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Angriff und Verteidigung: Wie wichtig ist die Bundeswehr?

Schwere Stiefel, die im Gleichschritt durch den Morgennebel marschieren, nachdem ihre Besitzer um 4 Uhr morgens aus dem Bett geschmissen wurden, von einem brüllenden Ausbilder mit Trillerpfeife. Demselben Ausbilder, der sie vorher zu 200 Liegestützen verdonnert und der die Akkuratesse ihres gemachten Bettes mit der Lupe kontrolliert hat. Männer und Frauen, die stundenlang durch den Matsch robben und nächtelang durch die Gegend marschieren, mit Rucksäcken, die jeden noch so erfahrenen Backpacker in die Knie zwingen würden. Immer um die Schulter gehängt: Das Gewehr. Wenn ich an die Bundeswehr denke, denke ich an Menschen, die sich ihren Kindheitstraum vom Action-Star oder ihre Egoshooter-Fantasien wahr machen möchten. Zugegebenermaßen ist mein Bild von der Bundeswehr also eindeutig vorbelastet.

 

Überholtes Konzept oder unverzichtbare Institution?

 

178.171 Menschen arbeiten derzeit bei der Bundeswehr, davon knapp 20.000 Frauen. Zu Land, im Wasser und aus der Luft. Tausende junge Leute leisten jedes Jahr den freiwilligen Wehrdienst ab. Lernen, wie man sich dem Feind nähert, wie man Befehle korrekt ausführt und sich zu melden hat, wie man sich richtig kleidet, in welcher Reihenfolge die Sachen im Schrank zu hängen haben, wie man richtig Wache schiebt, einem Biwak baut und sich selbst und seinen Kameraden hilft. Üben zielen, entsichern und schießen. Mit dem Ende der Wehrpflicht ist die Zahl der Rekruten natürlich gesunken, ganz so wenige sind es aber dann doch nicht, rund 10.000 aktuell. Sie gehen zur Bundeswehr, um Offiziere oder Feldwebel zu werden, um eine Ausbildung zu machen oder zu studieren. Doch wozu das Ganze? In naher Zukunft droht uns höchstwahrscheinlich von keinem unserer Nachbarländer oder Bündnispartner ein militärischer Angriff. Oder? Brauchen wir also die Bundeswehr noch? Ist sie ein überholtes Konzept aus vergangenen Zeiten oder noch immer eine unverzichtbare Institution unseres Landes?

 

Von Milliardenausgaben und Neokolonialismus

 

Die Bundeswehr ist nicht selten in der Kritik. Nicht jeder ist ein Fan davon. Auslandseinsätze sind umstritten und oft wird der Vorwurf laut, für das Militär werde zuviel Geld ausgegeben. 34,29 Milliarden Euro sind 2016 drin im Militärbudget. 34 Milliarden für die Sicherheit Deutschlands? „Sicherheit für Deutschland, das heißt heute auch, die Auswirkungen von Krisen und Konflikten auf Distanz zu halten, ihnen entschlossen entgegenzutreten – mit diplomatischen, politischen, entwicklungspolitischen, ökonomischen und, wo notwendig, auch mit militärischen Mitteln. Kein Staat kann auf Dauer für sich alleine Frieden und Freiheit garantieren bzw. Sicherheit gewährleisten“, heißt es auf der offiziellen Seite der Bundeswehr. Stimmt das so? Schließlich gibt es durchaus Länder ohne Militär. Island, Costa Rica, Andorra, Panama, Samoa – Sie alle scheinen ohne Militär ganz gut zurecht zu kommen. Haben mehr Geld übrig für Soziales und Bildung. Diese Argumentation könnte natürlich als naiv ausgelegt werden, schließlich sind das alles kleine Staaten, liegen – anders als Deutschland – nicht mitten in Europa und haben Schutzmächte, von denen sie im Ernstfall mehr oder weniger abhängig sind. Allerdings ist die Bundeswehr eben auch schon lange keine reine Verteidigungsarmee mehr. Über 3.000 Soldaten beteiligen sich zurzeit an Einsätzen im Ausland, die von der Bundeswehr seit 1990 wieder durchgeführt werden. Kosovo und Afghanistan sind nur zwei dieser Auslandseinsätze, die in der öffentlichen Meinung sehr umstritten sind. Viele Leute sind der Meinung, dass die Bundeswehr in Kriegsgebieten eher Teil des Problems wird, als es zu lösen. Wer es drastischer mag, spricht sogar von Neokolonialismus. Ist es die bessere Lösung, sich ganz rauszuhalten?

Nicht nur hohe Ausgaben und Auslandseinsätze werden kritisiert, auch die, vor allem psychischen, Folgen für die Soldaten stehen in der Kritik. Insbesondere der Afghanistan-Einsatz hat laut Spiegel viele Fälle von Posttraumatischer Belastungsstörung unter den Soldaten nach sich gezogen, traumatische Erinnerungen, Tagträume, Flashbacks, Angstträume, emotionale Stumpfheit, Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit sind die Symptome. Ob der erhöhte Behandlungsbedarf an der steigenden Zahl der  Auslandseinsätze oder an der Entstigmatisierung psychischer Krankheiten liegt, kann natürlich nicht mit Sicherheit gesagt werden, Fakt ist aber trotzdem: Soldaten im In- und Ausland sind extrem hohen psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt. Rund 3.200 Tote zählt die Bundeswehr seit der Gründung, davon alleine 30 Suizide im letzten Jahr. Kritik an der Bundeswehr gibt es also zuhauf.

