Hipster Begriff

Hipster: Warum dieses Wort endlich in die Mülltonne gehört

Es war einmal ein junger Mann aus einem fernen Land. So anders sah er aus als der Rest des Volkes, mit einer Brille aus feinstem Hirschhorn, so groß wie nie zuvor. Darunter ein prächtiger Vollbart, den er voller Stolz trug. Sein Säcklein, das er auf dem Rücken buckelte, war bestückt mit den edelsten Werken der Weltliteratur. Begeistert schauten ihn die Bewohner des Landes Mainstream an, als er die Pforten der Stadt mit seinem zweirädrigen Gefährt erreichte.

Tja, so oder so ähnlich waren sie, die Anfänger des Hipstertums. Es ging um Individualität, sich abheben von der Masse. Für Außenstehende wirkte er irgendwie cool und anders. Doch weil es nicht viel brauchte, um einer von ihnen zu werden, wurde der Hipster schneller als er „Club Mate“ sagen konnte zum Massenphänomen. Eingegliedert in den Mainstream, hat sich „Hipster“ zack-zack in einen negativ behafteten Begriff, ja fast sogar in eine Art Beleidigung verwandelt.

 

Totschlag-Argument: Hipster!

 

„Oh, neue Mütze, voll Hipster.“ Da ist es, dieses eine Wort, dieses eine Totschlag-Argument, das einem kurz das Maul stopft. Jetzt zu sagen: „Äh nee, gar nicht Hipster“, bringt dann auch nichts mehr. Das Problem ist, dass hinter dem Wort Hipster keine Aussagekraft, keine Identifizierungsmöglichkeit mehr steckt. Jeder und niemand, alles und nichts kann er sein, der Hipster. Selbst eine Diskussion unter Freunden zeigt, dass jeder dieses Phänomen anders definiert.

Ein Hipster kann das 13-jährige Mädchen sein, das sich cropped Tops bei Brandy & Melville kauft, die klassische Hipster-Beanie und dazu noch ein paar Chelsea-Boots trägt. Es kann aber auch der Typ mit dem Vollbart, dem hochgekrempelten T-Shirt und den auffälligen Sneakers sein. Oder doch eher die modebewusste Frau kurz vor der 30, die all black mit runder Sonnenbrille und Fedora-Hut auf dem Kopf durch die City spaziert. Keiner kann wirklich trennscharf sagen, was ein Hipster ist. Und keiner möchte einer sein.

 

Die inneren Hipsterwerte

 

Der Versuch einer Definition: Ein Hipster ist man, wenn man die entsprechenden Charakterzüge besitzt, und nicht, wenn man sich modisch anzieht. Er ist eine ausschließende Person, die nur gelten lässt, was hip und angesagt ist, und wenn du dich nicht auskennst, dann bist du eben uncool. Eine Person, die sich pseudomäßig mit Literatur, Kunst und Film beschäftigt, aber eigentlich nichts davon versteht. Wie Trophäen trägt er die kulturellen Klassiker vor sich her, die er schon gesehen oder gelesen hat, breitet sie im Szene-Kaffee gut sichtbar für alle vor sich aus.

Man trifft den gemeinen Hipster gerne mal auf dem Konzert einer derzeit (oder in naher Zukunft) angesagten Band. Dort steht er in lässiger Runde mit Seinesgleichen, die alle aussehen, als hätten sie sich gegenseitig geklont. Das Smartphone sitzt im Anschlag, um das ganze Spektakel aus nächster Nähe mitzufilmen. Pics or it didn’t happen! Um die Band, um die Musik geht es da schon lange nicht mehr. Gehört, gesehen, teilgenommen (auf Facebook natürlich, damit auch jeder Bescheid weiß, dass man Ahnung von den trendy Events hat). Weiter zum nächsten Must-Have in der Hipster-Szene.

