8 Fragen, 8 Antworten: Sollen wir offener über Drogenkonsum sprechen?

Die Journalistin Ina Milert hat ihre 18-Jährige Tochter Lea an die Drogen verloren. Das junge Mädchen hat in ihrer Drogen-Abhängigkeit und aus Verzweiflung keinen anderen Ausweg als den Suizid gesehen. Seit Leas Selbstmord sind zehn Jahre vergangen, ein Jahrzehnt, in dem sich die Mutter immer wieder die Frage stellen musste, inwiefern sie womöglich die Schuld am Tod ihrer eigenen Tochter trägt. Viele Jahre war Ina Milert nicht dazu in der Lage, über ihren schrecklichen Verlust zu sprechen. Ein Buch zu schreiben hat ihr geholfen, Leas tragisches Schicksal zu verarbeiten. Mit „Tagebuch einer (Sehn-) Sucht. Wie ich meine Tochter an die Drogen verlor.“ möchte die Journalistin anderen Menschen helfen, die mit ähnlichen Verlusten zu kämpfen haben.

Wie ich meine Tochter an die Drogen verlor

Das Buch war Ina Milerts Weg, die Geschehnisse zu verarbeiten. Doch wie hilfreich ist es, diese Geschichte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen? Bringt es nicht mehr Schaden als Vorteil mit sich, im öffentlichen Diskurs vermehrt über Drogensucht zu sprechen? Der Abteilungsleiter für Suchtspezifische Angebote bei der Drogen-Beratungsstelle Condrobs, Siegfried Gift, gibt im Interview mit ZEITjUNG.de Antworten auf diese Fragen und mehr:

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Angenommen, Sie wären damals als Suchtberater an der Seite von Lea und ihrer Mutter gewesen. Wie hätten Sie sich nach Leas Suizid um ihre Mutter gekümmert?

Siegfried Gift: Da der Suizid schon stattgefunden hat, bleibt mir nur noch die Trauerbegleitung. Ein Suizid ist das maximale Scheitern der elterlichen Sorge. Jede Mutter hat das Ziel, ihr Kind gesund durchs Leben zu bringen. Fängt das Kind im Jugendalter dann aber an, Drogen zu konsumieren, versuchen die Eltern natürlich Einfluss zu nehmen. Und dann schafft man es nicht. Mit so einem Verlust kann man nie abschließen, daher würde ich der Mutter den Rat geben, die Trauer in ihr Leben zu integrieren und sie als festen Bestandteil zu akzeptieren. Ich glaube, genau das hat die Mutter auch getan, indem sie dieses Buch geschrieben hat.

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Lea ist kein Einzelfall. Allein in Deutschland sterben jährlich ca.10.000 Menschen durch Suizid, viele davon an einer Überdosis. Hat das Drogenproblem bei Jugendlichen in den letzten Jahren zugenommen?

Das lässt sich nicht generalisieren. Was sich verändert hat, sind die Substanzen, die konsumiert werden, momentan haben wir eine Phase, in der psychoaktive Substanzen im Trend sind. Synthetische Cannabinoide, die als Kristalle oder Kräutermischungen konsumiert werden, oder synthetische psychedelische Substanzen, die man sich selbst zusammenmischen kann. Entwicklungsbedingt kommt jeder Jugendliche in seiner Schulzeit oder in seinem Freundeskreis mal mit Drogen in Kontakt, ähnlich wie bei Alkohol. Diese psychoaktiven Substanzen sind schnell und gut, vermeintlich legal über das Internet verfügbar. Viele Jugendliche haben mit dieser Art von Drogen herumexperimentiert, so nach dem Motto: hey cool, da gibt es eine legale Substanz, das muss ich mal ausprobieren – in so einem Fall kann aber noch nicht von einem Drogenproblem die Rede sein.

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Wie oft gelingt es Jugendlichen, eine Drogensucht erfolgreich zu überwinden?

Bleiben wir mal bei den Cannabinoiden, da gibt es nämlich eine große Gruppe an Konsumenten – wie viele das sind kann man schwer sagen, da die Dunkelziffer wohl irre hoch ist – mit Störungen: Von den 30 Prozent der Jugendlichen, die diese Cannabinoide nehmen, entwickeln circa sechs Prozent tatsächlich eine Störung. Von denen wiederum schafft es die Hälfte, wieder auszusteigen. Das heißt aber nicht, dass die übrigen drei Prozent automatisch einen katastrophalen Drogenverlauf erleben. Es gibt auch Menschen, die Drogen stabil in ihr Leben einbauen können. Das muss man unterscheiden.

