Herrgott, ist die Heimat schön – und die Berge krass steil

Von Ben Krischke

Dieser Text ist eine Zusammenarbeit mit dem Tourismusverband Obertauern.

Die Fahrt vom Bahnhof Radstadt zur Unterkunft dauert nur wenige Minuten. „Du willst dir das wirklich antun?“, lacht der Taxifahrer mehr als er fragt. Ich will. Bald darauf habe ich eine ausgiebige Brotzeit im Magen und wäre eigentlich reif fürs Bett. Stattdessen knie ich noch bis tief in die Nacht und ganz analog über der großen Karte, die ich inmitten meines Zimmers auf dem Holzboden ausbreite. Ein langes Wochenende liegt vor mir, aber nicht in Kneipen, Bars oder am Schreibtisch – sondern im Salzburger Land: 123 Kilometer und 4500 Höhenmeter will ich den kommenden drei Tagen abstrampeln.

Ruhm, Ehre und ein Pokal – vielleicht

Tag ein, tag aus sind wir geistig gefordert. Ob in der Uni oder im Job, ob in den sozialen Medien oder angesichts all der großen Themen, die Teil unserer Zeit sind. Wer geistig durchspannen will, kann Urlaub machen, klar, oder er verschiebt die Herausforderung einfach und geht zur Abwechslung auch Mal körperlich an seine Grenzen. Der Mountainbike-Sport mit seinen Anstiegen und Abfahrten, bietet hier eine perfekte Mischung aus Anstrengung und Erleichterung, Fokussierung und Berghigh, also der Euphorie, die einen überkommt, wenn man sich bergauf gequält hat und endlich oben ankommt.

Mountainbiken begleitet mich nun seit etwa zwei Jahren und zum Abschluss der diesjährigen Mountainbikesaison, die rein rechnerisch in etwa mit dem Start des Wintersemesters harmoniert, nehme ich meine erste große Tour in Angriff.

Es ist Ende September. Ich bin auf Einladung des Tourismusverbands Obertauern ins Salzburger Bergland gereist. Bekannt ist die Region, zu der unter anderem die Gemeinden Radstadt, Altenmarkt und Obertauern zählen, vor allem bei Wintersportlern. Seit Anfang Juli 2019 ist die Region nun um eine Attraktion für Mountainbiker reicher.

Denn der „Stoneman Taurista“ ist die vierte Route, die unter dem Label „Stoneman“ entlang bestimmter Checkpoints durch abwechslungsreiche Gebirgswelten führt. Weitere Stonemans gibt es in den Südtiroler Dolomiten, im Erzgebirge und in den Berner Alpen. Die Herausforderung ist immer gleich: Alle Checkpoints müssen in einem festen Zeitrahmen erreicht werden. Ich entscheide mich für die vermeintlich einfachste Variante und setze drei Tage für die gesamte Tour an.

Baum und Baum, wilde Strudel, weites Land

Die erste Etappe startet mit dem ersten Genussmoment. Mit dem Bike geht es vorwiegend bergab und bei sonnigem Herbstwetter die kristallklare Taurach entlang. Der Fluss fließt rechts von mir und so wild, dass er alle paar Meter kleine Strudel wirft. Links von mir reiht sich Baum an Baum. So geht das eine ganze Weile, bevor sich das Salzburger Land mit einem ersten, kaum nennenswerten Anstieg zu einem großen Bauernhof öffnet. Wo eben noch der Fluss rauschte, läuten nun die Kuhglocken aus allen Himmelsrichtungen.

Nach einer kurzen Fahrt über den Radweg, der parallel zur Schnellstraße verläuft, passiere ich das Ortsschild „Radstadt“ und durchquere einen Golfplatz, auf dem vorwiegend ältere Herren, aber auch überraschend viele junge Leute versuchen, ihr Handicap zu verbessern. Die gesamte Tour ist mit kleinen Schildern ausgewiesen, GPS-Daten und große Karte helfen obendrein bei der Orientierung.

Der erste Checkpoint meiner Tour, der Berggasthof Sattelbauer, liegt auf 1244 Meter. Hier schnaufe ich das erste Mal durch und fülle meine Wasservorräte im Trinkwasserbrunnen auf. Alles mit einem herrlichen Ausblick auf das Dachstein-Massiv und die umliegende Bergwelt.

Es folgt die erste wildere Abfahrt des Tages, die mich über sehr technische Trails führt. Einzelne Passagen und Kurven sind besonders steil; Fangnetze am Rand lassen vermuten, dass dies schon Mal zum Verhängnis werden kann. Keine Zeit, sich um andere Dinge Gedanken zu machen. Der Fokus ist klar – und ich bin im Flow, also im Tunnel.