Ist keine Bundeswehr auch keine Lösung?

 

Der Pazifist in mir findet diese Kritik berechtigt. Der Rationalist aber fragt sich: Würde es wirklich auch ohne gehen? Ja, die Grundausbildung ist hart und belehrt wahrscheinlich jeden Counter-Strike-Spieler, der als Fanboy zum Bund geht, nach ein paar Tagen eines besseren. Auch von der Untergebenheit und dem blinden Ausführen von Befehlen, insbesondere während des Grundwehrdienstes, kann man halten, was man möchte. Ganz so dramatisch fand Markus*, 23, den Wehrdienst allerdings nicht, ihn hat das Ganze eher an eine Trainingssituation erinnert, wie man sie manchmal auch im Sport hat: „Natürlich muss man mal den eigenen Stolz runterschlucken. Aber man lernt eben auch, weiterzumachen, wenn man unter anderen Bedingungen schon längst aufgegeben hätte. Dass man auch mal nachts geweckt wird, ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. Im Endeffekt dient das eben dazu, dass man im Ernstfall auch unter Stress funktionieren kann“. Auf die Frage, wofür wir die Bundeswehr heute noch brauchen, hat Markus, der an einer Universität der Bundeswehr studiert, gleich mehrere Antworten: „Die grundlegende Landesverteidigung ist nach dem Ende des Kalten Krieges natürlich nicht mehr in dem Maße notwendig, aber man muss sich ja nur die Annexion der Krim anschauen, das passiert ja praktisch auch vor unserer Haustür, alleine für solche Fälle muss man die Bundeswehr aufrecht erhalten. Dann gibt es auch viele Probleme auf der Welt, die ein Umdenken erforderlich machen, was das Thema Bundeswehr angeht. Wie zum Beispiel die Marineeinsätze um Somalia, wo die Piraterie durch die Einsätze stark zurückgegangen ist. Das sowas kostet, ist klar, aber anders werden eben Lösegelder oder Ähnliches bezahlt, damit die Schiffe wieder freikommen. In Mali hat die Bundeswehr zum Beispiel nur eine Ausbildungsfunktion, ist also nur da, um ein Militär aufzubauen, weil dieses Land sehr unsicher ist und immer wieder droht, von den Islamisten übernommen zu werden“.

 

Die Bundeswehr abseits von Auslandseinsätzen

 

Manche von uns werden wohl niemals von der Legitimität von Auslandseinsätzen überzeugt sein. Trotzdem gibt es Bereiche, in denen wir ohne die Bundeswehr manchmal vielleicht ziemlich alt aussehen würden. Naturkatastrophen wie Hochwasser zum Beispiel oder auch die aktuelle Flüchtlingssituation. „Viele Soldaten sind momentan auch in Flüchtlingsheimen im Einsatz, weil es die Polizei alleine einfach nicht schafft und die Beamten fehlen. Gerade in der momentanen Situation denke ich, dass die Bundeswehr wieder eine wichtige Rolle spielt“, sagt Markus. Auch, wenn die meisten von uns versuchen, die Gedanken an weitere Terroranschläge möglichst weit wegzuschieben, sind wir uns der Gefahr gerade nach Brüssel einmal wieder bewusster denn je. Die Angst vor erneuten Terroranschlägen ist schon lange nicht mehr nur den besorgten Bürgern vorenthalten, viele Menschen sehen Deutschlands innere Freiheit und Sicherheit nicht mehr als so gesichert an wie noch vor ein paar Jahren. Da ist der Gedanke, für den Notfall eine Landesverteidigung zu haben, für den ein oder anderen mit Sicherheit beruhigend. „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst“, war einer der Slogans der großen und oft als scheinheilig ausgelegten Werbekampagne der Bundeswehr letztes Jahr. Man muss von der Bundeswehr nicht begeistert sein, mit Sprüchen wie „Soldaten sind Mörder“ und einer kategorischen Ablehnung macht man es sich aber doch zu leicht.

 

Tun, was getan werden muss?

 

Trotz allem bleibt mir persönlich beim Thema Bundeswehr vor allem ein Gedanke im Kopf: Leute werden dazu ausgebildet, im Ernstfall jemanden erschießen zu müssen. Wie geht man damit um? „Das ist das, worüber ich mir vorher am meisten Gedanken gemacht habe“, sagt Markus. „Weil genau das auch so der Knackpunkt ist, der Gedanke, dass es wirklich passieren kann, das man auf jemanden schießen muss oder ich erschossen werde. Die Situation wünscht sich, glaub ich, niemand, deswegen habe ich auch lange mit mir diskutiert. Aber wenn es dann soweit ist, wird eben getan, was in dem Fall dann notwendig ist“.

Muss man also manchmal einfach tun, was getan werden muss? Wenn ich ehrlich bin, bin ich ziemlich froh, dass ich das nicht entscheiden muss.

 

*Name von der Redaktion geändert

 

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Bildquelle: Wir.Dienen.Deutschland. unter CC BY-ND 2.0