8 Fragen, 8 Antworten: Kann Musik heilen?

Laut einer neuen Studie des Musik-Streaming-Anbieters Deezer in Zusammenarbeit mit der British Academy of Sound Therapy sollte jeder Mensch mindestens 78 Minuten Musik pro Tag hören, um gesund zu bleiben. Nach nur fünf Minuten fühlt man sich glücklicher, nach elf setzt die therapeutische Wirkung ein und wie erwartet fördert Popmusik die gute Laune und Rock hilft bei der Wutbewältigung – Pharrell Williams „Happy“ und AC/DCs „Highway To Hell“ wurden dafür jeweils als Nummer-1-Songs gewählt. Ludwig van Beethoven schafft es gleich zweimal auf Platz 1 und zwar in den Kategorien ‚Entspannen‘ und ‚Konzentration‘. Wir haben mit der Musiktherapeutin Silke Siebert gesprochen und gefragt wie denn die therapeutische Wirkung von Musik genau aussieht, ob Mozart tatsächlich besser hilft als Heavy Metal und ob man eigentlich zu viel Musik hören kann.

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Wann wird Musik als Therapie eingesetzt?

Wenn es um die Wiederherstellung, Erhaltung oder Förderung von seelischer, körperlicher und geistiger Gesundheit geht. Die Musik wird dabei gezielt in der Behandlung von Neugeborenen und Kleinkindern bis hin zu Musiktherapie mit Erwachsenen und im hohen Alter genutzt. Die Musiktherapie spielt sowohl in der heilpädagogischen Arbeit, als auch in psychotherapeutischen, psychiatrischen und medizinischen Behandlungskontexten eine Rolle, beispielsweise in der Neurorehabilitation nach einem Schlaganfall oder Unfall.
Ganz generell kommt Musik besonders da ins Spiel, wo die Sprache nicht vorranging bedeutsam ist: Bei Kindern, die noch nicht sprechen können, aber auch in den Bereichen, in denen Menschen die Sprache verloren haben, oder noch keine Worte für das Geschehene finden. Beispielsweise kann in der Trauma-Therapie vieles noch nicht mit Worten benannt werden, was bereits innerlich erlebbar ist.
Die Musiktherapie wird daher auch als nonverbale Therapieform bezeichnet, obgleich das gesprochene Wort beim Verbalisieren in der Therapie mit Kindern oder im reflektieren Gespräch mit Erwachsenen mitunter eine große Rolle spielt.

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Wie sieht eine Therapiesitzung konkret aus?

Das hängt stark vom Arbeitsfeld und dem Patienten ab. Bei Frühgeborenen wird viel mit den Stimmen der Eltern gearbeitet, um die Bindung wiederherzustellen, die mit dem frühzeitigen Verlassen des Mutterleibes und dem sofortigen Wechsel auf die Intensivstation unterbrochen wurde. Ich persönlich arbeite in der Psychosomatik mit Erwachsenen. Da unterscheiden wir zwischen aktiven und rezeptiven Angeboten, das heißt, Therapeut und Patient spielen entweder selber auf leicht zu spielenden Instrumenten, oder wir hören uns Musik an.
Zu Beginn wird häufig im Gespräch herausgearbeitet mit welchem Anliegen der Patient kommt. Dann nähern wir uns der Thematik zum Beispiel über eine gemeinsame Improvisation. Im anschließenden Gespräch berichtet der Patient von dem was er während des Spiels in sich oder beim gemeinsamen Improvisieren mit dem Therapeuten erlebt hat. Im weiteren Verlauf können so Aspekte des emotionalen oder körperlichen Erlebens weiter vertieft oder auch neue Verhaltensweisen in einer folgenden Improvisation spielerisch ausprobiert werden.

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Wie heilt Musik?

Es gibt immer wieder Bestrebungen nach den Wirkfaktoren der Musik zu suchen. Wir können unter anderem sicher zwischen spannungs- oder entspannungsfördernden Anteilen in der Musik unterscheiden. Ein ruhiger, gleichbleibender Rhythmus wirkt in den meisten Fällen entspannend während schnelle, akzentuierte Rhythmen eher anregend wirken. In der tiefenpsychologisch orientierten Musiktherapie beziehen wir uns jedoch weniger auf allgemeine Wirkfaktoren als vielmehr auf das individuell unterschiedliche, biographisch begründete Erleben des jeweiligen Patienten.
Klar, Mozart wirkt denkfördernd, das haben Studien bewiesen. Wenn ein Patient allerdings zu der Musik schlechte Erfahrungen gemacht hat, löst diese sicherlich keine entspannte, und somit lernfördernde Atmosphäre aus. Es gibt genauso Studien darüber, dass sich Babys besser bei Heavy Metal beruhigen als bei klassischer Musik, wenn die Mutter als Schwangere gerne Heavy Metal gehört hat. Für die Musiktherapie wiederhole ich daher gerne die Frage, die bereits von Kollegen gestellt wurde, ob wir die Musikwirkung in der Therapie überhaupt unabhängig vom Beziehungsgeschehen eruieren können?

 

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Was sind die Vor- und Nachteile der Musiktherapie?