Bald darauf weicht dieser Flow abrupt der Ernüchterung: Denn ich denke das erste Mal ernsthaft darüber nach, den „Stoneman Taurista“ abzubrechen. Nach gerade einmal dreieinhalb Stunden. Acht Kilometer bergauf muss ich mich quälen, mit einer Steigung von über zehn Prozent. Alles andere als leichte Kost für jemanden wie mich, der sich mit seinem Bike vor allem im Münchner Umland herumtreibt. Es ist Ende September, aber die Temperaturen sind sommerlich und die Sonne brennt herunter, während ich mich Zentimeter für Zentimeter die Serpentinen hochdrücke. Es dauert nicht lange, bis meine Beine streiken. Ich kann fortan und für die nächsten zwei Stunden nur noch schieben.

Schweißperlen groß wie Wassertropfen fallen mir von der Stirn. Manche so groß, dass sie nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören sind. Dann nämlich, wenn sie auf den Aluminiumrahmen meines Mountainbikes tropfen. Mehrmals muss ich pausieren und Sonnenschutz noch in den kleinsten Schattenplätzen suchen, damit mich mein Kreislauf nicht im Stich lässt. Job, Uni, soziale Medien: Der Alltag ist hier weit, sehr weit entfernt und die Probleme ganz andere. Ich denke übers Aufgeben nach, aber ich will nicht.

Nach einer gefühlten halben Ewigkeit habe ich den zweiten Checkpoint endlich erreicht: Das Grießenkar, den Wagrainer Hausberg, auf 1689 Meter. Mit bis zu 60 km/h in der Spitze, was den Lenker vibrieren lässt, geht es anschließend über die Serpentinen wieder hinab ins Tal – kurz ein Foto für Instagram – und im Anschluss noch einmal einige Höhenmeter hinauf zur Edelweißalm auf 950 Meter. Als ich am dritten und damit letzten Checkpoint des ersten Tages ankomme, geht das Endorphine-Feuerwerk endgültig los.

Ich bin nach über acht Stunden wie im Rausch, meine Augen groß, mein Blick glasig und ich bin überglücklich, den ersten Tag gemeistert zu haben: 1800 Höhenmeter – und Haken dran. Anders formuliert: Selten hat ein Bier so gut geschmeckt wie jenes, das ich mir später vor dem Schlafengehen noch auf der Terrasse des Peakini Farmhaus, meiner Unterkunft für das Wochenende, gönne.

Eine Frage der Vorbereitung und Einstellung

Der zweite Tag beginnt überraschenderweise ohne große Schmerzen. Dass ich jetzt einschätzen kann, was mich in etwa erwarten wird, hilft mir bei der Vorbereitung ungemein. Die Einstellung stimmt, denn ich weiß vom Vortag – und das wiederum ist eine Erkenntnis, die sich sehr gut auf den Alltag übertragen lässt: Wenn du denkst, nichts geht mehr, dann hat dein Körper noch ausreichend Reserven. Du musst sie nur abrufen.

Die zweite Etappe wird nicht weniger anstrengend als die erste, aber anders und wartet obendrein mit mehr Naturschauspiel und einem 360-Grad-Alpenpanorama vom ersten Checkpoint Rossbrand (1713 Meter) auf. Beim ersten langen Anstieg teile ich mir die Energyriegel sinnvoll ein (man könnte es auch strukturiertes Arbeiten nennen), um meine Kraftspeicher regelmäßig aufzufüllen. Außerdem versuche ich unterschiedliche Techniken bergauf, verlagere zum Beispiel mein Gewicht vor und zurück und beobachte, welchen Effekt welche Verlagerung hat. Learning by doing.

Richtig heftig – und noch einmal deutlich intensiver als die Anstiege am Vortag – wird die ausgewiesene Trage- und Schiebepassage, die überwunden werden will. Über zwei Stunden stemme ich mich gegen steile Felsen im Wald, wieder rinnt der Schweiß in dicken Tropfen und wieder schiebe ich mein Rad Meter für Meter immer weiter nach oben und meistere auch die fieseste Etappe des Tages.

