Bodyshaming, Umstyling, Los Angeles: Eine Halbzeitbesprechung von „Germany’s Next Topmodel“

Ein Raunen geht durch die Menge. Bodyshaming bei „Germany’s Next Topmodel“? Das gab es aber lange nicht! Denn wenn wir uns erinnern: Kommentare gegenüber Äußerlichkeiten wie Akne oder Hüftumfang waren früher bei Heidi Klum an der Tagesordnung. „Germany’s Next Topmodel“ läuft dieses Jahr in der 19. Staffel und bis zum großen „Diversity“-Bruch 2022 wurden schamlos Frauen im Fernsehen erniedrigt. Nun sind die Männer dran.

Doch warum läuft „Germany’s Next Topmodel“ eigentlich immer noch, wenn es jedes Jahr aufs Neue gecancelt wird? Man muss der Sendung eines lassen, man versucht sich zumindest die Mühe zu machen, mit der Zeit zu gehen. So wie viele andere Realityshows auch. Körperliche Auseinandersetzungen beispielsweise werden nicht mehr toleriert, wo man früher vielleicht sogar mit Grinsen im Gesicht die Kamera draufgehalten hätte. Das gilt auch für Rassismus oder Homofeindlichkeiten. Darüber hinaus holte „Germany’s Next Topmodel“ unlängst Best-Ager-Models vor die Kamera und die Sendung wurde im letzten Jahr sogar wegen genau dieser Maßnahmen mit dem Blauen Panther, dem TV & Streaming Award des Freistaats Bayern, ausgezeichnet.

Die Debatte um „GNTM“ erreicht nun auch TikTok

Und trotzdem: Rund um die Staffel, die jedes Jahr mehrere Monate im Sendeprogramm von Pro7 einnimmt, wird es immer, immer lauter. Denn seit einiger Zeit gibt es ein neues Tool, die Debatte um die Show anzuheizen: TikTok. Nach Büchern wie „Du verdienst den Tod!“ von Ex-Finalistin Lijana Kaggwa also nun der deutlich schnellere Weg. Schon während der Ausstrahlung beziehen ehemalige Anwärter*innen Stellung. Ja, Anwärter*innen, denn: seit dem vergangenen Jahr werden auch männlich gelesene Models gesucht.

Das und die Tatsache, dass bis auf die Best-Ager-Models nun ausschließlich Gen-Z-Models vor die Kamera treten, stellt die bekannten Strukturen von „GNTM“ nun ordentlich auf den Kopf. In einer der letzten Folgen wurde das Model Faruk ob seines Äußeren von einem Kunden beleidigt. Was als Boomer-Witz gedacht war, löste eine kleine Revolte aus. Mehrere gebuchte Models stellten sich Faruk zur Seite und wollten nicht für den Kunden arbeiten, die Entschuldigung wurde nicht angenommen. Faruk hatte vorher noch angedeutet, sehr self-aware wegen seines Körpers zu sein. Eine solche Solidarisierung früher: undenkbar. Und möglicherweise auch heute noch, wäre es einem weiblich gelesenen Model passiert.

Frischer Wind kommt von den Jungs

Denn während die Solo-Folgen zu den Jungs, die bis zum Einzug in das gemeinsame Modelappartement in Los Angeles noch getrennt von den Damen liefen, sehr spannend sind, sind die Girlie-Folgen zum Gähnen. Nichts, was man nicht schon mal gesehen hätte. Die weiblich gelesenen Models wissen ganz genau, was sie tun müssen, wie sie sich verhalten müssen. Sie sind mit „Germany’s Next Topmodel“ aufgewachsen.

Die Jungs hingegen sind erfrischend anders. Da sie erst der zweite Jahrgang sind, können sie sich mehr rausnehmen, mehr ausprobieren. Vielleicht ist es ihnen wirklich auch egaler – sei es, was ihnen angezogen wird oder wie es ankommt, wenn sie sich gegen andere Menschen auflehnen. Männer werden ja nun mal auch anders sozialisiert. In dieser Staffel kam es schon einige Male zum Anecken, weil erfahrene Models sich ungerecht von den wie immer unhöflich agierenden Fotografen behandelt fühlten. Man lässt ihnen auch irgendwie mehr durchgehen, so gab es nur ein einziges Umstyling. Andererseits ist es auch wenig verwunderlich, dass es auch bei „Germany’s Next Topmodel“ keine Gleichberechtigung gibt.

Klar, all das ist letztlich der Grund, warum immer noch so viele Zuschauende einschalten. Natürlich erniedrigt „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ auch seine Teilnehmenden und die Topmodels sind ebenso freiwillig am Start, doch die meisten sind sehr jung. Wie freiwillig-vorbereitet sind sie im Vergleich mit Stars mit Kalkül? Wie kann man also diese Sensationslust mit dem eigenen Gewissen vereinbaren? Doch nicht nur die Zuschauenden müssen mit ihrer Stimme, nämlich der Auswahl des Abendprogramms, in die Pflicht genommen werden.

Die Show muss sich einer neuen Generation anpassen

Wenn die Macher*innen von „GNTM“ also schon so genau hinsehen, sollten sie auch TikTok nicht vergessen. Es ist nicht „Diversity“, wenn BIPoC-Models extremst billigere Perücken bekommen (auf TikTok erzählte Abigail, @abigailodm, aus der letzten Staffel) als die Extensions mancher weißer Models, und immer wieder die Kritik laut wird, dass unter anderem beim Umstyling die Friseur*innen nicht mit Schwarzem Haar arbeiten können.

„Germany’s Next Topmodel“ muss also auch in einer 20. Staffel viel tun, um zeitgemäß zu bleiben. So, wie sich die Arbeitswelt ändert, verändert sich eben auch der Wettbewerb. Man muss sich der jungen Generation anpassen, so schwer es vielen fällt. Denn die Stimmen werden erstmal nicht verstummen. Bald sind die männlichen Models Alltag geworden und „Germany’s Next Topmodel“ muss sich etwas Neues überlegen.

Und die Lösungen wären doch so einfach: Nicht mehr Krawallfotografen buchen, um die Models zu triezen. Sondern stattdessen echte Fotoshootingsituationen zeigen, bei deren Ergebnisse sich wirklich Mühe gegeben wurde. Dann würden vielleicht auch viele Gegner*innen besänftigt werden. Authentizität ist key und das bringen sehr viele der Kandidat*innen gerade mit. Andere, auch die immer wieder dasselbe wiederkäuenden „Määädchen“, sind da noch in der Pflicht.

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Bild: © Glenn Francis via Wikimedia Commons unter CC BY-SA 4.0-Lizenz