Beziehung einfordern Liebe Freiheit

Warum wir uns nicht trauen, eine Beziehung einzufordern

Von Sharon Brehm

Umso länger ich auf einer zu harten Matratze liege, versuche den Begriff Freiheit mit Inhalt zu füllen, desto mehr entpuppt sich mein eigenes Denken als antwortloses Rauschen. So als würde das sich zunehmend verbiegende Rückgrat meines Körpers meine innere Schieflage spiegeln. Es ist das schmerzhafte Bewusstwerden, dass dieses Konzept so essentiell wichtig wie sinnleer zugleich ist, fordert man es für sein Liebesleben ein. Sind wir frei?

Es scheint, als dürften wir jeden auf jede erdenkliche Weise lieben – nur bitte nicht zu viel. Alles ist erlaubt. Außer dieser absorbierenden, verpflichtenden und zugleich beflügelnden, intensiven Liebe. Doch warum wird die Forderung nach emotionaler Nähe zu einem der bittersüßesten Tabus unserer Generation?

Fetisch? Go for it!

In meinem Kopf rumoren Sequenzen, in denen die Unabhängigkeit sich wie ein Mantel über sexuelle Neugierde legt – so als würde die Moderne das Versprechen nach Freiheit wirklich halten.

Latex, hautenger, seltsam feuchter Stoff. Sein Fetisch. Go for it. Das Begehren, eine andere Person zu befriedigen und sich im Zweifel auch an den Zehen lutschen zu lassen. Why not? Eine Menage a Troi nach einer durchfeierten Nacht, in der sie dir sagt, wie schön deine Lust ist. Bitte! Das ruhige Gedankenchaos in deinem Kopf, während sich dein Körper gegen den Wind stemmt, dich weg bringt. Normal.

Genauso existieren saure, bittere Episoden mit den gleichen Darstellern. Sie lassen daran zweifeln, ob diese Regellosigkeit immer gut tut. Sie demaskieren die Freiheit als scheußliche Heuchelei, als sähe auch emotionale Distanziertheit mit Instagram-Filter und #thegoodlife nach Wildheit und Ungezwungenheit aus.

Es kribbelt in deinem ganzen Körper. Doch ihm zu beichten, dass du ihn einfach gut findest – wo würden wir denn dann hinkommen? Trotz einer beachtlichen Menge an Betthasen schlägt dein Herz nur für diese eine Person, die in ihrer Freiheit gefangen ist, sie nicht aufgeben möchte. Das haben wir spätestens beim fünften Sambuca verstanden. Ein Jahr nach der Trennung gesteht er. Er hat dir nie gesagt, was Zukunft für ihn bedeutet. Warum, fragst du entgeistert und fühlst, dass diese Freiheit, diese Offenheit, dieses Grenzenlose doch gar nicht so frei, so offen, so grenzenlos ist.

Die Gleichzeitigkeit von Freiheit und Tabu

Eva Illouz erklärt Freiheit als einen der wichtigsten Werte unserer Zeit. Sie ist „die Parole unterdrückter Gruppen, der Ruhm der Demokratien, die Schande autoritärer Regime und der Stolz kapitalistischer Märkte.“ Diese Art von Selbstbestimmung klingt so rebellisch, so heroisch, so gelungen! Ohne diese hart erkämpften Rechte, dürfte Anton nur Anna und niemals Anna Angelina aus dem kleinen Schwarzen schälen – sie ist essentiell für das Glück unserer Zeit. Daran ist nichts verkehrt.

Einzig die Gleichzeitigkeit von Freiheit und Tabu, die Schmerzhaftigkeit dieses Paradoxon irritiert. Es ist der descartsche Widerspruch von veränderbarer Materie – der Anzahl an Kleidungsstücken – und verborgenem Inneren.

Denn während man sich wild die Kleider vom Leib reißt, packt man sich emotional in weitere fünf Lagen wärmenden Textils. Ehe auch nur die Gefahr besteht, den Norweger-Pulli der Seele zu lüften, zieht man sich lieber den Wintermantel an, um zu gehen. Denn es könnten neben den delikaten Dessous, den geistreichen Anekdoten und spritzigen Kommentaren, auch tiefe, emotionale Narben gesehen werden.

Unfreie Freiheit als Bürde unserer Zeit

Vielleicht ist diese unfreie Freiheit die Bürde unserer Zeit. Mit Diagnosen wie unglücklicher Kindheit, Nymphomanie, Bindungsangst und Apolie, kann man immerhin die Diskrepanz zwischen sexueller Freizügigkeit und unerfüllter Liebe als Krankheit entschuldigen, pathologisieren. Vielleicht fehlt uns einfach der Mut, den Julia Roberts in Notting Hill aufbringt: „Ich bin doch nur ein Mädchen, das einen Jungen bittet es zu lieben“. Beneidenswert, wie sie, voll angezogen, plötzlich splitterfassernackt da steht. Es steht ihr ungemein.

Vielleicht liegt es daran, dass wir bei all dieser Grenzenlosigkeit gar nicht mehr wissen, was wir wollen und was nicht. Bravouröses Scheitern beim Versuch sich ex nihilo zu definieren. Darum lassen wir es lieber gleich, irgendwelche Wünsche auszusprechen. Vielleicht ist es die pure Angst vor Zurückweisung. Als lebte es sich gemütlicher in der Unsicherheit nicht zu wissen, welche Reaktion Ehrlichkeit auslöst.

Vielleicht, vielleicht ….

Immer noch Rauschen, die Schieflage ist inzwischen unerträglich. Ich schleiche mich von der Matratze, klaube die Klamotten vom Boden und sage doch nichts.

Bildquelle: Joe St. PierreInstagramFacebookFlickr.

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