„Herrgott, ist die Heimat schön!“ steht am Gipfelkreuz des Roßbrand, seines Zeichens Hausberg von Radstadt. Und ja, das ist sie. Über 150 Alpengipfel sind zu sehen, vom Dachstein über Bischofsmütze, Tennen- und Hagengebirge über Hochkönig, die Hohen Tauern mit Großglockner und Großvenediger bis hin zu den Radstädter und Schladminger Tauern. Fast zwei Stunden verbringe ich dort oben, unterhalte mich mit anderen Mountainbikern, die die steile Trage- und Schiebepassage ebenso erfolgreich hinter sich gebracht haben oder blicke einfach nur auf die Bergwelt und genieße. Als die Reserven wieder aufgefüllt sind, geht’s weiter. Auf eine lange und sehr technische Passage folgt ein Trail, der mich durch ein Waldstück donnern lässt, sodass mir der Matsch nur so um die Ohren fliegt.

Der letzte Checkpoint des zweiten Tages, das Mandlberggut, liegt auf „nur“ 920 Meter, weshalb ich über die nächsten eineinhalb Stunden fast ausschließlich im Downhill-Modus bin. Was mich besonders freut: Am Mandlberggut – zu dem eine Whisky- & Schnapsbrennerei ebenso gehört wie eine Latschen- und Zirbenkieferbrennerei – treffe ich drei Wiener, die ich vom Gipfel kenne. Und weil wir uns dort schon gut verstanden haben, beschließen wir diesen Tag mit einem feinen Schnäpschen zu beschließen.

Als ich am Ende des zweiten Tages ins Bett sinke, ist Stille in meinem Kopf. Tatsächlich fühlt es sich an, als hätte irgendwer oder irgendwas einfach alle Gedanken abgesaugt und dadurch Platz geschaffen, um die kommende Woche mit neuen geistigen Reserven anzugehen. Ein irres Gefühl, das sich schwer beschreiben lässt.

Geliebte Wildheit

Am letzten Tag stehen noch weitere Highlights der Tour an, darunter der 90 Meter hohe Johanniswasserfall. Theoretisch zumindest. Denn nach den vorangegangenen zwei Tagen, in denen ich über 18 Stunden Tour, etwa 3500 Höhenmeter und 150 Kilometer reine Strecke hinter mich gebracht habe, ist mein Körper durch. Schon beim ersten und vergleichsweise gemütlichen Anstieg versagen meine Beine. Ich bin fertig – und breche ab.

Den restlichen Tag nutze ich für eine entspannte Tour durch die Region. Ich gönne mir eine ausgiebige Brotzeit an der Taurach, die mir mit ihrer Wildheit richtig ans Herz gewachsen ist. Ich besuche den Wildpark Untertauern, die angrenzende Schlucht mit ihren Wasserfällen und flaniere später am Tag noch eine Runde durch Radstadt, schaue mir Schusterturm und Schlossmauer an. „Herrgott, ist die Heimat schön!“, kommt mir die Inschrift am Gipfelkreuz des Roßbrand wieder in den Sinn als ich mein Bike für die Heimfahrt in den Zug stemme. Der Fahrradcomputer steht nach drei Tagen bei 204 Kilometern – und der Kopf auf null.

Zum Runterkommen: das Peakini Farmhaus

Unterkunft-Tipp: Peakini Farmhaus

Wer hoch hinaus will, muss erst mal runterkommen. Das Peakini Farmhaus ist das Ergebnis vierjähriger Restaurierungs- und Bauarbeiten an einem 450 Jahre alten Bauernhof – und hat sich auf die Fahnen geschrieben, beim Runterkommen zu helfen. Der „Architektur-Bauernhof“, wie er von den Besitzern benannt wird, ist dezidiert als Offline-Destination ausgewiesen. Statt WLAN gibt es hier Bike- und Wandertipps frei Haus. Wer da ist, darf sich auf beste vorwiegend regionale Küche freuen und sollte unbedingt die eingelegten Gurken und Paprikas probieren. Nach einer ausgiebigen Tour hilft der Chefkellner mit einer kühlen Rhabarber-Schorle bei der Regeneration. Im Innern trifft österreichisches Hüttenflair auf skandinavischen Schick, im Außenbereich findet man unter anderem einen Pferdestall und Babykatzen, die sich gerne an die Beine der Besucher schmiegen. Es gibt nur wenige Zimmer, was den Andrang der Übernachtungsgäste eingrenzt und beim Runterkommen hilft. Tagsüber ist normaler Gaststättenbetrieb. Wer Biken oder Wandern will, kann nach einem ausgiebigen Frühstück und bestem Porridge direkt vor der Tür beginnen. Zum Beispiel entlang der wilden Taurach, die direkt an der Unterkunft vorbei fließt.


Transparenz-Hinweis: Im Rahmen der Recherche zu diesem Artikel wurden die Übernachtungskosten vom Tourismusverband Obertauern übernommen.  

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Bildquelle: Ben Krischke