nicht zwangsläufig darum, das Abendland vor einer vermeintlichen Islamisierung zu bewahren. Der Treibstoff: Unzufriedenheit auf der ganzen Linie.

Der Publizist und Politologe Richard Gebhardt beschäftigt sich seit Jahren mit dem „Extremismus der Mitte“ und den Bruchlinien der politischen Kultur in Deutschland. Auf Anfrage von ZEITjUNG sagt er: „Das Feindbild, der Islamismus, ist nur die Verdichtung eines ganzheitlichen Unbehagens. Diese Menschen fühlen sich nicht mehr vertreten – weder von der Politik noch von den Medien. Wir befinden uns in einer Krise der Repräsentation. Und Pegida ist ein Wutschrei nach einer anderen Form der Vertretung.“

Weiter führt er aus: „In der Stadt Dresden gibt es einen Ausländeranteil von nur 4,7 Prozent. Die Demonstranten dort kämpfen einen rechtsbürgerlichen Abwehrkampf. Die wollen nicht, dass es in Sachsen so wird wie in anderen Bundesländern, zum Beispiel in NRW.“

 

„Offiziell distanziert sich Pegida von Rechten, aber inoffiziell…“

 

Wer also ist Pegida? Wer sind diese 25.000 Menschen, die am Montagabend durch Dresden zogen mit Plakaten, auf denen Sprüche wie „Merkel, Sie können uns mal“ und „2035 sind Deutsche in der Minderheit“ standen? „Pegida schließen sich viele Wutbürger an“, sagt Richard Gebhardt: „Wir sehen hier empörte Leute, die sich vorher in der virtuellen Realität der Internetforen oder auf Facebook getummelt haben. Diese Leute gehen nun auf die Straße und rufen ‚Wir sind das Volk'“.

Dass eine Melange derartig Unzufriedener ein fruchtbarer Nährboden für Vertreter vom rechten Rand ist, ist derweil keine große Überraschung. Gebhardt: „Bei Pegida laufen durchaus Rechte und Hooligans mit. Sie finden dort auch zahlreiche Neonazis. Aber es ist ein Fehlschluss, Pegida als neonazistisch inspiriert zu erklären. Offiziell distanziert sich Pegida von Rechten, inoffiziell aber sind sie mehr als nur geduldet.“ Man könne, urteilt der Politologe, Pegida als Straßenarm der Alternative für Deutschland (AfD) werten. Und die sei heute als rechtspopulistische Partei in der Mitte der Gesellschaft nun mal ein Teil von Deutschland – „auch, wenn uns das nicht gefällt.“

 

„Wäre Bachmann Ausländer, müsste er seine Abschiebung fordern“

 

In Lutz Bachmann, dem Hauptorganisator hinter Pegida, haben sowohl frustrierte Bürger als auch rechte Hardliner einen Leitwolf gefunden, der ihnen das bietet, was sie in der Politik und in den „System-Medien“ vermissen. „Bachmann ist vielleicht auch wegen seiner Vorbestrafung ein anti-elitärer Wortführer – er gilt trotz seiner stattlichen Vorstrafen als ‚einer von uns‘. Wäre er Ausländer, müsste er konsequenterweise für seine eigene Abschiebung eintreten“, sagt Richard Gebhardt.

Aber das Problem ist erkannt, Protestmilieus sind sichtbar gemacht worden – nun kann man daran arbeiten. Gebhardt schlägt vor: „Vielleicht müssen wir Politik wieder erklären. Ich glaube, dass ein wesentlicher Teil der Deutschen zum Beispiel gar nicht den Unterschied kennt zwischen einem Flüchtling und einem Asylbewerber.“

Ein weiteres Problem sei außerdem die Art, wie man Pegida öffentlich begegne. „Was mich stört, ist der öffentliche Umgang mit dem Thema. ‚Schande für Deutschland‘, ‚Seelenfänger von Dresden‘ – solche Formulierungen sind die Karikatur des hilflosen Antifaschismus; die Bundesrepublik ist zu stabil für eine derart apokalyptische Rhetorik. Ich frage mich: Geht’s nicht auch ’ne Nummer kleiner? Zum Beispiel mit Ironie oder nüchterner Aufklärung statt inflationärer Warnrufe.“

Zum Schluss dürfe man eines nicht vergessen: Pegida ist eine lautstarke Minderheit. Nicht die Mehrheit in der Bundesrepublik.

 

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Bildquelle: blu-news.org unter CC BY-SA 2.0