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Kann es Betroffenen helfen, öffentlich über Drogensucht und Schicksale wie das von Lea zu sprechen?

Als Betroffene selbst würde ich mich nicht an die Massenmedien wenden. Gerade in den ersten Wochen, in denen man das Geschehene noch gar nicht verarbeiten kann, kann man nur verlieren. Ich rate allen Betroffen, die so etwas durchleiden müssen, sorgfältig hinzuschauen und sich genau zu überlegen, wem ich was erzähle. Man kann nicht davon ausgehen, dass mein Gegenüber sorgsam mit meiner Geschichte umgeht.

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Drugs

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Würden Sie sagen, dass das Interesse der Medien an der Drogensucht-Thematik zugenommen hat?

Was die klassischen, professionellen Medien angeht, nein. Medien haben das Recht, zu analysieren und kritisch nachzufragen, das ist ja ihre Aufgabe. Was allerdings vermehrt eskaliert, sind Shitstorm-Wellen in den sozialen Medien, auch zum Thema Drogen. In dieser ganzen Sozialen Netzwerks-Öffentlichkeit fehlt es an Professionalität, da gibt es nur noch Emotionalität. Und gerade die passt so schlecht zu dem Thema Drogensucht und Drogensuizid. So kocht eine Story für eine Woche auf und danach ist sie tot. WO bleibt da der Lerneffekt?

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Smoking

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Verschlimmbessert diese mediale Omnipräsenz das Thema Drogensucht womöglich zusätzlich?

Schwer zu sagen. Ich nehme einen positiven und einen negativen Effekt wahr. Der Positive: Die Menschen, die sich überhaupt mit dem Thema beschäftigen, können sich heutzutage viel besser informieren. Dort, wo die Prävention lange Angst hatte, ob und wie man über Drogenwirkungen aufklären kann, gibt es heutzutage jede Menge Informationen. Das ist sicher eine Verbesserung. Der negative Effekt an einem Beispiel erklärt: Sowohl in den Printmedien und im Fernsehen als auch in den Sozialen Netzwerken war eine Zeit lang das Phänomen Rauschtrinken extrem präsent, das hat eine Nachahmungswelle seinesgleichen auslöst. Diese Entwicklung wiederrum ist sicher eine Verschlechterung, ausgelöst durch die verstärkte Thematisierung in den Medien.

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Smoking

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Worin sehen Sie die Aufgabe der Medien im Zusammenhang mit Drogenkonsum?

Es ist Aufgabe der Medien, dafür zu sorgen, dass man gut über die Substanzen informiert ist, dass man weiß, wie bestimmte Substanzen wirken und was ihre Folgen sind. Drogenkonsum funktioniert nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip: Durch ihre Bindung an einen Rezeptor können Drogen bestimmte Transmitter simulieren oder blockieren, das ist bei jedem Menschen anders. Denn jeder Mensch reagiert individuell auf bestimmte Drogen. Es gibt Leute, die werden bereits nach dem ersten Konsumieren einer Droge abhängig, es gibt andere, die können ihr Leben lang Drogen nehmen und nie abhängig werden, weil ihre Rezeptoren anders auf die Drogen anspringen. Dafür gibt es keinen Genmarker oder psychiatrische Diagnostik – das heißt das Risiko ist unkalkulierbar. Darüber müssen die Medien aufklären. Das muss unbedingt jeder wissen, der Drogen konsumieren möchte.

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Medication

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Wo kann ich mich denn informieren, sowohl als Betroffener als auch als Angehöriger eines Drogensüchtigen?

Jugendliche oder Eltern sind gut aufgehoben, wenn sie zur Jugendberatung gehen. Das muss immer die erste Anlaufstelle sein. Wenn man davor zu viel Angst hat, geht man zu einer Suchtberatungsstelle, da findet das Ganze anonym statt. Bei erwachsenen Konsumenten kann ich mich ebenfalls immer an Suchtberater wenden.

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