6 Fragen, 6 Antworten: Wie sähe ein ideales Stadtviertel aus?

Auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände beim Münchener Ostbahnhof liegt das Werksviertel, ein Gelände, auf dem ein fast schon utopisch anmutendes neues Stadtviertel entsteht. Bars, Cafés, Künstlerateliers und bald sogar ein Opernsaal und Wohnungen, alles auf einer Fläche. Sieht so die Stadt der Zukunft aus? ZEITjUNG hat mit Martina Taubenberger, der kreativen Direktorin und Geschäftsführerin der ‚whiteBOX‚ über das Werksviertel und die ideale Stadtplanung gesprochen.

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Frau Taubenberger, was hat es mit dem Werksviertel-Mitte auf sich?

Auf dem Gelände des Werksviertels Mitte wird nach und nach eine reale Utopie geschaffen. Wir befinden uns hier auf dem alten Gelände der Pfanni-Werke, deren Erbe Werner Eckart hier ein neues Stadtviertel aufbauen möchte. Die Idee war es, ein Konzept zu entwickeln, das die Vielfalt des menschlichen Zusammenlebens widerspiegelt und der Kreativität Raum gibt.

Bildquelle: whiteBOX

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Worum genau handelt es sich bei der ‚whiteBOX‘?

Der Name ‚whiteBOX‘ leitet sich aus dem Namen eines Kunstvereins ab, der hier vorher aktiv war. Eigentlich ist er aber ironisch gemeint, weil wir eben genau das nicht sind – eine geschlossene Box. Wir von der ‚whiteBOX‘ bieten Künstlerinnen und Künstlern Ateliers auf unbestimmte Zeit an und präsentieren in Ausstellungen und Veranstaltungen alle möglichen kulturellen Disziplinen und Kunstrichtungen. Unser Hauptfokus liegt auf digitalen Medien, Streetart und Popkultur. Mit diesen drei Hauptsäulen spielen wir, lassen die verschiedenen Formen neue Verbindungen eingehen. Wir möchten als Ausgangspunkt für die Entfaltung des Einzelnen gelten.

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Welche Rolle hat die ‚whiteBOX‘ in dem Werksviertel Mitte?

Wir sind sozusagen der Nukleus im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft des Werksviertels-Mitte. Regelmäßige kulturelle Veranstaltungen finden in diesem Bereich des Werksviertel statt. Die Wirkung der Veranstaltungen der whiteBOX entfaltet sich wie in konzentrischen Kreisen, mit Wirkung über das Werksviertel, München und auch über bundesweite Grenzen hinaus. Darum geht es auch bei der ‚whiteBOX‘, nicht in Räumen und geschlossenen Strukturen zu denken.

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Was macht die ‚whiteBOX‘ in ihren Augen so besonders?

Man kann die ‚whiteBOX‘ und all ihre Veranstaltungen nicht in eine Schachtel packen. Das ist bei uns Menschen genauso. Vielleicht geht jemand gerne an einem Abend in einen Blockbuster im Kino und sieht sich am nächsten Tag eine zeitgenössische Oper an. Der Mensch ist so vielschichtig und passt selbst nirgends rein, dann muss das Kulturangebot auch dazu passen. Unsere Vision ist es, die Vielfalt zu erhalten, und eben auch schräge Sachen zuzulassen. Das ist im ganzen Werksviertel Mitte so, davon lebt das Projekt. Beispielsweise leben auf unserem Dach ein paar Schafe, oder unter dem Luxushotel, das nebenan entsteht, befindet sich ein Hostel und eine Kletterhalle.

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Was könnte ein normales Stadtviertel vom Werksviertel lernen?

Das Wilde, das etwas Strubbelige zu behalten. Kurioses zuzulassen. Vor allem glaube ich, dass es darum geht, einem Ort nicht seine Vergangenheit zu entreißen. Ein Stadtviertel muss sich immer noch den Charakter von etwas natürlich Gewachsenem behalten. Etwas, was sich mit der Zeit, nach und nach entwickelt. Aus den Rockkonzerten, die jemand früher im alten Kartoffelspeicher veranstaltet hat, wurde mit der Zeit die Tonhalle. Solche Entwicklungen sind natürlich und finden nicht auf dem Reissbrett statt. Man kennt die Gesichter dahinter, es handelt sich um eine Vision von Menschen, und nicht nur eine pragmatische Entscheidung. Orte sind wie Menschen, sie tragen ihre Geschichte in sich. Darauf muss man bei einer Planung Rücksicht nehmen.

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Welche Aspekte sind für ein ideales Stadtviertel sonst noch wichtig?

Eigentlich ist es traurig, dass ein solches Zusammenleben und Zusammenarbeiten wie in dem Werksviertel-Mitte als Utopie bezeichnet wird. Das Leben darf nicht so durchgerechnet werden, wie man es heutzutage meistens tut. Das Zusammenleben funktioniert nunmal nicht auf Basis von Effizienz, das Leben ist nicht effizient. Für eine ideale Stadt muss man sich ganz grundsätzliche Fragen stellen. Was brauchen Menschen, was stiftet ihnen Identität? Wie können Menschen in der Vergangenheit wurzeln, in der Gegenwart wirken und in die Zukunft wachsen? Wir versuchen in der ‚whiteBOX‘ den Fokus auf die Zwischenräume zu legen, all die noch-nicht und nicht-mehr Räume, all die Zwischenräume, die im menschlichen Leben so entstehen. In unserer Gesellschaft muss alles immer fertig sein, abgepackt und mit Deckel darauf. Wir konzentrieren uns hier auf das Unperfekte, auf den Zwischenraum. Durch offene Räume entsteht erst das Leben im gesellschaftlichen Zusammensein.

Bildquelle: whiteBOX

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Beitragsbild: whiteBOX