Pseudointelligent, pseudoaufgeklärt, pseudomodisch. Aber über diese inneren Hipsterwerte verfügt nicht gleich jeder, der äußerlich einer sein könnten. Der Futurologist Chris Sanderson unterscheidet in Proto-Hipster und zeitgenössische Hipster. Ersterer ist der echte, wahrhaftige Hipster; ein Kenner, der die Massen führt und inspiriert. Solche gibt es schon seit Menschengedenken. Der zweite Typ ist der, der im Alltag den Hass abbekommt. Er folgt und imitiert nur den Proto-Hipster, ist nicht authentisch. Äußerlich kann man sie jedoch kaum unterscheiden. Und da liegt der Hund begraben: Eine angebliche Subkultur, die aber scheinbar alle miteinschließt und mit ein paar Kniffen von jedem nachzumachen ist.

 

Die Beat-Generation als Vorbild

 

Ganz neu ist das Konzept des Hipsters ohnehin nicht. Schon in den 1950er-Jahren nannte man weiße, junge Amerikaner der Mittelschicht so, die getrieben vom zweiten Weltkrieg nach alternativen Lebenswegen und Sinn suchten: die sogenannte Beat-Generation. Ihr Lebensstil war von Spontanität, kreativem Chaos und sexueller Neuorientierung, aber auch ausschweifendem Drogenkonsum geprägt. Im Mittelpunkt stand vor allem Bepop und Jazz-Musik, gefeiert in den Bars von New York City und später auch in San Francisco. Die zentralen Figuren und Werke der Beat-Generation waren Allen Ginsberg mit seinem Gedicht „Howl“, William S. Borroughs „Naked Lunch“ und Jack Kerouacs Buch „On the Road“.

Rein äußerlich sieht man heute Parallelen zu der Beat-Generation von damals, wie beispielsweise die Hornbrille oder Skinny-Jeans. Doch das Hipstertum heute ist inhaltsleer. Keine literarische Bewegung, die gegen das Establishment rebelliert. Das ist wohl auch eine Erklärung dafür, dass dieses Phänomen so vielen sauer aufstößt.

 

„Sei kein Hipster. Sei ein Congstar!“

 

Das ist der Werbespruch eines Mobilfunkanbieters, der derzeit über die heimischen Fernsehgeräte flackert. Spätestens jetzt müsste allen klar sein: Der Hipster-Begriff muss weg! Wenn schon die Werbemacher dagegen haten, ist der Ausdruck reif für die Begriffsmülltonne. Oder wenn sich im Internet Seiten finden lassen, die eine Checkliste bereit halten, um herauszufinden, wie viel Hipster eigentlich in dir steckt.

Ich habe einen Traum. Den Traum, dass demnächst der Begriff „Hipster“ in all seiner negativen Auslegung endlich vorbei ist. Over and out. Nicht mehr erwähnenswert, weil der Begriff schon so ausgelutscht ist und weil man einfach fast jeden modernen Menschen mit der Hipster-Keule konfrontieren kann. Denn die Trennschärfe des Begriffs ist nicht gegeben. Es ergibt einfach keinen Sinn mehr, ihn zu benutzen, außer in dem Versuch, jemanden zu beleidigen. Etwas Anderes ist es nicht mehr, eine Beleidigung. Sobald man das Kind beim Namen „Hipster“ nennt, war’s das eh mit der hippen Subkultur.

Die einzige Sorge: Wenn der Begriff „Hipster“ stirbt, wird er dann einfach nur durch ein anderes Wort ersetzt? Anders geschrieben, selbe Aussagekraft? Denn der Mensch braucht es, in Kategorien denken zu können, um seine Welt zu sortieren. Aber dann vielleicht nicht als Beleidigung und nicht als Bezeichnung für ein Phänomen, das die meisten der jungen Leute betreffen könnte. Denn mal ehrlich: Was bringt es, eine Subkultur zu definieren, die so weit gesteckt ist, dass jeder irgendwann, irgendwo, durch irgend ein Verhalten dazu gehört? Genau: gar nichts.

 

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Bild: Franca Gimenez unter CC BY-SA 2.0