Einen großen Vorteil der Musiktherapie sehe ich in dem unmittelbaren Zugang zur Gefühlsebene durch die Musik. Wir sind eine sehr denkorientierte Gesellschaft, in der die Gefühle meines Erachtens häufig zu kurz kommen. Das „Wissen“ über unsere Gefühle kann uns genauso wichtige Orientierung liefern, wie manch kluge Gedanken.
Musik kann die Stimmung direkt beeinflussen und die Kreativität des Menschen fördern. Im miteinander Improvisieren erleben wir eine Gleichzeitigkeit von „Ich“, „Du“ und „Wir“, die so in verbalen Therapieformen nicht möglich ist. Wenn wir miteinander reden, sprechen wir im besten Fall nacheinander, um einander zuhören zu können. In der musiktherapeutischen Improvisation kann der Patient sich auf dem Instrument ausdrücken, wird aber gleichzeitig vom Therapeuten unterstützt und durch die Musik gehalten.
Als Nachteil der Musiktherapie würde ich die teure Ausstattung aufgrund der benötigten Instrumente und die Notwendigkeit eines passenden, schallgedämpften Therapieraumes nennen. Ebenso nachteilig ist, dass die Therapie von den Krankenkassen nicht übernommen wird und so für viele Bedürftige keine erreichbare Therapieform ist.

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Könnte ich mich auch alleine mit Musik therapieren?

In der Therapie geht es um die Bearbeitung innerer Konflikte mit Hilfe therapeutischer Beziehung. Alleine fehlt so gesehen ein Gegenüber, auf den Übertragungen projiziert werden können, so dass die Themen für eine Bearbeitung zugänglich werden. Natürlich können Sie Musik hören oder selber machen und dabei auf sich selbst achten und die Musik dabei auch als hilfreich, wohltuend und befreiend erleben. Letztlich kommen Menschen aber in Therapie, wenn sie mit ihren eigenen Bewältigungsstrategien eben nicht mehr weiterkommen.

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Sollte jeder Mensch ein Instrument spielen?

Ich denke nicht, da wir Menschen so unterschiedliche musikalische, künstlerische oder auch sportliche Fähigkeiten und Neigungen haben. Wenn es nach mir ginge, würde ich dem gemeinsamen, leistungsfreien Musizieren gerne mehr Bedeutung in unserer Gesellschaft geben. Das betrifft schon die frühe Eltern-Kind-Interaktion, die durch den Einsatz von Klängen und Stimme gestaltet werden kann. Aber auch Gelegenheiten zum gemeinsamen Singen sollen gefördert werden, selbst wenn jemand der Überzeugung ist überhaupt nicht singen zu können. Wenn jemand zu mir in die Therapie kommt, frage ich in der Regel nach den musikalischen Vorerfahrungen. Ich bin erschüttert, dass immer wieder von negativen Erfahrungen berichtet wird, wie dass „vor der Klasse Vorsingen müssen“ die eigene Singfreude im Keim erstickt. Diese prägenden Vorerfahrungen können es einem Patienten in der Musiktherapie schwerer machen, einen Zugang zum spielerischen Explorieren der Instrumente zu finden.

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Mit welchen Instrumenten arbeiten Sie?

Hauptsächlich mit solchen, die einfach zu spielen sind und auf denen schnell und ohne Vorkenntnisse Klänge erzeugt werden können, seien das Rasseln, Trommeln, Xylophone, aber auch Saiteninstrumente, wie die Gitarre, Kantele oder das Monochord. Auch das Körpermonochord spielt in meiner Arbeit eine wichtige Rolle, um die Körperwahrnehmungs- und Entspannungsfähigkeit zu fördern. In der Musiktherapie geht es nicht darum, schöne Stücke oder „richtig“ spielen zu lernen, sondern durch die Musik und dem gemeinsamen Spielen die eigenen Gefühle, Gedanken, Körperempfindungen oder eigenen Verhaltensweisen kennen zu lernen und gegebenenfalls Veränderungsimpulse auszuprobieren, wo sie hilfreich oder nötig erscheinen.

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Kann man denn auch zu viel Musik hören?

Ein „zu viel“ weist meiner Ansicht nach auf ein Ungleichgewicht hin und ist in der Therapiesituation gegebenenfalls zu hinterfragen. Ich würde wissen wollen, wie es dazu kommt. Als Musiker hat man immer Musik im Ohr, aber da würde ich nicht per se von einem ungesunden „zu viel“ reden. Wenn jemand sich allerdings ständig einem zu viel oder zu laut aussetzt, kann sein Verhalten auch eine Schädigung des Hörorgans zur Folge haben. Wir werden viel mit Musik „berieselt“ und vielleicht würde es sich tatsächlich lohnen an der ein oder anderen Stelle zu überprüfen, ob überhaupt noch zugehört wird. Ob etwas als „zu viel“ erlebt wird, hängt von vielen verschieden Aspekten ab. Wenn jemand in die Musiktherapie kommt, weil er das zu viel Musik hören als Belastung erlebt, würde ich möglicherweise fragen, wozu es ihm wichtig ist, so viel Musik zu hören? Welche Art von Musik hört er? Was verbindet er damit? Soll es vielleicht bestimmte Gedanken oder Gefühle blockieren? Von etwas ablenken? So kämen wir dem therapeutischen Auftrag näher und könnten musiktherapeutisch an dem „zu viel“ arbeiten.

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